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Milan Design Week 2024 – die Highlights

von Markus Schraml
passing rain - Projekt von nendo für die Ausstellung whispers of nature.

Der subjektive Eindruck täuschte nicht, der Salone del Mobile.Milano 2024 konnte mit 370.824 Besuchern eine Steigerung von 20,2 % im Vergleich zu 2023 verbuchen. Selbst im Vergleich mit 2019 (386.236) und vor allem mit 2017 (343.602) war es also ein voller Erfolg. Dabei blieb die Anzahl der Aussteller in etwa gleich (2023 – 1.962, 2024 – 1.950). Die internationale Beteiligung stieg von 30 auf 35 Länder. Vergleicht man die Ausstellerzahl allerdings mit 2019 (2.418), ist doch wie überall ein deutlich negativer Messetrend festzustellen. Dies geht mit einer steigenden Beliebtheit der Stadt Mailand selbst als Ausstellungsort einher. Die Betreiber der Plattform fuorisalone.it sprechen von 1125 lokalen Events im Rahmen der Mailänder Designwoche 2024 (2023: rund 900). Deshalb startet auch die FORMFAKTOR-Erkundung der größten Designveranstaltung der Welt in der City.

Highlights in Mailand Stadt

1) Das japanische Designstudio nendo ist während der Mailänder Designwoche stets an mehreren Projekten beteiligt. Herausragend in diesem Jahr war die Ausstellung „nendo: whispers of nature“ auf dem Showroom-Gelände von Paolo Lenti Milano, mit der Chefdesigner Oki Sato dazu einlud, Natur aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Gleichzeitig war es eine Feier zur 20-jährigen Beteiligung nendos in Mailand. Die Soloausstellung bestand aus fünf Installationen, eine davon ist das Ergebnis von Experimenten mit Textilspulen und deren Eintauchen in Farbe. Mit „pond dipping“ erschuf nendo sechs Teppiche, die sich durch Textilmuster auszeichnen, welche durch den Eintauchwinkel und die Dicke der Spule entstehen. In „clustered clouds“ wiederum kommt die Inspiration aus den Formen der Wolken. Das Cluster-Wolken-Regalsystem besteht aus perforiertem Edelstahl. Die geometrischen Formen innerhalb der transluzenten Volumen verstärken den Eindruck der Leere und kreieren ein „Volumen der Leere“.

2) Experimentell präsentierte sich Poggenpohl in Mailand. Der deutsche Luxusküchenhersteller bot im Palazzo Landriani mit „Gravity of Light“ drei Studien der +MODO, die Naturstein zum Leuchten brachten. Dafür wurde extra eine Flächenlicht-Technologie entwickelt, die eine Ausleuchtung der Naturstein-Arbeitsplatte von innen heraus ermöglicht. Diese Studien zielen ganz klar auf die Emotionalisierung der Küche ab, wie auch Ulrike Wessel, Senior Product Manager bei Poggenpohl, bestätigte. „Dieser schwebende Charakter wird durch eine sehr gleichmäßige Beleuchtung des Steins erzeugt. Man sieht keine Leitungen oder Installationselemente, sondern wirklich eine homogene Durchleuchtung des Materials.“

3) Das weltweit führende norwegische Unternehmen für Aluminium und erneuerbare Energien Hydro präsentierte während der Mailänder Designwoche die Ausstellung 100R – eine Hommage an Hydro CIRCAL 100R, das weltweit erste Aluminium, das im industriellen Maßstab hergestellt wird und das vollständig aus Post-Consumer-Schrott besteht. Unter der künstlerischen Leitung von Lars Beller Fjetland (Norwegen) gestalteten sieben internationale Designer (Inga Sempé, Max Lamb, Andreas Engesvik, Shane Schneck, Rachel Griffin, John Tree und Philippe Malouin) Objekte aus diesem speziellen Recyclingmaterial.

Objekte aus Hydro 100R von Inga Sempé. Foto © Einar Aslaksen

4) Das britische Studio für Industriedesign BLOND hatte in Mailand eine Ausstellung organisiert, in der es um den Wert physischer Gegenstände in unserer digitalen Welt ging. In Bezugnahme auf die Studio-Initiative „BLOND artfacts“ waren sieben Designer eingeladen, auf gefundene, gesammelte Objekte aus der Vergangenheit mit aktuellen Designs zu reagieren. Mit dabei waren Hirotaka Tako (Sony), John Tree, Jon Marshall (Pentagram), Form Us With Love, Julie Richoz (Julie Richoz Studio), Maddalena Casadei (Maddalena Casadei Studio) und James Melia (BLOND). Im Grunde ging es darum, sich für den Vorrang der Inspiration aus realen Objekten einzusetzen. Nach Ansicht James Melias, Gründer und Kreativdirektor von BLOND, drohe diese Grundlage aufgrund der Übermacht von Online-Bildern und KI-generierter visueller Medien für die nächste Generation von Designern verloren zu gehen.

