Eines der kreativsten Designstudios Österreichs kommt aus Linz. Christoph March und Marek Gut gründeten MARCH GUT vor fast 10 Jahren. Beide studierten Industrial Design an der Kunstuniversität Linz und haben sich im Lauf des letzten Jahrzehnts einen Namen vor allem im Bereich Ausstellungsdesign gemacht. Zur Vienna Design Week (VDW) zeigen sie, dass sie neben hervorragenden Interieurgestaltern auch potente Produktdesigner sind. Dazu haben sie – Corona sei dank – für die Präsentation ein flexibles Road Studio ins Leben gerufen, mit dem sie während der VDW durch Wien touren und an mehreren Stationen Produkte wie den Kontur-Tisch, die neue Darf-Leuchte (in Form einer sehenswerten Lichtinstallation) oder ihre Polstermöbelkollektion für Joka zeigen.
Im Vorfeld hat formfaktor Christoph March und Marek Gut zum Zoom-Interview getroffen und mit ihnen über die Zusammenarbeit mit Betrieben in Oberösterreich, die Zukunft des Ausstellungsdesigns in Corona-Zeiten und ihr nahendes 10-jähriges Studio-Jubiläum gesprochen.
formfaktor: Wie kamen Sie auf die Idee des „Road Studio“?
Christoph March: Die Idee hatten wir schon im Frühjahr zur Zeit der Anmeldung für die Vienna Design Week. Das ist immer ein wichtiger Termin für uns und wir wollten unbedingt wieder dabei sein. Natürlich war das zu einer Zeit des Lockdowns und wir haben uns überlegt, wie wir dem Ganzen entgehen können. Das heißt: keine geschlossenen Räume, mobil sein, im Team arbeiten – und so entstand die Idee. Dazu kam, dass wir neben unserem Studio einen kleinen Schauraum haben, der genauso groß ist wie die Ladefläche des LKWs, den wir jetzt für das Road Studio verwenden. Wir haben also das Schaufenster ins Auto gepackt und sind damit nach Wien gefahren.
Marek Gut: Es hat auch deshalb gut gepasst, weil die Möbel, die wir zeigen, unter anderem ein Auszug aus unserem Projekt Grand Garage (Innovationswerkstatt in der Tabakfabrik Linz, Anm.) sind, die auch sehr mobil sind. Das heißt, sie lassen sich schnell auf- und abbauen, sowohl der Kontur-Tisch als auch die Profil-Serie. Das Ganze wurde dann immer schlüssiger, weil wir gesagt haben, dass wir die Schauräume unserer Kooperationspartner wie Wever & Ducré oder Joka einfach anfahren und besuchen können.
formfaktor: Wie flexibel ist Ihr „Road Studio“?
Christoph March: Es gibt die Fixpunkte bei unseren Kooperationspartnern, der Rest ist flexibel. Wir haben das letztes Wochenende schon einmal in Wien ausprobiert und bei Freunden von uns, mischer’traxler, vor der Tür geparkt. Es geht einfach darum, dass man dort sein kann, wo etwas passiert. Das ist das Spannende.
formfaktor: Es wird also neben den Fix-Terminen kurzfristige zusätzliche Stopps geben?
Christoph March: Ja, wir werden auf Instagram und Facebook teilen, wo wir gerade unterwegs sind. Damit erreichen wir zwar nicht jeden, aber es hat letztes Wochenende schon recht gut funktioniert, dass Menschen zurückschreiben und fragen, wo wir sind und dann tatsächlich auch vorbeikommen. Damit erreichen wir andere Personenkreise, die mit der Vienna Design Week gar nichts zu tun haben. Da wird dann über andere Themen gesprochen. Es ist uns auch wichtig, ein bisschen über den reinen Design-Zirkel hinauszukommen.
