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Erinnerungen aus Licht – Ben Rigby über Storytelling im Lichtdesign

von Markus Schraml
Memories of Light by Haberdashery

Licht ist ein faszinierender Sinnesreiz, Leuchten eine einzigartige Produktkategorie. Durch neue technologische Entwicklungen sind der Gestaltungsfreiheit der Designer*innen kaum noch Grenzen gesetzt. Der britische Leuchtenspezialist Haberdashery beschreitet in diesem weiten Feld der Möglichkeiten, einen ganz eigenen Weg und setzt auf Storytelling mit Licht. Das Kernteam des Studios in London umfasst gerade einmal 21 Mitarbeiter*innen, die aus Geschichten großartige Lichtobjekte entwickeln. Gegründet wurde das Unternehmen vor über 10 Jahren von Mac Cox und Ben Rigby. Lange Zeit arbeiteten die beiden mit ihrem Team ausschließlich projektbezogen, sowohl im privaten Wohnbereich als auch für Firmen, an über 450 Aufträgen in über 30 Ländern weltweit. Dabei entwickelten sie eine eigene Designsprache, die auch in ihren Einzelprodukten zu hervorragenden Ergebnissen führt. 2019 ist das kontinuierlich erweiterte Portfolio auf drei Produktkategorien angewachsen. Die Leuchten der Leaf-, Evoke- und neuerdings Duality-Kollektion werden über ein Netz von Händlern in Europa, USA, Asien bis nach Neuseeland verkauft.

Im Rahmen der 100% Design im Olympia-Veranstaltungszentrum in London bat formfaktor Ben Rigby zum Interview. Der Co-Gründer berichtet über Pläne, mit den eigenen Produkten verstärkt in Kontinentaleuropa präsent zu sein und über die spezielle Designsprache, für die immer eine Story als Ausgangspunkt dient.

 

formfaktor: Ihre Evoke-Kollektion bekommt 2019 Zuwachs. Die neue Leuchte heißt „After Dark“. Welche Idee steht hinter dieser Kreation?

Ben Rigby: In der Evoke-Kollektion geht es um Erinnerungen aus Licht. Das heißt, wir sind sehr daran interessiert, existierende Erinnerungen der Menschen an Licht aus ihrem Umfeld anzusprechen. Wir wollen ihnen nicht sagen, was sie zu denken haben, sondern bestehende Erfahrungen wieder hervorrufen. Und Menschen wissen mehr über Licht, als man glaubt. Dabei hat jeder auch sehr persönliche Erinnerungen. Wir machen einen Vorschlag, geben einen Anreiz und die Vorstellungskraft der Menschen erfüllt das Ganze dann mit Leben. Bei After Dark geht es um die abendliche Stimmung in einer Großstadt. Es ist ein Mix aus Glasfassaden und Reflexionen und dem Gefühl, wenn man sich zwischen diesen hohen Gebäuden als Mensch sehr klein vorkommt, wie zum Beispiel in New York. Aber auch der Bokeh-Effekt spielt eine Rolle: Also die Reflexionen des Glases, die man vielleicht aus einem Taxi-Fenster sieht abends auf dem Weg nach Hause. Diese ganze Atmosphäre einer geschäftigen Großstadt wollten wir in einer Leuchte einfangen.

formfaktor: Sie haben also an New York gedacht und nicht an London?

Ein bisschen von beidem, aber wenn man sich eine Skyline bei Nacht vorstellt, denken die meisten Menschen an New York. Uns geht es um die Räume zwischen den Hochhäusern. Eine Umgebung, in der man sich wie eine Ameise fühlt. Dieser Gedanke gefällt uns. Gleichzeitig wollten wir ein Gefühl von Intimität mit dieser Leuchte erzeugen. Sie passt ja eher in den Gastronomie- und Hotelbereich, deshalb strahlt sie das Licht auf sehr funktionelle Weise nach unten ab. Aber das Aufregende an dieser Kreation ist der Bokeh-Effekt (Unschärfe-Effekt Anm.). Das Licht verschwimmt in diese farbigen Punkte, die wir alle kennen. Wir wissen nicht, wie sie entstehen, aber wenn man sie sieht, beginnt man sich zu erinnern: An eine Atmosphäre, eine Stimmung, die vielleicht an einem Ort herrschte, den man besucht hat. In der Evoke-Serie geht es voll und ganz um die persönlichen Erinnerungen der Menschen.

 

formfaktor: Eine komplett neue Kollektion eröffnen Sie mit der Leuchte „Introvert Extrovert“, bei der es um das Thema Dualität geht.

