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Eine Geschichte von Farben und historischen Interieurs

von Markus Schraml
Little Greene Paint & Paper

Die Little Greene Paint Company in Manchester produziert nicht nur simple Anstriche, sondern Farben, die aufs Engste mit der britischen Gestaltungskultur und dem Erbe sowie Erscheinungsbild von klassischen, zum Teil jahrhundertealten Interieurs verbunden sind. Dieses spezielle Know-how über traditionelle Farbherstellungsmethoden kombiniert das Team um Managing Director David Mottershead mit zeitgemäßem Umweltbewusstsein. Das zeigt sich etwa in der Produktlinie „Intelligent Paints“, wasserbasierte Farben, die über eine hohe Deckkraft verfügen und bis zu 15 Mal stärker als herkömmliche Anstriche sind. Sie kommen ohne zugesetzte flüchtige organische Verbindungen (VOC) aus und da sie als kindersicher zertifiziert sind (BS EN71-3:2013), können sie auch im Kinderzimmer und sogar am Kinderbett verwendet werden. Die Ölfarben von Little Greene werden aus nachhaltigem pflanzlichen Ölen hergestellt und die Farbdosen bestehen zu über 50 % aus recyceltem Stahl und können natürlich wiederum recycelt werden. Was die Tapeten-Kollektion des Herstellers betrifft, stammt das Papier aus FSC- oder PEFC-zertifizierten Wäldern, wo für jeden gefällten Baum vier neue gepflanzt werden. Die Druckfarben sind völlig ungiftig und der Tapetenkleister enthält keine Lösungsmittel. Schließlich strebt Little Greene auch bei Verpackungen und Lagerprozessen eine Erhöhung der recycelten und recyclingfähigen Materialien an. Die Abfälle konnten in den letzten drei Jahren um 57 % reduziert werden.

 

A History of Colours

Das familiengeführte Unternehmen setzt bei der Herstellung ihrer Farben und Tapeten auf Qualität und ökologisch verträgliche Inhaltsstoffe. Den herausragenden Charakter von Little Greene macht jedoch dessen intensive Beschäftigung mit historischen Farben und deren Wiederbelebung für zeitgenössische Interieurs aus. Ein Spezialist für Farben aus der britischen Geschichte ist Simon Hutchinson. Er sieht die Herangehensweise bei Little Greene in einem völligen Gegensatz zu Firmen, die nur darauf aus seien, möglichst billige Pigmente zu verwenden. „Wir hier versuchen mit dem Wissen, wie eine Farbe zu ihrer Entstehungszeit gemacht wurde, ähnliche Pigmente wie damals zu verwenden, damit die Farbe im Licht annähernd gleich reagiert. Das ist die Idee hinter dieser Art der Farbherstellung“, sagt er und führt weiter aus: „Es gibt zwei Wege, Farben von historischen Gebäuden zu übernehmen. Entweder man kreiert eine Farbe, die man dort in der Gegenwart vorfindet, oder man findet heraus, welche Farbe dort ursprünglich war. Für letzteren Weg nehmen wir kleine Proben von einer historischen Oberfläche und gießen sie in Polyesterharz. Danach zerteilen wir diesen Würfel wieder und legen ihn unter das Mikroskop.“ Erst dann entpuppt sich die Farbgeschichte eines Gebäudes. Durch die Vergrößerung werden die unterschiedlichen Farbschichten, die im Lauf von Jahrhunderten aufgetragen wurden, sichtbar – bis hin zum allerersten Anstrich.

National Trust & Little Greene

Little Greene unterstützt mit seinem Know-how und seiner historischen Farbpalette auch die konservatorischen Aufgaben des National Trust, der mit seinen 350 Liegenschaften und Grünflächen, viele Schätze der britischen Architektur- und Gestaltungsgeschichte verwaltet. Andy Greenall ist Chefdesigner bei Little Greene und sieht eine starke Ähnlichkeit der Interessen des National Trust und Little Greene „…vor allem in Bezug auf die Umwelt, das historische Erbe sowie konservatorische Belange. Unsere vorrangige Aufgabe ist natürlich, die Bereitstellung von Farben für die Restaurierung. Wir sind neben anderen Partnern für andere Bereiche, der einzige Farbenhersteller, der mit dem National Trust kooperiert. Für uns ist es eine philanthropische Angelegenheit.“ Im Herbst vergangenen Jahres brachte Little Greene eine ganz besondere Farbkollektion heraus: GREEN war das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem National Trust, der das Unternehmen beauftragt hatte, neue Farben in den Gebäuden der Organisation zu finden. Dass daraus eine Kollektion mit Grüntönen entstehen würde, war damals keineswegs klar, sagt Greenall: „Dass die erste Kollektion mit dem National Trust Grün ist, ergibt durchaus Sinn, wenn man zum Beispiel bedenkt, dass in der CI ein dunkles Grün zu finden ist. Die Grüntöne, die in dieser Sonderkollektion zu sehen sind, machen nur etwa ein Drittel der Grüntöne aus, die wir im gesamten Forschungsprojekt gesammelt haben.“ 31 Grüntöne schafften es in diese erste Kollektion, bleiben 220 übrig, die im Little Greene-Archiv warten, um für weitere Sonderkollektionen verwendet zu werden.