Marek Gut: Und es wird auch gut verstanden, wie man an den Reaktionen gemerkt hat. Weil wir es wie ein kleines Büro eingerichtet haben, wird das Thema Arbeit und Mobilität oder mobile Arbeit sehr schnell klar.
formfaktor: Mit auf die Road Tour gehen also auch ihre Gestaltungen, die sie für die Grand Garage in Linz entworfen haben. Besonders interessant finde ich die Profil-Serie. Wie haben Sie diese Idee entwickelt, Metallregale als Rahmenstruktur für Polstermöbel zu verwenden?
Marek Gut: Die Grand Garage ist eine Werkstatt, die sich von innen heraus entwickelt. Wenn man einen Ort schafft, der mit verschiedensten Maschinen ausgestattet ist, kommt schnell die Idee, dass man auch die Möbel, die man braucht, dort intern herstellen könnte. Das Thema der Lagerregale haben wir schon vor einigen Jahren für uns gefunden, daran gearbeitet und adaptiert. Im Zuge dieses Projekts haben wir die Idee weiterentwickelt und nach und nach die Profil-Serie getestet. Die Regale sind für unseren Zweck speziell konfektioniert, die Polsterung kommt von Joka.
Christoph March:Für dieses Projekt haben wir uns auch immer wieder darauf besonnen, worauf sich dieser Name „Grand Garage“ eigentlich bezieht. Und der bezieht sich natürlich darauf, dass viele bekannte Unternehmen als Start-ups in Garagen gegründet wurden. Das heißt, wir haben entworfen, entworfen, entworfen und dann aber gesehen, wir müssen zurück zum Ursprung. Das Lagerregal war eine logische Schlussfolgerung. Es geht also um die Reduktion auf das Wesentliche und den Werkstoff in einer Garage.
formfaktor: Ebenfalls speziell für die Grand Garage wurde die Kontur-Serie entwickelt. Wie kam es dazu?
Christoph March: Zum einen gibt es immer budgetäre Überlegungen, wenn man eine 4000 m² Fläche einrichten soll und Möbel in einer guten Qualität haben möchte. Am Anfang hat man auch nicht die Community, die das Ganze irgendwann füllen wird. Anfangs sind es vielleicht 30 Leute, aber mit dem Ziel in fünf Jahren 3000 zu haben. Das verändert natürlich auch stark den Bedarf an Mobiliar. Deshalb der Gedanke, dass, wenn neue Leute kommen, gehen die zuerst zur Einschulung an die CNC-Fräsmaschine, spannen die Platte ein und fräsen sich ihren eigenen Tisch und eigenen Hocker. Das war das Grundkonzept.
formfaktor: Außerdem werden Sie die Crafted Collection von Joka und Wittmann nach Wien mitnehmen. Was war die größte Herausforderung für Sie an diesem Projekt?
Marek Gut: Das Projekt kam über ein Möbelcluster in Oberösterreich zustande. Joka und Wittmann haben ein Designerteam gesucht. Von der ersten Skizze bis zur serienreifen Produktion sind dann zwei Jahre vergangen. Das Thema für diese Serie lieferte die Firmengeschichte der Massivholztischlerei Wittmann. Sie hat ihre Wurzeln nämlich im Wagenbau. Das heißt, sie haben Holzkonstruktionen für Autos gemacht. Diese Unterkonstruktionen fanden wir sehr spannend und haben daraus den Ansatz entwickelt, dass man das Holz nicht unter der Polsterung versteckt, sondern dass man es zeigt.
formfaktor: Apropos Holz. In vielen Ihrer Projekte und Interieurs haben Sie mit Holz gearbeitet. Was macht denn für Sie das Besondere an diesem Material aus?
Marek Gut: Es hat sehr viele Vorteile, abgesehen von der Materialität, die einen sehr wohnlichen Charakter hat. Zum Beispiel erreicht man zu Beginn schon bei kleinen Stückzahlen eine hohe Qualität.