5) Das Studio RESTART/MILANO beschäftigte sich im Rahmen der Design Variations-Ausstellung mit einer Leuchte der Spazio-Serie von BBPR für Olivetti Synthesis und der langjährigen Zusammenarbeit von Maurizio Navone mit Olivetti. Aus dem Original machte das Designteam die neue Leuchte SPZ01. Die konzeptionelle Zerlegung der ursprünglichen Leuchte in Einzelteile bildete die Grundlage des Projekts: die Verbindung mit dem Schreibtisch, der Tragarm für den Parallelogramm-Mechanismus, der Beleuchtungsteil, die Farbe des Kunststoffs, das alles waren Elemente, die Gegenstand der Reflexion waren. Während die Abmessungen fast unverändert blieben, wurde der Parallelogramm-Mechanismus umgestaltet. Im Original war er vollständig in den Arm integriert, nun ist er in zwei Teile zerlegt, wodurch das Metallprofil leichter wird und die Zugstange nach außen verlegt werden konnte. Schließlich gestalteten die Designer auch die Sockel/Stange-Verbindung neu.

Untersuchungen des Studio RESTART/MILANO der Spazio-Serie von Olivetti führten zur neuen Leuchte SPZ01. © RESTART/MILANO, Foto: Giulio Boem

6) Der Schweizer Badspezialist LAUFEN zeigte in seinem Mailänder Showroom die Ausstellung „Colour Archaeology“: eine Reise, die Roberto Sironi durch Kunst, Design, Archäologie und die Geschichte der Farbe führte, auf der er antike Keramikkulturen in einem Zeitraum von 3000 v. Chr. bis 1500 n. Chr. untersuchte. Das Ergebnis der dreijährigen Arbeit ist eine Kollektion von zwölf Farben, die ihren Wert und ihre Ausdruckskraft über die Zeit hinweg bewahren sollen. Dargestellt wurden die Erkenntnisse mittels Visualisierungen bzw. Installationen von Beda Achermann und Matteo Fiorini (Studio Lys) sowie von Badkompositionen mit Saphirkeramiken in den neuen Farben.

Die zwölf Farben von Colour Archaeology schöpfen ihre Inspiration aus antiken Artefakten und den kulturellen, religiösen sowie sozialen Grundmustern vergangener Zivilisationen. Im Bild: Inszenierung mit Kashan Blue. © LAUFEN

Highlights auf der Messe

7) Einige nennenswerte Neuheiten waren auch auf dem Messegelände zu entdecken. Knoll schwelgte auf dem Salone del Mobile.Milano in der Vergangenheit. Das ist gar nicht böse gemeint – im Gegenteil. Hat man so klingende Namen wie Ludwig Mies van der Rohe in seinem Portfolio, lohnt es sich mitunter in den Archiven zu kramen. Und hervor kam – der Tugendhat Sessel, ein Entwurf des Meisters aus dem Jahr 1929, der nun neu aufgelegt wird. Weitere historische Stücke wie der MR Stuhl von Mies van der Rohe sowie der Wassily-Sessel und die Laccio-Tische von Marcel Breuer stattete Knoll mit drei neuen „ultramatten“ Oberflächen aus. Im mächtigen Schwung der Retros kann das neue Perron Pillo Sofa von Willo Perron nicht ganz mithalten.

8) Wenn es um das Thema Messestände geht, muss das Resümee des Salone 2024 gemischt ausfallen. Vor allem die angekündigte Neukonzeption der EuroCucina sowie der Internationalen Badausstellung von Lombardini22 hinterließ (ungleich der letztjährigen Euroluce) keinen bleibenden Eindruck, sondern eher das lähmende Gefühl des Schon-immer-Dagewesenen. Die Stände selbst boten zum Teil spannende Ausnahmen wie etwa der Messeauftritt von Florim, der von Matteo Nunziati gestaltet wurde. Der italienische Architekt setzte die Keramikoberflächen für Architektur und Inneneinrichtungen hervorragend in Szene – besonders die Neuheit Mystic Luxe. „Keramikfliesen haben eine außergewöhnliche Entwicklung durchgemacht“, erklärte Nunziati. „Sie ging von 60 x 60 cm Fliesen, die oft Marmor kopierten, hin zu einem Material, das heute fast drei Meter lang sein kann. Zudem ist es jetzt möglich, Keramikfliesen nicht nur auf den Boden zu applizieren, sondern auch an die Wand und als Küchenarbeitsplatte zu verwenden oder sogar als Tischoberfläche. Das heißt, es ist heute ein wirkliches Designmaterial.“ Nunziati betont, dass Keramikfliesen sehr viel leichter zu handhaben seien als beispielsweise Marmor, was vor allem bei Großprojekten ein enormer Vorteil sei. „Dieses Material ist superstabil und dass bei nur 6 mm Stärke. Dadurch ist es auch sehr leicht zu installieren und das Ergebnis ist fantastisch.“

