Als das Coronavirus Europa erreichte, hat es vor allem den norditalienischen Raum hart getroffen. Die dort angesiedelten Möbel- und Designunternehmen gehören zu den angesehensten und einflussreichsten der Welt. Zur Bekämpfung des Virus mussten Produktionen gestoppt und Büroaktivitäten ins Homeoffice verlagert werden. Der Salone del Mobile in Mailand, die global wichtigste Möbeldesignmesse wurde zunächst von April auf Juni verschoben, dann aber ganz abgesagt. Auf die neue Situation reagierten die einzelnen Unternehmen in unterschiedlichem Tempo – vor allem was die Veränderungen in den Kommunikations- und Marketing-Aktivitäten betrifft.
formfaktor hat einige Statements von Vertreter*innen der italienischen Designmöbelindustrie eingeholt und nachgefragt, wie sie bisher durch die Krise gekommen sind, was man daraus lernen kann und welche zukunftsfähigen Strategien umgesetzt werden müssen, um an den Erfolg von vor der Krise anschließen zu können. Die Antworten fielen recht einhellig aus und können mit drei Stichworten zusammengefasst werden: Flexibilität, digitale Transformation und Made in Italy.
„Mailand war so ziemlich im Zentrum des Problems. Wir alle waren uns bewusst, dass wir die Abstände und den Lockdown penibel einhalten müssen“, berichtet Federico Palazzari, CEO von Nemo Lighting. „Unsere Büros wurden so gemanagt, dass sie sicher sind und Smart Working unterstützen. Die Krise ist aber noch immer nicht vorbei. Wir sind nur in einer anderen Phase.“ Viele der Möbelhersteller mussten in der Hochphase der Krise ihre Produktionsstätten für mindestens zwei Wochen stilllegen. In anderen Abteilungen der Unternehmen wurde aber mit Hochdruck weitergearbeitet. So meint Lorenza Luti, Marketing & Retail Director von Kartell, sie hätten in diesen Wochen vor allem an kreativen Ideen gearbeitet und den Dialog mit den Designer*innen intensiviert. „Diese Situation hat unsere Arbeit natürlich beeinflusst, aber wir haben während des Lockdowns über unsere E-Commerce-Kanäle kommuniziert, dass unsere Arbeit, unsere Ideen und unsere Projekte weitergehen. Social Media-Netzwerke haben wir verstärkt bedient, vor allem durch die Mitarbeit unserer Designer*innen, die über ihre Produkte in einer leichten, unterhaltsamen Weise berichtet haben. Überhaupt waren in der Zeit der Zwangsschließung die sozialen Netzwerke das unmittelbarste Mittel, um unsere Kund*innen einzubeziehen und unsere Leidenschaft für Design mit unseren Fans zu teilen. Wir arbeiten verstärkt daran, unser Einzelhandelsnetzwerk immer mehr mit dem Digitalen zu verbinden. Bereits Anfang dieses Jahres wurde unsere Website komplett neu gestaltet, um das Einkaufserlebnis noch nahtloser und ansprechender zu gestalten.“ Federico Palazzari legt seine Pläne mit Blick auf 2021 mittelfristig an. Die Situation wird monatlich neu beurteilt. Die Nemo Group hat einen Schichtbetrieb eingeführt, um die traditionelle Sommerschließung diesmal auszulassen. „Wir glauben auch, dass dieser Notstand die Verbindung zu unseren Geschäftspartnern gestärkt hat. Es ist wie eine Art Renaissance der zwischenmenschlichen Beziehungen“, sagt Palazarri und meint: „Unabhängig von der Größe des Unternehmens können nur diejenigen die vor uns liegenden Herausforderungen meistern, die auch eine starke Botschaft vermitteln können.“
Wie in jeder Krise ist es auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie so, dass größere Unternehmen anscheindend leichter damit zurechtkommen und manche sogar davon profitieren. Matteo Gialdini, der COO für Westeuropa von Natuzzi sieht die Zukunftschancen äußerst positiv. Selbst die Zeit des Lockdowns war für ihn willkommen, da er exakt zu dieser Zeit seine Arbeit bei Natuzzi begann. „Ich musste mich auf vieles konzentrieren – die Produkte, die Kund*innen, die Organisation der Märkte – und das war, ironischerweise, eine großartige Zeit für mich, um mich auf alles vorzubereiten … Ich habe den Lockdown wie ein Safety Car bei der Formel 1 erlebt.