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Ideen brauchen Raum – Marco Dessí

von Markus Schraml
Thonet 520, Skizze Marco Dessí

Der Südtiroler Marco Dessí ist einer der renommiertesten Möbeldesigner Österreichs. Lebt und arbeitet er doch seit vielen Jahren in Wien und hat in dieser Zeit mit einigen der traditionsreichsten österreichischen Marken kooperiert. Er entwarf Tableware für Augarten, Glasserien und Leuchten für Lobmeyr oder Polstermöbel für Wittmann. Sein Fingerspitzengefühl im Umgang mit renommierten Firmen führte auch zur Zusammenarbeit mit La Manufacture (Linus-Stuhl), Thonet (520) und zuletzt Tecta (D70).

Traditionelle Möbelhersteller sind bestrebt, ihr reiches Erbe in die Zukunft zu tragen. Dazu sind neue Entwürfe notwendig, die den Geist der Marke in sich tragen und gleichzeitig den Schritt nach vorne wagen. Gerade für diese Aufgabe ist Dessí prädestiniert. So hat er dem klassischen Thonet-Bugholzstuhl Polsterungen verpasst und dem Unternehmen damit völlig neue Möglichkeiten der Interieurausstattung und damit Marktchancen eröffnet. Mit dem D70 für Tecta gelang ihm das Kunststück, die Bauhaus-DNS des deutschen Herstellers einzufangen und gleichzeitig einen völlig eigenständigen Entwurf abzuliefern.

Im FORMFAKTOR-Exklusivinterview spricht Marco Dessí über offene Entwurfsprozesse, Prototypen, die zu Editionen werden und seine neue Arbeit als Gastprofessor an der NDU (New Design University) in St. Pölten.

FORMFAKTOR: Wie wurde der D70 für Tecta bisher angenommen?

Marco Dessí: Das Möbel wurde sehr gut angenommen. Es begeistert. Und – was uns besonders freut – es wird als echtes Tecta-Möbel wahrgenommen. Auch Tecta selbst ist davon überzeugt. Auf der kommenden Büro- und Objektmesse Orgatec in Köln (Anm.: 25.-29. Okt.) werden wir einen D70-Schwerpunkt setzen und die Wandelbarkeit dieses Möbels zeigen. Wir glauben, dass der D70 auch in dieses Segment sehr gut passt.

FORMFAKTOR: Wie stark werden Deine Entwürfe von den Herstellungsprozessen des Auftraggebers beeinflusst?

Marco Dessì: Grundsätzlich ist das Erbe, sind die Herstellungsprozesse, die für eine bestimmte Marke prägend sind, der Ausgangspunkt. Bei Thonet ist es das Bugholz, bei Tecta sind es die Bauhaus-Entwürfe etwa von Marcel Breuer. Da gibt es Ikonen, die faszinieren und diese Faszination ist dann auch für den eigenen Entwurf inspirierend. Das ist relativ einfach. Schwieriger wird es, wenn sich eine Firma weiterentwickeln will und sich von der strengen Traditionsbindung lösen möchte. Wenn man zum Beispiel von Thonet den Auftrag für einen Sperrholzstuhl bekommt, womit man das Unternehmen normalerweise nicht assoziiert, dann kann man beispielsweise das ungewöhnliche Material mit bekannten Elementen kombinieren, wie es Sam Hecht von Industrial Facility gemacht hat. Wo das Sperrholz mit einer Bugholz-Armlehne verbunden wurde.

Ich setze mich mit dem Portfolio auseinander. In den Gesprächen mit den Firmeninhabern und beteiligten Personen aus dem Unternehmen kristallisieren sich meistens schon erste Bildfetzen heraus. Oft sind aber gerade die ersten Ideen, die das Ganze vorangetrieben haben, diejenigen, von denen man sich irgendwann lösen muss. Man hält sich an einem Element fest, von dem man glaubt, dass es ganz ganz wichtig ist, aber wenn man davon lassen muss, kommt häufig erst der schönste Teil des Entwurfsprozesses. Dann ist man nämlich befreit und kommt zu einem Konzept, das wirklich hieb und stichfest ist und alle überzeugt. Man kann sich dann formal wieder freier bewegen und es beginnt das wirkliche Designen.

FORMFAKTOR: Heutzutage passiert die Entwurfsarbeit am Computer. Wie beginnst Du diese Arbeit? Gleich am PC oder doch mit einem Skizzenblock?