Christoph March: Wichtig ist für uns, dass man regional arbeiten kann, den Kreislauf ganz anders schließen kann. Derzeit sind wir gerade dabei ein Projekt im Stift Wilhering, ein Chorgestühl, abzuschließen, an dem wir seit drei Jahren arbeiten. Dort kommt das Holz direkt aus dem Wald des Stiftes und wird dann zu einem Sägewerk ins Mühlviertel gebracht und vor Ort verarbeitet. Das heißt, man kann hier wirklich extrem nachhaltig arbeiten. Das ist ein Material- und Produktzyklus, den man bei Metall, Kunststoff oder Glas nicht hat.
formfaktor: Sie arbeiten ja schon von Anfang an sehr eng mit lokalen Partnern vor allem in Oberösterreich zusammen.
Christoph March: Ja, total. Erstens ist es ein leichter Zugang. Und bei Projekten ist es sehr wichtig, engen Kontakt zu pflegen. Wir schauen uns natürlich auch die Produktionen vor Ort an und kennen die Betriebe. Je enger man zusammenarbeitet, desto besser kann man Projekte abwickeln.
Marek Gut: Wir sind in Oberösterreich auch in der glücklichen Lage, dass die Industrieregion sehr viele Betriebe hat, die alle in einer sehr hohen Qualität arbeiten. Deshalb ist es ein leichtes Spiel, Qualität zu finden.
formfaktor: Wir leben in Zeiten einer Pandemie und der Sozialkontakt-Einschränkungen. Dazu passend haben Sie für das Biohotel Schwanen ein Servierbrett entwickelt.
Christoph March: Das ist ein absolutes COVID-19-Projekt und genau aus den bekannten Gründen entstanden. Es sind gute Freunde von uns, wir haben uns aber während der ganzen Entwicklungszeit nie gesehen. Wir hatten die ersten beiden Meetings über Zoom und haben alles digital abgewickelt. Und selbst mit unserem Tischler Marcus Feist haben wir nie Face-to-Face über dieses Projekt gesprochen. Das Ganze war eine prototypische Pandemie-Zeit-Geschichte – von der Abwicklung her. Die Überlegung von Emanuel (Moosbrugger Anm.) vom Biohotel Schwanen war, dass man eine Art Tableau zum Gast an den Tisch bringt und nur einmal mit ihm Kontakt hat. Dieser Vorgang – die Gäste nehmen sich die gefüllten Teller vom Brett und stellen sie danach wieder darauf – prägt natürlich die Form des Ganzen. Das Brett hat eine Länge von 1,20 Meter, das heißt, der Kellner kann, um zu servieren, schon in einiger Entfernung stehen bleiben und muss nicht ganz an den Tisch herantreten. Anscheinend hat es wirklich etwas gebracht – wir selbst waren ja noch nicht dort – und wird sehr gut angenommen.
formfaktor: Sie sind Experten für Ausstellungsdesign. Wie müssen Ausstellungsräume virus-gemäß angepasst werden? Müssen sie das überhaupt oder reicht ein kontrollierter Einlass?
Christoph March: Wir arbeiten im Moment an mehreren Ausstellungen und das Thema ist allgegenwärtig. Andererseits muss man sagen, dass viele der großen Ausstellungen, die wir machen, auf eine Laufzeit von zehn bis fünfzehn Jahren ausgelegt sind und wir hoffen alle, dass das bald überstanden ist und dass man nächstes Jahr wieder normal in Ausstellungen gehen kann. Wobei schon einige Dinge verloren gehen, was Interaktivität betrifft, die gestrichen werden oder gestrichen werden müssen. Das ist schade, denn viele Museen haben gerade in den letzten Jahren verstärkt auf Interaktivität gesetzt. Das fällt jetzt zu einem großen Teil flach. Ansonsten behalten wir unsere Konzepte bei. Wir haben immer schon darauf geachtet, dass Besucher in Ausstellungen kein Gefühl der Enge bekommen. Uns waren Freiräume immer wichtig.