Duality ist eine ganz besondere Neuheit, weil es eine Kollektion ist, in der in einem Produkt zwei Persönlichkeiten vorhanden sind, zwei Zustände. Wobei uns bei „Introvert Extrovert“ die menschlichen Gemütszustände interessiert haben: die Introvertiertheit, der Rückzug ins Private, in sich selbst und andererseits die Extrovertiertheit, Offenheit, Extravaganz und Lebendigkeit. Das Produkt hat einen introvertierten kleinen inneren Kreis und eine große äußere, extrovertierte Fläche. Zwischen beiden kann man hin und her wechseln, überblenden, wie es einem beliebt.

formfaktor: Mit welchen Gedanken und welcher Absicht gehen sie an ein neues Projekt, neues Produkt heran?

Selbstverständlich sind unsere Produkte von hoher Qualität, aber wir sind sehr viel mehr an der Geschichte interessiert, die wir damit erzählen und wie wir Licht in diese Geschichte integrieren können. Das heißt, obwohl wir die neueste Technologie verwenden, bleibt sie versteckt. Es geht um die Story, die sich in der Form des Objekts manifestiert. Wir beginnen den Designprozess immer mit der Geschichte und die geben wir dann an unser Designteam weiter. Ich denke, das hilft unseren Designer*innen ihre eigenen Erinnerungen zu erforschen. Das Ergebnis sollte dann etwas sein, zu dem ein breites Publikum einen Bezug herstellen kann. Licht spricht natürlich eine sehr universelle Sprache. Wir versuchen, unsere Produkte immer leicht verständlich und zugänglich zu machen.

 

formfaktor: Haberdashery ist eine eigene Marke, kann man sagen. Wie baut man eine starke Marke auf, die auch über einen langen Zeitraum Bestand hat?

Seit 11 Jahren arbeiten wir in erster Linie projektbezogen. Unsere Marke entstand dabei, weil wir Geschichten erzählt haben. Und obwohl diese Projekte sehr verschieden waren, ging es im Kern immer um eine Erzählung, die auch für unsere jeweiligen Kunden sehr wichtig war. Für unsere eigenen Produkte mussten wir diesen erzählerischen Charakter wiederfinden. Das Wichtigste ist für uns die Frage, wie baue ich eine Erzählung auf und wie integriere ich Design und Technologie, um sie mit den Nutzern zu kommunizieren. Bei Licht geht es um Magie, darin liegt unser Interesse als Designer. Viele Designfirmen verwenden unserer Meinung nach die Sprache des Lichts noch nicht in angemessener Weise. Damit kann man sehr viel mehr machen. Man muss mutig sein und es liegt an uns, anspruchsvollere Gestaltungen in Angriff zu nehmen. Sie müssen jedoch immer leicht verständlich sein. Wenn man ein Objekt erst erklären muss, ist etwas falsch. Es muss offensichtlich sein, um was es hier geht. Der Zugang muss leicht sein, aber dann muss es Tiefe haben, in die man eintauchen kann.

formfaktor: Seit sie eigene Produktlinien lanciert haben, sind sie selbst zum direkten Verkäufer geworden. Wie wichtig sind Messen für Haberdashery?

Sie sind sehr wichtig. Hier in Großbritannien ist es unser erster großer Event, wo wir vertreten sind und unsere neuen Produkte zeigen. Normalerweise sind wir bei der Maison & Object in Paris und wir haben begonnen, mehr und mehr nach Europa zu gehen. In Großbritannien ist der Markt sehr schwierig und übersättigt – mit den vielen Brands, die es hier gibt. Wir versuchen, die Dinge etwas anders zu machen, uns zu unterscheiden.

formfaktor: Man muss aus der Masse herausstechen?

Es ist ein schwieriger Markt, wo wir versuchen, uns selbst treu zu bleiben. Wir gehen eben von einer Geschichte aus, die leicht zu verstehen sein muss. Wie zum Beispiel bei „Dawn to Dusk“, wo das Prinzip der auf- und untergehenden Sonne offensichtlich ist. Auch die Form haben wir dementsprechend einfach gewählt – Kreis, Linie, Dreieck – in einem Memphis-Designstil. Aber bei allen unseren Stücken folgt die Form der Funktion und die Funktion wird von der Story dahinter bestimmt. Unsere Leuchten sollen zeitlos sein und nicht modisch, das ist unser Ziel.

formfaktor: Apropos „Dawn to Dusk“: Sind sind nicht nur hier bei der Messe 100% Design vertreten, sondern auch bei der designjunction in King‘s Cross – mit einer Installation.

designjunction hat einen eher öffentlichen Charakter. Mit unserer Installation im Light Tunnel dort, die aus unserer Red Dot Sieger-Leuchte „Dawn to Dusk“ besteht, zeigen wir, was dieses Produkt ausmacht, nämlich die Palette von Farben der Sonne nachzuempfinden. Die Abfolge der unterschiedlichen Farbtöne ist programmiert. Hier hingegen bei 100% Design geht es mehr ums Geschäft. Wir sind hier, um Geschäftsbeziehungen aufzubauen.

formfaktor: Sie haben gesagt, Großbritannien sei ein übersättigter, schwieriger Markt. Gleichzeitig ist London ein sehr starkes Zentrum für die Kreativszene, wie es kaum ein zweites weltweit gibt.