Apropos Grün

Farbhistoriker Simon Hutchinson entwickelt auch neue Farben und ist im Bereich Farbconsulting tätig. Für ihn ist Grün, eine ganz spezielle Farbe. „Grün ist interessant. Grün ist witzig. Für mich ist es eine Art Hass-Liebe. Wenn ich zu Klienten gehe, kommt es vor, dass die erste Aussage ist: Ich mag Grün nicht. Aber Grün ist eine sehr gute Farbe, weil Grün dazwischen liegt. Blau ist zum Beispiel immer kühler, Gelb immer wärmer, aber Grün kann sowohl kühl als auch warm sein. Deshalb verwende ich Grün ziemlich viel. Psychologisch gesehen sorgt Grün für Balance und wirkt beruhigend. Natürlich steht Grün auch für die Natur. Grün funktioniert mit den National Trust-Farben sehr gut, weil dort das Thema Natur sehr wichtig ist. Es gibt eventuell einen leichten Grün-Trend derzeit, aber das ist nichts Schlechtes, weil Grün so eine universelle Farbe ist, die überall verwendet werden kann. Mein eigenes Wohnzimmer ist in einem Grünton gestrichen, der mich beruhigt und relaxen lässt. Grün ist gut.“ In seiner Funktion als Farbberater gestaltet Hutchinson moderne Häuser auf maßgeschneiderte Art und geht dabei sehr individuell vor. „Weil ich auch Farben entwickle, entwerfe ich ganz spezifische Farben für das jeweilige Haus. Ich verwende die Little Greene-Farbpalette als Basis und gehe dann zwischen die einzelnen Farben dieser Palette. Farben können heller oder dunkler sein. Mein Ziel ist, die perfekte Farbe für ein Haus zu finden. Die genau zu speziellen Details, zu Fliesen oder besonderen Teppichen passt. Das heißt, ein Klient bekommt im Hinblick auf die verwendeten Farben ein völlig neues und einzigartiges Zuhause, weil diese Farben nirgendwo sonst existieren. Ein Haus muss ein Zuhause werden – das ist das Wichtigste. Es ist wie eine echt gute Schallplatte, ein Album, das in seiner Gesamtheit gut ist. Es ist nicht eine Greatest Hits-Platte, sondern ein Konzeptalbum.“

Colours of England

Die jeweilige Hauptfarbkarte von Little Greene heißt „Colours of England“. Sie enthält 120 Farben, von denen etwa die Hälfte aus historischen Quellen stammt. „Wir nehmen eine Farbe und kreieren weitere Farbtöne, hellere und dunklere, mit der gleichen Pigmentierung, drum herum“, erklärt Chefdesigner Greenall. Diese Vorgehensweise ist praktisch für den Kunden und kann auch für historische Farben begründet werden. Greenall: „Maler vor 250 Jahren konnten nicht einfach in einen Maler-Shop gehen und Farbe kaufen. Sie kamen zu einem Gebäude mit einem Eimer und verschiedenen Pigmenten und mischten die Farbe vor Ort, testeten sie und je nachdem machten sie die Farbe etwas heller oder dunkler. Diese Praxis hat dazu geführt, dass, auch wenn eine Farbe auf einem historischen Gebäude gleichmäßig aussieht, sie es niemals ist. Das heißt, in der Frage, was eine historisch richtige Farbschattierung ist, kann es durchaus Variationen geben.“ Little Greene Farbkarten werden meistens für die Dauer eines Jahres aufgelegt, was zum Teil gewissen Trends geschuldet ist. Aber es gibt auch Ausnahmen, sagt Andy Greenall: „Zum Beispiel unsere „Grey“-Farbkarte, die wir 2013 herausgebracht haben, gehört zu den beliebtesten überhaupt. Jedes Jahr, wenn wir darüber nachdenken, die Grey-Card wegzulassen, entscheiden wir uns dagegen, weil sie so beliebt ist.“ Auch wenn die Farbtöne auf den Farbkarten wechseln, bleiben die Formeln dafür im Archiv von Little Greene erhalten. „Wir kreieren eine identische Farbe und sobald das getan ist, kann diese Farbe in einer oder hundert Tönen produziert werden. Eine Farbe kann auf einer Farbkarte sein, wir können sie davon entfernen, aber fünf Jahre später, können wir diese Farbe immer noch produzieren. Es ist für uns eine Art Hommage an diese Welt der Farben. Wir sind nicht begrenzt auf 100 oder 150 Farben, da gibt es eine Menge, was im Hintergrund vor sich geht, hinter unserer jeweils aktuellen Farbkarte“, betont Greenall.