Marco Dessí: In den letzten Jahren bin ich mehr und mehr zum Skizzenblock zurückgekehrt. Ich habe immer sehr gerne gezeichnet. Zeichnen war meine erste Art, Ideen zu visualisieren. Danach habe ich mich mit dem Computer und den ganzen Konstruktionsprogrammen auseinandergesetzt. Auch mit den neuen Real-Time-Renderprogrammen. Dort kommt das 3D-File hinein und man hat sofort eine Visualisierung. Auf diese Weise kann man sehr viel ausprobieren. Das hat aber auch Nachteile, nämlich, dass man geblendet ist von dieser fertigen Ästhetik. Dadurch lässt man der Idee zu wenig Raum. Man macht sich Gedanken über technische Details, die man sich in diesem frühen Stadium eigentlich gar nicht machen sollte. Die Zeichnung hat den Vorteil, dass sie wie eine Krücke funktioniert, die die Erinnerung in bestimmten Momenten stützt. Auf diese Weise kann man sehr schnell weiterkommen und verliert nicht so viel Zeit am Computer. Also – die Skizze ist sehr sehr wichtig.

FORMFAKTOR: Wie sieht es bei Dir mit dem Verhältnis von selbstinitiierten Projekten und Auftragsarbeiten aus?

Marco Dessí: Da gibt es, glaube ich, ein gutes Gleichgewicht: 50-50. Ich habe ständig Ideen. Man sieht Details in der Architektur, in der Mode, man sieht in einer Werkstatt etwas – das alles können Auslöser sein, die mich formal oder konstruktiv auf Ideen bringen. Die hast Du im Kopf und irgendwann lässt Dich eine nicht mehr los und Du fängst an zu arbeiten. Dann arbeitet man die Idee bis zu einem gewissen Punkt aus, lässt sie wieder liegen, beginnt etwas anderes. Es sind parallele Prozesse von halbfertigen Ideen. Vielleicht gibt es ein Briefing, wozu eine der Ideen passt und man entwickelt sie dann weiter. So gesehen ist es ein sehr schöner Beruf, weil er sehr viele verschiedene gestalterische Aspekte berührt.

FORMFAKTOR: Auch die Leuchte CIMA, die später von Lodes produziert wurde, geht auf ein selbstinitiiertes Projekt zurück.

Marco Dessí: Ich wurde von QWSTION Store gefragt, ob ich nicht eine Installation mit meinen Arbeiten machen wolle. Ich sagte Ja und schaute, was ich in meinem Büro-Materiallager so habe. Dabei fielen mir die Tauklemmen und die Seile ins Auge, die dort schon lange herumlagen. QWSTION hatte zu der Zeit viele skandinavische Modelabel, die so praktisch daherkommen. Eine schickere Outdoor-Bekleidung. Ich hatte dann ein Bild von Castiglionis Parentesi im Kopf und dachte, die Tauklemme erfüllt dieselbe Funktion. So ist diese fast sportliche Lampe entstanden. Mit dem Seil und der Tauklemme aus dem Segelsport ergibt sich eine sehr schöne Mischung von Elementen.

Seil und Tauklemme sind die Elemente von CIMA, einer Leuchte, die Räume verändert. © Lodes

FORMFAKTOR: Wenn ich mir die Leuchte im Interieur vorstelle, dann setzt sie immer einen starken Akzent.

Marco Dessí: Die Präsenz kommt durch das Seil. Eine gerade Linie, die von der Decke bis zum Boden führt, das findet man bei keinem anderen Element. Raumhohen Fenstern ähnlich wirkt diese Lampe wie ein architektonisches Zeichen. Als ich sie zu Hause installierte, musste ich alle Bilder höher hängen, weil der Raum auf einmal viel höher wirkte. Es ist schon interessant, wie Objekte grundsätzlich den Raum verändern können.

FORMFAKTOR: Apropos Licht: The Knight für Lobmeyr ist ein beeindruckender Luster aus konischen Elementen. Was ist für Dich das Besondere am Design von Leuchten?