Marek Gut: Es gibt Situationen wie bei Hörstationen diese Einhandmuscheln, die normalerweise anzutreffen sind oder Touchscreens – davon waren wir schon vor der Pandemie keine großen Fans. Solche Dinge kann man vermeiden, indem man auf das persönliche Handy der Besucherinnen zurückgreift und Ausstellungsinformationen via App über das eigene Handy hört. Schließlich bleibt auch noch die Möglichkeit der Desinfektion. Man bietet den Menschen vor- und nachher die Möglichkeit, die Hände zu desinfizieren. Diese Möglichkeiten werden ja derzeit schon verstärkt integriert. Oder Rundgänge: Es gilt zu verhindern, dass sich Menschen entgegenkommen. Da gibt es Möglichkeiten und das gelingt uns auch sehr gut. Zum Beispiel bei der kommenden Landesausstellung in Oberösterreich gibt es eine Wegroute. Die Besucher gehen beim Haupteingang hinein und kommen hinten wieder heraus. Aber auch das war eigentlich schon immer ein Thema für uns, dass man beispielsweise Engstellen vermeidet.
formfaktor: MARCH GUT besteht seit gut 10 Jahren. Wie war dieser Weg, wenn Sie in rückblickend betrachten? Was war in der Anfangszeit das Schwierigste?
Marek Gut: In der Anfangszeit haben uns viele verschiedene Dinge interessiert. Wichtig war dann, – sowohl für uns als auch für unsere Kunden – dass wir unser Profil zugespitzt haben und unsere Interessen danach ausrichteten, um genau zu zeigen, wer wir sind und was wir machen. Es hat sich über die Jahre dann so entwickelt, dass wir immer wieder rückblickend und gleichzeitig nach vorn blickend, uns gefragt haben, in welche Richtung wir gehen wollen, was uns Freude macht. Und danach loten wir immer wieder aus. So sind im Lauf der Jahre unsere Standbeine entstanden, wie einerseits die Möbel, andererseits die Ausstellungen und das Interieur von Geschäften und Lokalen.
Christoph March: Wenn wir jetzt eine Idee haben, die uns Spaß macht oder in einem neuen Bereich gestalterisch tätig sein wollen, dann machen wir das einfach. Das war früher anders. Vielleicht hat es auch mit den Referenzprojekten zu tun. Jetzt sind wir auf jeden Fall viel proaktiver. Wie zum Beispiel bei der Leuchte Darf. Architekt Philipp Weinberger suchte für einen Bereich in der Tabakfabrik Linz, den er umgebaut hat, eine Leuchte mit LED-Neonröhre und kam auf uns zu, ob wir das machen können. Wir haben zugesagt und hatten dann diesen coolen Entwurf und sind damit zu Wever & Ducré gegangen. Die waren sofort davon begeistert und haben die Leuchte in ihr Portfolio aufgenommen. Es war aber schon ein langer Weg – eineinhalb Jahre bis zur Produktion. Jetzt zeigt sich auch, dass es einen großen Bedarf an LED-Neonröhren gegeben hat. Auf jeden Fall hat sich dieses proaktive Verhalten für uns ganz gut entwickelt.
formfaktor: Welchen Zugang haben sich eigentlich zur Gestaltung von Leuchten?
Christoph March: Das ist für uns nicht ganz unproblematisch, weil man sich immer an der Schwelle zwischen Funktionalität und Objekt bewegt. Wir sind in unseren Gestaltungen relativ funktionsbezogen. Wir machen keine Dekoration. Deshalb passt auch die Darf sehr gut zu uns. Oder auch die Lamella für Molto Luce, die sich eigentlich auf ein Kühlrippensystem bezieht.
Marek Gut: Der Vorteil, wenn wir Leuchten designen, ist, weil wir stark im Interieurbereich arbeiten, wissen wir, was man dort oftmals benötigt. Und oft ist es eine sehr reduzierte Leuchte, weil die Raumgestaltung schon sehr viel vorgibt. Deshalb wird in Geschäften oder Lokalen häufig auf zylindrische Spots zurückgegriffen, die nicht auffallen und einfach das benötigte Licht abgeben. So gesehen hat uns die Entwicklung von Darf viel Spaß bereitet, weil sie eine Antwort auf die Frage gibt: Wie schafft man es, nur Licht zu zeigen?