London zieht viele sehr verschiedene Menschen an. Ich und meine Firma sind am Boden zerstört, dass wir Europa verlassen werden, denn die Hälfte meines Teams kommt aus Europa. Wir haben immer Designer aus der ganzen Welt angestellt. Dadurch bekommen wir sehr viele verschiedene Einflüsse und London war immer ein Schmelztiegel der Ideen. Alles bewegt sich hier sehr schnell. Das macht sehr viel Spaß. Vielleicht verlieren wir jetzt ein bisschen davon.

formfaktor: Welche neuen Technologien gibt es im Leuchten-Bereich, die über LED hinausgehen? Ist OLED ein Thema für Sie?

OLEDs sind derzeit noch schwierig, weil sie sich nicht so leicht an unterschiedliche Formen anpassen lassen. Die Technologie, die wir im Moment am meisten verwenden, ist Bluetooth, um unsere Produkte aus der Ferne bedienen zu können. Um sie zu dimmen oder zu programmieren und sie in ein existierendes System in einem Haus einzubinden. Zum Beispiel kann man unsere „Introvert Extrovert“-Leuchte mit einem normalen Dimmer steuern: sowohl die Helligkeit als auch die Farbe, aufgrund einer smarten Technologie innerhalb der Leuchte. Oder man kann sie per Smartphone steuern.

formfaktor: Das heißt, die Leuchte kann in ein bestehendes Smart Home System integriert werden?

Ja, wird verwenden dafür die Bluetooth-Plattform Casambi, mit der man die Leuchte mit anderen Geräten verbinden und auch in ein Smart Home implementieren kann. Obwohl wir eine kleine Firma sind, wollen wir technologisch immer up to date sein, um zukunftsfähige Produkte herzustellen. Die Technologie arbeitet bei uns zwar versteckt im Hintergrund, aber sie ist vorhanden.

formfaktor: Sie bezeichnen Ihre Firma als klein. Wie klein?

Wir haben 21 Mitarbeiter*innen im Studio, aber wir arbeiten auch mit einer ganzen Reihe von Herstellern und Beratern zusammen. Den Großteil produzieren wir in Großbritannien. Mundgeblasenes Glas beziehen wir aus Tschechien und einige Technikteile kommen aus China, weil es manches nur dort in ausreichender Qualität gibt. Aber hergestellt und montiert wird alles in Großbritannien, was ein großer Vorteil ist, weil wir selbst in die Fabriken gehen und den Produktionsprozess genau sehen können.

formfaktor: Was sind Ihre nächsten Pläne?

Wir wollen unsere Produktpalette erweitern und in andere Ländern gehen. Wir möchten einen Flagship-Store in jedem Markt haben, jemanden, der unsere Produkte auf angemessene Weise repräsentieren kann. Wir sind auf der Suche nach Verkäufern, die unsere Produkte im Ausland vertreiben und wir streben danach, in allen europäischen Ländern medial Aufmerksamkeit zu erregen, denn wir müssen unsere Business Awareness verbessern. Wir haben ja 10 Jahre quasi geheim an unseren Projekten gearbeitet und viele davon sind im privaten Wohnbereich. Das heißt, sie befinden sich hinter verschlossenen Türen. Mit unseren eigenen Produkten waren wir schon häufiger in der Presse und sind allgemein bekannter geworden. Das ist natürlich eine gute Sache für uns.

formfaktor: Denken sie daran, auch mal etwas anderes als Leuchten zu gestalten?

Ben Rigby: Wir haben in der Vergangenheit solche Überlegungen angestellt. Es ist sehr einfach, abgelenkt zu werden und den Fokus zu verlieren. Der Markt verlangt nach vertrauenswürdigen Produkten, die langfristig verfügbar sind. Das heißt, wir fokussieren uns auf eine Sache, die wir gut machen wollen und wo wir mit jedem Jahr besser werden. Möglicherweise denken wir irgendwann in der Zukunft auch an anderes, aber derzeit dreht sich bei uns alles um Leuchten.

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