“ Durch strenge Hygienemaßnahmen in Bezug auf die Produktion konnte Natuzzi gemäß den jeweiligen gesetzlichen Vorgaben die Werke und auch Shops weiterbetreiben. „Das hat uns geholfen den Kundenkontakt aufrecht zu erhalten. Die Auslieferungen wurden so weit wie erlaubt maximal beibehalten, sodass wir Bestellungen pünktlich erfüllen konnten“, sagt Gialdini. Die Arbeitsweise generell habe sich auch bei Natuzzi etwa durch vermehrte Videoanrufe oder durch Neue Medien, die den Mangel an physischen Kontakt kompensieren, verändert. Interessanterweise konnte das Unternehmen in manchen europäischen Märkten (Großbritannien und Benelux) sogar Rekordverkäufe verbuchen, berichtet Gialdini. „Durch die Verstärkung unserer Online-Tools bieten wir unseren Kund*innen nun Mixed-Reality-Konzepte. Sie können sowohl mit unserem Verkaufspersonal im Geschäft in Kontakt treten, als auch die Produkte zuhause ansehen. Außerdem planen wir, einen virtuellen Kongress abzuhalten, auf dem wir alle unsere Partner treffen und die neue Kollektion, die wir während des Lockdowns vorbereitet haben, präsentieren werden.“
Marco Levrangi, CEO von Fast, dem Outdoor-Spezialisten aus der Lombardei, ist sich bewusst, dass sein Unternehmen noch sehr viel mehr in die Digitalisierung investieren muss. Das habe sich in den letzten Wochen und Monaten deutlich gezeigt. Generell sei es eine sehr schwierige Zeit gewesen und viele der Kunden mussten ihre Geschäfte erst einmal schließen. „Der Lockdown hat sicherlich zu einer allgemeinen Wirtschaftskrise geführt. Fast hat aber die Verpflichtungen gegenüber seinen Lieferanten eingehalten, denn unserer Meinung nach hängt die Stabilität des Wirtschaftssystems mehr denn je von ethischem und verantwortungsvollem Verhalten ab“, betont Levrangi. Er hofft, dass der Salone de Mobile im April 2021 stattfindet. In der Zwischenzeit plant das Unternehmen für diesen Herbst Meetings mit Kund*innen im Showroom am Gardasee. Alternativ sollen Video-Konferenzen und Virtual Tours organisiert werden. Levrangi sieht dies auch als Chance, neue Formen der Präsentation auszuprobieren. „Unsere Produkte waren seit jeher dafür gestaltet, den Aufenthalt im Freien angenehmer zu machen. Fast-Möbel müssen mit der Natur harmonieren. Wir wollen uns vermehrt auf nachhaltige Produktion und harmonisches Design konzentrieren, das zum Slow Living einlädt. Slow Living wird in mancher Hinsicht das neue Mantra für Möbel sein … Ich glaube und hoffe, dass das letztendlich auch einen positiven Effekt auf unsere Branche haben wird.“
Lorenza Luti (Kartell) sieht diese Krise auch als einen Test im Hinblick auf die Verantwortung von Unternehmen. „Heute müssen wir darüber nachdenken, nicht nur die Gesundheit sicherzustellen, was auf jeden Fall eine Priorität ist, sondern auch das Industrie- und Handelssystem unseres Landes. Diese großartige Quelle unseres Made in Italy, das in der ganzen Welt geliebt und nachgefragt wird.“ Auch Luti hofft, dass der Salone nächstes Jahr in Mailand stattfinden kann, dennoch wird Kartell schon im Herbst und vor allem in der Vorweihnachtszeit einige Neuheiten präsentieren. „Kartell wird weiter leidenschaftlich an Innovationen arbeiten, um neue Wege des Lebens und Arbeitens zu eröffnen, nach diesem harten Test“, versichert Luti.
„Wir müssen auf alles vorbereitet sein und jedes mögliche Szenario in Betracht ziehen“, sagt Giulia Pavanello, Communication Manager bei MCZ, dem Hersteller innovativer Öfen und Kamine. Technologische Veränderungen hätten schon vor dem Coronavirus für mehr strategische Flexibilität gesorgt. Die Geschwindigkeit dieser Veränderungen und die notwendigen Reaktionen darauf hätten sich jetzt aber beschleunigt. „Nun, da ein großer Teil der Öffentlichkeit die Barriere des Online-Shoppings überwunden hat, wird sich auch der Möbel- und Designsektor anpassen müssen. Das Shopping-Erlebnis wird online beginnen und dann vielleicht physisch finalisiert werden – in sicheren Shops und mit Terminvereinbarung.“ Pavanello sieht auf kleine und mittlere Geschäfte signifikante Änderungen zukommen – vor allem in Bezug auf das Thema Nähe. „Es wird nicht mehr um physische Nähe gehen, sondern vor allem um emotionale Nähe und Nähe der Beratung. Durch den nicht vorhandenen physischen Kontakt müssen Einzelhändler andere Wege finden, um sich mit den Kunden auf empathische Weise online zu verbinden.“ Auch firmenintern gab es bei MCZ einige Änderungen, um zu verhindern, dass im Fall einer positiven Testung nicht das ganze Unternehmen geschlossen werden muss. „Zum Beispiel wird in den Abteilungen nun in kleinen Gruppen gearbeitet, ohne Kontakt zu anderen Teams“, erklärt Pavanello.
