Home Design Wenn nicht jetzt, wann dann? – Dutch Design Week 2019

Wenn nicht jetzt, wann dann? – Dutch Design Week 2019

von Markus Schraml
DDW 2019

Seit einigen Jahren kann das übergreifende Thema der Dutch Design Week in Eindhoven in einem einzigen Wort zusammengefasst werden – Zukunft. Und welche Rolle Designer*innen in ihr spielen können, um die Herausforderungen, die vor der Menschheit liegen, auf bestmögliche Art anzugehen. Mit rund 350.000 Besucher*innen festigt die DDW ihre Position als führende Designveranstaltung im Norden Europas. Direktor Martijn Paulen zieht eine positive Bilanz: „Wichtige Samen wurden gepflanzt, die eine Zukunft in Aussicht stellen, die voll innovativer, sprühender Ideen für Produkte, Services und neue Materialien ist, die dabei helfen werden, die Welt voranzubringen.“

Die Gestaltung der Zukunft – jetzt

Für die Dutch Design Week verwandelt sich Eindhoven zu dem Designzentrum des Nordens. Dort geht es weniger um die Präsentation von Produkten, sondern um kritische Installationen, die vielfältige Art sich mit relevanten Themen auseinanderzusetzen und neueste überraschende Lösungsansätze. Die Ausgabe 2019 bot eine Fülle an Ausstellungen, Vorträgen, Touren und Laboratorien, die sich nicht nur mit smarten Auswegen für brennende soziale Fragen beschäftigten, sondern auch alternative Materialien, Neuerungen im Handwerk und innovative Systeme vorstellten. Zentrale Themen waren Nachhaltigkeit, emissionsfreie Mobilität, Digitalisierung und Privatsphäre, Health Design, soziale Auswirkungen neuer Technologien und Biodesign. Auf der Bio Design Route konnten Besucher*innen den Unterschied zwischen „Gestalten mit Natur“ und „Natur neu gestalten“ entdecken. Vorbei am „Growing Pavilion“ von Pascal Leboucq, der der Frage nachging, welche Rolle biobasierte Materialien im Bauwesen spielen können über die Ausstellung „Chemarts“ im Veem, wo neue Konzepte für die Verwendung von holz- und zellulosebasierten Materialien, die von Studierenden und Professoren der Aalto Universität erforscht werden, präsentiert wurden bis hin zum „Biomaterials Archive“ von Studierenden der Design Academy Eindhoven, in dem Biodesign-Objekte, DIY-Maschinen, gewachsene Materialien sowie Materialien aus recyceltem Abfall gezeigt wurden. Diese jungen Designer*innen nehmen die Sache selbst in die Hand, züchten Organismen und recyceln, was das Zeug hält. Sie präsentierten Alternativen zu Leder, Kunststoff, Marmor, Baumwolle, MDF und vieles mehr.

Das Symbiozän kommt

UNSEAM (Bas Froon und Karin Vlug) entwickelt neue Technologien, die die digitale und on-demand-Herstellung von Kleidung ermöglichen. Außerdem wurde während der DDW erstmals 3D-geformtes Leder aus Quallen gezeigt. Unter den diesjährigen Kuratoren des Festivals war auch Jalila Essaïdi, die sich auf biobasierte Materialien und Bio-Art spezialisiert hat und mit Projekten wie „bulletproof skin“ oder „Mestic“ internationales Aufsehen erregt hat. Außerdem ist sie die Gründerin von BioArt Laboratoires. Ebendort (einem ehemaligen Militärkomplex innerhalb eines Waldes) initiierte sie verschiedene Ausstellungen zum Thema Biodesign: „Ich bin froh, dass BioArt und Biodesign so gute Akzeptanz finden auf der Dutch Design Week. Als ich vor 10 Jahren an der Schnittstelle von Biotechnologie und Kunst zu arbeiten begann, wurde das als nicht normal angesehen. Wir bewegen uns jetzt vom menschen-zentrierten Anthropozän hin zu einer Ära der Symbiose aus Natur, Technologie und Gesellschaft“, ist Essaïdi überzeugt. Die BioArt Laboratories in Strijp waren ohne Zweifel einer der Hotspots der DDW. In ihrem „Symbiocene Forest“ wurden die Kernprinzipien des Symbiozäns (Mensch, Natur und Technologie leben in Symbiose) veranschaulicht: volle Kreislauffähigkeit, die Eliminierung jeglicher giftiger Substanzen, vollständige und sichere biologische Abbaubarkeit aller vom Menschen benutzten Materialien sowie die nahtlose Integration von Technologie in physische und lebende Systeme.