9) Zum ersten Mal kooperierten der Mailänder Designer Alessandro Stabile und die historische friaulische Marke Zilio A&C. Auf dem Salone del Mobile.Milano 2024 wurde unter anderem der AX-Hocker präsentiert. „Bei Alessandro Stabile herrscht eine tiefe Harmonie der ästhetischen Ansichten. Die ikonische Einfachheit seines Designs hat mir ein Gefühl der Leichtigkeit gegeben, weil es perfekt zu unserem Streben nach zeitlosen Formen passt“, sagte Carlo Zilio, CEO von Zilio A&C. Stabile wiederum war von Anfang an von der kompetenten Arbeit des Unternehmens überzeugt, bei der jedem Detail Beachtung geschenkt würde. In Bezug auf AX betonte er: „Ein stapelbarer Hocker, der mit seiner fast grafischen Reinheit die Zeit überdauert und sich paradoxerweise für viele verschiedene spontane Situationen eignet.“ Der Hocker ist aus Eschen-Sperrholz gefertigt und in fünf Farbtönen erhältlich: neben Natur- und Schwarztönen auch in Blau, Grün und Rot, primären und gesättigten Farben, die einen poppigen Touch verleihen.

Sorgfältige Details machen den AX-Hocker attraktiv und erhöhen seine Funktionalität – wie der Spalt, der sich als Knick im Sitz fortsetzt. © Matteo Lavazza Seranto

10) Mit dem gemeinsamen Ziel, die traditionelle Handwerkskunst der Schmiedeeisen-Bearbeitung mit modernem Design zu verbinden, hat Nichetto Studio für Ethimo die Stehleuchte Lustra und den Hocker bzw. Tisch Folia entworfen. Lustra zeichnet sich durch szenische Effekte und eine natürliche Eleganz aus, die großteils ihrer zwei Meter hohen, schlanken Silhouette zu verdanken ist. Der Name Folia ist von seiner Form abgeleitet, ein zartes Blattmotiv, das sich an alten schmiedeeisernen Türen orientiert und dem Hocker/Tisch seine besondere Ausstrahlung verleiht, während die dünnen „Beine“ das Gestell bzw. den Sockel bilden.

Traditionelles Schmiedeeisen in eine moderne Form gebracht. Nichetto Studio hat die Aufgabe wie immer in bestechender Art und Weise umgesetzt. © Ethimo, Foto: Massimo Gardone / Azimut

11) Zum Abschluss noch einmal zurück in die Stadt Mailand: Für das Artemide-Projekt „Luna d’acqua“ arbeiteten Architektin Benedetta Tagliabue (EMBT Architects) und die Astrophysikerin Ersila Vaudo (Europäische Weltraumorganisation) eng zusammen. Es geht um eine Übertragung der Beobachtung der Wassermonde in den Umlaufbahnen von Jupiter und Saturn in ein leuchtendes Objekt. Die Beschaffenheit dieser Monde beinhaltet das Potenzial zur Entstehung von Lebensformen. Wer weiß schon, was durch die hydrothermischen Aktivitäten auf diesen Trabanten tatsächlich entstehen kann. Ein Mysterium. Die gestalterische Umsetzung zeigt eine Kugel, die von zwei Ringen in geneigter Achse gehalten wird, sodass sich die Kugel in der Mitte bewegen kann. Ausgeschaltet ist die Struktur durchsichtig, eingeschaltet offenbart das von den LEDs ausgehende Licht weiche, dreidimensionale Wellen. Und obwohl „Luna d’acqua“ frappant an die „Satellite“-Tischleuchte von Yonel Lébovici (1965) erinnert, ist diese neue Leuchte bemerkenswert. Vor allem durch die dahinterliegenden Bedeutungsverknüpfungen und Metaphern.

Die Mailänder Designwoche hatte naturgemäß sehr viel mehr schöne Projekte zu bieten. Die oben stehende Auswahl zeigt jene, die die FORMFAKTOR-Redaktion am meisten begeistert haben.



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