Gerade der digitale Wandel ist bei den Firmen je nach Produktkategorie unterschiedlich weit fortgeschritten. Für Stefano Munaretto, den Eigentümer von Instabilelab, einem Unternehmen, dass sich auf exklusive Tapeten in limitierten Editionen spezialisiert hat, war die Kommunikation in digitaler Form schon immer ein Thema. „Das hat damit zu tun, dass sich unser Produkt gut für diese Art von Präsentation eignet. Aber natürlich bleibt der menschliche Kontakt grundlegend etwa für Verhandlungen. Glücklicherweise ist das finanzielle Fundament unseres Unternehmens so stabil, dass wir unsere Investments auch nach dem Lockdown fortführen und jene in die digitale Kommunikation gleichzeitig erhöhen konnten.“ Munaretto zeigt sich begeistert von der Schnelligkeit, mit der die Branche auf die Corona-Situation reagiert hat. Sie habe sich sofort auf die Suche nach neuen Materialien, neuen Lösungen und mehr Nachhaltigkeit begeben. „Die Konsument*innen in der Post-Covid-Ära werden noch aufmerksamer sein und Unternehmen müssen daran arbeiten, diese Nachfrage zu befriedigen. Es wird eine natürliche Selektion geben: Diejenigen, die schon vor Covid ein Wertversprechen hatten, werden bleiben und auf ihrem Qualitätsniveau weiterarbeiten können.“
Nach einem zweiwöchigen Lockdown konnte auch die Produktion bei Tubes, einem der innovativsten Unternehmen im Bereich Heizkörper, wieder weitergehen. „Vor dem Start der Produktion haben wir alle Räume sorgfältig gereinigt und die Arbeitspläne der Mitarbeiter*innen neu organisiert. Durch unterschiedliche Schichten wird die korrekte Distanz gewährleistet. Aus demselben Grund haben wir die Abstände zwischen den Arbeitsplätzen vergrößert“, erläutert Cristiano Crosetta, CEO von Tubes Radiatori. Mittlerweile ist das Unternehmen wieder zu 100 % tätig. Die neuen Wege der Kommunikation mit Kund*innen, Vertreter*innen sowie Journalist*innen wie etwa Webinars waren laut Crosetta sehr erfolgreich und werden auch in Zukunft eine Rolle spielen. Eine Erkenntnis aus dieser Krise sei auf jeden Fall, dass es möglich ist, auch auf große, plötzliche Veränderungen entsprechend zu reagieren. Die Reisetätigkeit auf das absolut Notwendige zu reduzieren würde sowohl Stress abbauen als auch Energie sparen. „Ich glaube, wir alle können neue Wege finden, um mittels digitaler Tools Geschäfte zu machen“, meint Crosetta. „Ich denke außerdem, dass wir unser Made in Italy noch mehr in den Vordergrund stellen sollten. Darauf können wir stolz sein und wir sollten ein System, ein Netzwerk von Unternehmen schaffen, um unsere Qualitäten im Hinblick auf Herstellung und Kreativität noch besser zu kommunizieren.“
Das Schlusswort gehört Stefano Munaretto von Instabilelab. Auf die Frage, was wir aus der Coronavirus-Krise lernen können, antwortet er: „Es ist nie gut, auf Sicht zu segeln. Planung und Ziele müssen auf einem Wertversprechen und auf Praktikabilität beruhen. Nur so ist es allzeit möglich, den Kurs zu ändern, ohne zu sinken. Es kommt eben vor, dass man Pläne ändern und Ressourcen neu organisieren muss. Der Lockdown ist ein Ereignis, das diese Notwendigkeit auf die Spitze getrieben hat. Wenn man aber mit einem eng-verknüpften Team gut zusammenarbeitet und sich auf Qualität und Innovation des Produkts konzentriert, kann jede Herausforderung auch Chancen schaffen.“
Der Artikel entstand mit freundlicher Unterstützung von Markenkultur (München), ERGO (Mailand) und Paridevitale Communication & PR (ebenfalls Mailand).