Tapeten mit Geschichte

Denselben Weg wie bei den Farben beschreitet Little Greene auch mit seinen Tapeten-Kollektionen, die auf Basis des Archiv-Bestandes von English Heritage und der Whitworth Art Gallery in Manchester entstehen. Little Greene-Farbexpertin Jenny Luck ist fasziniert von dieser Art von Tapeten: „Das Besondere an unseren Tapeten ist, dass jede von ihnen einen historischen Hintergrund hat. Das heißt, wenn man ein Haus mit diesen Tapeten ausstattet, erzählt jeder Raum eine andere Geschichte. Und zwar die Geschichte der Liegenschaft, woher das Motiv stammt. Der Vorteil von Tapeten im Vergleich zu Anstrichen ist, dass die Kombination von Farben in der Tapete bereits perfekt gelöst ist und sie deshalb die Gestaltung eines Interieurs erleichtert.“ Die historischen Tapetenmuster werden dabei meist nicht 1 zu 1 übernommen, sondern in Größe, Farbe oder Motivelementen angepasst, um sie für modernes Interieurdesign brauchbarer zu machen. Andy Greenall: „Zum Beispiel gibt es ein Muster mit einem Jäger, der mit einem großen Speer Wild jagt. Und weil es eine Diskussion gibt, ob der National Trust Jagen auf seinen Grundstücken erlauben soll, haben wir das Motiv ein wenig tierfreundlicher gemacht. Was die unterschiedlichen Farbtöne betrifft, liegt das Original natürlich nur in einer Farbe vor, aber wir bringen unsere einzelnen Tapetenmuster immer in mehreren Farbtönen heraus. Bei Little Greene geht es um Farbe und wir wollen so viele Kombinationsoptionen wie möglich bieten. Wir sind mehr daran interessant, einfach eine schöne Tapete zu kreieren, als ein historisches Motiv 100 % genau zu replizieren“, erklärt der Chefdesigner.

So wird auch in einer brandneuen Kooperation vorgegangen. Little Greene ist es gelungen, nach eineinhalbjähriger Diskussionszeit, die Zusammenarbeit mit dem National Trust auf Tapeten auszuweiten. Schon im kommenden Januar soll die erste Kollektion erscheinen. „Der Umfang an verschiedenen Mustern und Motiven ist unglaublich, die man in den rund 350 Gebäuden des National Trust finden kann. Mit der ersten Kollektion kratzen wir nur an der Oberfläche. Wir haben so viel Material, dass wir für die nächsten 10 bis 15 Jahre mit Tapetenmustern versorgt sind“, zeigt sich Greenall begeistert. Die Zeitplanung erscheint dabei recht ambitioniert, denn in weniger als einem Jahr sollte die Kollektion fertig sein. Kein Problem im Digitaldruck, aber um eine zeittypische Oberflächenstruktur zu erreichen, wird eine über 100 Jahre alte Druckmaschine verwendet. Muster und Motive mögen modifiziert sein, aber die originale Haptik und Qualität soll auf bestmögliche Art wiederbelebt werden. Dennoch liegt die Priorität auf der Gegenwart, stellt Chefdesigner Andy Greenall klar: „Bei uns dreht sich alles um modernes Interieurdesign. Wir nehmen Farben, Muster und Designs aus der Geschichte und bereiten sie für die zeitgenössische Einrichtungsgestaltung auf. Das ist, was wir tun.“

 

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