Ein weiterer Kurator und weltweiter Vorreiter in der Verbindung von Architektur und Natur ist Stefano Boeri. Mit seinem berühmten „Vertical Forest“ in Mailand stieß er eine Diskussion an, wie sich Städte verändern müssten um lebenswerter zu werden und dem Klimawandel entgegenzuwirken. „Ich möchte die Aufmerksamkeit der Menschen erregen, dass Städte Zentren für neue globale grüne Infrastrukturen sind, die sich über den ganzen Planeten ausbreiten werden. Zusammen müssen wir in eine neue Ära eintreten, in der Städte und Natur kollaborieren“, sagt Boeri.

The Plastic Age

In der Ausstellung „Rethinking plastic: design with a mission“ präsentierten 25 Designer*innen und Unternehmen ihre Projekte und Produkte, die das Plastik-Problem auf unterschiedlichste Weise aufgreifen: Von organischen Verpackungen bis zu recyceltem Plastikspielzeug und Designmöbeln. Diese Schau ist ein Update der Ausstellung der Yksi Expo, die während des World Ocean Day letzten Juni zu sehen war. Im Wesentlichen geht es darum, Wege aufzuzeigen, wie mit Plastik völlig neu und anders, vor allem aber kreativ umgegangen werden kann, um die Verschmutzung des Planeten mit Plastikmüll zumindest zu verringern und letztendlich völlig zu verhindern. Ein Beispiel: Shahar Livne sammelt Plastikabfälle von Stränden in den Niederlanden und Israel und überzieht sie mit Minen- und Marmorstaub, Nebenprodukte des Kohlebergbaus und der Steinmetzindustrie. Mittels Hitze und Druck ahmte sie den Prozess der geologischen Metamorphose nach. In ferner Zukunft, wenn der Mensch kein Plastik mehr produziert, kann dieses „Lithoplast“ auf der Tiefe gefördert werden, so die Spekulation von Livne. Oder die „Recycled Island Foundation“ aus Rotterdam: Das Unternehmen startete vor fünf Jahren mit einer Art Falle zum Sammeln von Plastikmüll aus Flüssen, Seen und Häfen. Das Material wird recycelt zu Elementen, die für schwimmende Parks verwendet werden, zu Sofas aus dem 3D-Drucker oder zu Baumaterialien. Der Australier Brodie Neill wiederum llt eine Sanduhr nicht mit Sand, sondern mit vielfarbigen Plastikteilchen, die er am heimischen Strand von Tasmanien sammelt. In Zusammenarbeit mit NGOs, Umweltorganisationen und Strandgutsammlern reinigt Neill auch andere Strände rund um den Globus. Die Sanduhr ist dabei ein Symbol für das Problem des Plastikmülls und ein Weckruf, um etwas dagegen zu unternehmen. Chloe Severien stellt aus recyceltem PET von Autoreifen Strickwaren her, die immerwährend wiederverwendbar sind. „Dieses Garn ist superstark, bunt und glänzend“, sagt sie. Zum Stricken eines neuen Stücks kann das verwendete Garn entwirrt und wieder neu damit gestrickt werden. Die „Infinite Re-usable Knitwear“ wurde für den „Manifestations Young Talent Award“ nominiert und hat bereits den „Dremepelprijs“, einen Preis der Stadt Rotterdam gewonnen.

https://vimeo.com/347025601

Video von den Dutch Design Awards 2019:

 

Ausstellung „Dutch Design Awards“ während der Dutch Design Week 2019


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