Marco Dessí: Die ganze Lichttechnologie spielt eine wichtige Rolle. Deswegen sind in den letzten Jahren ganz neue Leuchten in neuer Formensprache entstanden. Das wurde hauptsächlich durch die neuen Lichtquellen möglich. Beim Lobmeyr-Luster ist die formal-ästhetische Frage wichtig, wie wirkt er, wenn er ausgeschaltet ist. Außerdem wollten wir bei The Knight die Metallwerkstatt von Lobmeyr mehr involvieren, denn die Luster-Abteilung von Lobmeyr verfügt über eine reiche Metallbearbeitungstradition.

FORMFAKTOR: Es ist aber auch eine Art Hightech-Produkt.

Marco Dessí: Johannes Rath von Lobmeyr zeigte mir diese neue Platine, mit der man die ganze Palette an Lichttemperaturen stufenlos einstellen kann. Das funktioniert auch über eine App. Man kann von der Lichttemperatur einer Kerze bis zum Tageslicht alles erzeugen. Die Kegel von The Knight, die nach oben und unten gerichtet sind, lassen sich separat ansteuern. Dieses Design wirkt erstens wie ein Fachwerk und zweitens kann man damit eine Deckenbeleuchtung mit einer Raumbeleuchtung kombinieren. Außerdem lassen sich Speaker einbauen, was das Ganze in ein smartes Objekt verwandelt. Wir schufen es im Geiste der Lobmeyr-Leuchten mit Philips-Neonröhren, die heute als eher nicht typisch Lobmeyr angesehen werden. Es ist ein höchst technologisches Objekt, vor allem für so ein Traditionsunternehmen wie Lobmeyr.

FORMFAKTOR: Du bist seit Kurzem in einem für Dich ganz neuen Feld unterwegs. Du hast einen Lehrauftrag in der New Design University in St. Pölten erhalten.

Marco Dessí: Bereits in den letzten beiden Semestern konnte ich auf Einladung von Stefan Moritsch erste akademische Schritte machen, denn bis auf einen Workshop in Berlin ist das für mich tatsächlich eine ganz neue Erfahrung. Das hat mir sehr gut gefallen. Wir haben damit im letzten Wintersemester begonnen. Dann habe ich auch während des Sommersemesters Diplome betreut. Daraufhin hat mich Stefan gefragt, ob ich nicht für zwei Semester Gastprofessor sein möchte. Das ermöglicht mir, das Ganze strukturierter anzugehen. Also welche Themen vorkommen sollen, welche Gäste ich einlade usw.

FORMFAKTOR: Wie sieht es mit der inhaltlichen Richtung des Kurses aus?

Marco Dessí: Das Thema ist Outdoormöbel im weitesten Sinne. Es umfasst zum Beispiel auch Stadtmobiliar. Der Studiengang ist sehr praktisch ausgerichtet. Die Studenten werden am Ende des Semesters Modelle präsentieren. Es gibt drei Workshops, die in einer kleinen Werkstatt stattfinden. Dort arbeiten wir nur mit Karton, PVC-Röhrchen und mit Flechtwerk. Es wird dort wie in einer Fabrik zugehen. An einer Station werden Röhrchen gebogen, woanders wird abgekantet etc. Meine Assistenten und ich sind vor Ort, betreuen die Studenten und vermitteln gleichzeitig Design- und Entwurfswissen. Auf diese Art hoffe ich, die Studenten in dem schwierigen Prozess des Möbelentwerfens unterstützen zu können.

Mit dem sehr komfortablen Thonet 520 dringt das Traditionsunternehmen in den Sektor Polstermöbel vor. Dank Marco Dessí. © Thonet

FORMFAKTOR: Du hast in der Vergangenheit immer wieder Mal Editionen herausgegeben. Gibt es Pläne in dieser Richtung auch in Zukunft weiterzumachen?

Marco Dessí: Ich werde im nächsten Jahr sicher wieder einen Schwerpunkt mit Editionen setzen. Das Experimentieren war immer schon Teil meines Entwurfsprozesses, weil gerade in der Möbelindustrie während des Prototypenbaus viel passieren kann. Vieles in diesem Prozess schafft es aus verschiedenen Gründen nicht in die endgültige Produktion. Weil es ungeeignet für die Massenproduktion ist oder weil es vom Entwurf her nicht zur Linie der Firma passt, vielleicht zu künstlerisch ist. Aber aus diesen Dingen können schöne Editionen entstehen, die sich durchaus über den eigenen Freundeskreis hinaus verkaufen lassen.

FORMFAKTOR: Danke für das Gespräch!


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