Die deutsche Bundesregierung spricht von einem Teil-Lockdown, Einrichtungen wie Museen, die nun wieder schließen mussten, trifft dies jedoch mit voller Wucht. Voraussichtlich bis 30. November wird die Sperre dauern und formfaktor nutzt die Zeit, um zumindest auf digitalem Wege hinter die geschlossenen Tore zu blicken. Konkret ins Bauhaus Museum Dessau, denn dort wird nicht nur das Erbe des Bauhauses ausgestellt, auch internationale Künstler*innen sind dort seit 2016 im Rahmen des Bauhaus Residenz Programms tätig. Im einhundertjährigen Jubiläumsjahr 2019 gab es eine Bauhaus Jubiläums-Residenz, in der neben den Musikern William Overcash und Moritz Schneidewendt auch der Künstler Jay Gard eingeladen war. Gard, der an der Grenze zwischen Design und Kunst arbeitet, erhielt dabei die Gelegenheit, eine Edition von B 9-Hockern zu entwerfen, 100 Stück, die im Bauhaus Museum Dessau als Sitzgelegenheiten dienen würden. „Der B 9 von Marcel Breuer mit seiner genialen Formgebung und dem perfekten Zusammenspiel von gebogenem Metall und der rechteckigen Holzplatte ist für mich viel mehr als ein Möbel, es handelt sich um ein beeindruckendes Kunstwerk“, so Jay Gard.
Die legendäre Design von Marcel Breuer (1926/27) bildete ursprünglich das vierteilige Satztischset B 9 (das heute noch von Thonet in dieser Form verkauft wird) und besticht durch seine Schlichtheit – sie bestehen nur aus verchromtem, gebogenem Stahlrohr und einer rechteckigen Platte. Die Satztische B 9 gehören zu Breuers ersten Entwürfen im Rahmen seiner Experimente mit Stahlrohr. Sie entstanden für die Kantine des Dessauer Bauhaus-Gebäudes. Aber auch in den Studentenapartments und Meisterhäusern von Walter Gropius wurden die kleinen Tische eingesetzt. Durch ihre Einfachheit sind sie vielseitig verwendbar. Als Beistelltisch in Sitzgruppen, als Ablage und als Abstellplatz für Accessoires. In vielen Fällen wurde der B 9 wohl auch als Sitzgelegenheit verwendet.
Das Besondere an der Arbeit Jay Gards ist sein Farbkonzept, für das er auf einen Kinderzimmerteppich (1929) von Grete Reichardt, einer der erfolgreichsten Gestalterinnen am Bauhaus, zurückgriff. „Sowohl die Materialität und Farben des gewebten Textils, das ebenfalls Teil der Ausstellung ist, als auch die Tatsache, dass es sich um ein Kunstwerk mit Gebrauchswert handelt, fand ich absolut spannend“, erklärt Gard. Er splitterte den Teppich in seine einzelnen Farben auf, wobei durch Schattenspiel und Reflexionen weitere Farbtöne hinzukamen. Am Ende waren es ca. 30 Nuancen, die der Künstler frei kombinierte. Die jeweilige Sitzfläche gestaltete er monochrom, an den Seiten und darunter ließ er mehrere Farben fächerartig zusammenspielen. Dadurch wird jeder Hocker zu einem Unikat. Die sehr fein pigmentierten Acrylfarben trug Gard im Rahmen seines Bauhausaufenthalts im Meisterhaus Schlemmer per Rolle auf die Holzplatten auf. Darüber hinaus entwickelte Jay Gard zwei Künstlereditionen, die über den Museumsshop verkauft werden.
Der Hocker trägt den Namen „Margaretha“, in Erinnerung an Grete Reichardt. Die Künstlereditionen heißen „Margaretha 2“ und „Margaretha 3“. Die aus Reichardts Teppich gewonnenen Farben trug Gard dafür auf dünnes Schichtholz auf, das er mit einem Lasercutter in Streifen schnitt. Diese setzte er wiederum einerseits kreisförmig andererseits in S-Form auf den Oberflächen von weiteren 30 Hocken zusammen. Die beiden limitierten Kunsteditionen sind in den Museumsshops von Jörg Klambt in Berlin, Potsdam und Dessau für jeweils 1.200 Euro zu erwerben.
Die B 9-Hocker sind durch ihre Größe perfekt für Museumbesucher*innen geeignet, da sie von ihnen genau dort platziert werden können, von wo sie gerade die Exponate betrachten wollen. „Jeden Tag entstehen neue Anordnungen der Hocker. Durch diese spielerische Aktion spüren die Besucher*innen sehr konkret, wie Farben miteinander wirken. Ich bin sicher, dass ein solch körperliches Erlebnis von Farben eine Menge Kreativität freisetzt“, glaubt der Künstler. Die B 9 Hocker von Jay Gard sind seit September 2019 im Bauhaus Museum Dessau im Einsatz und ein zusätzliches schlagkräftiges Argument das Haus zu besuchen – wenn es irgendwann wieder erlaubt ist.