Finnisches Design hat ein weltweit anerkanntes Erbe. Gestalter wie Alvar Aalto, Eero Saarinen, Kaj Franck, Ilmari Tapiovaara oder Timo Sarpaneva haben die Geschichte des globalen Möbel- und Einrichtungsdesigns entscheidend mitgeprägt. Mit vielen aktuellen Herausforderungen, die nicht nur den Designbereich betreffen, haben sich finnische Hersteller und Designer*innen schon immer beschäftigt: Umweltsensibilität, Nachhaltigkeit, Naturnähe. Die Verwendung des erneuerbaren Materials Holz etwa, oder generell der bewusste Umgang mit der Natur und nicht zuletzt minimalistische Designentwürfe kennzeichnen die finnische Designgeschichte. In Finnland ist Design omnipräsent, durch funktionelle und gut gestaltete Alltagsgegenstände, wie die Fiskars-Scheren, die wahrscheinlich in jedem Haushalt zu finden sind. Heute hat die Designszene im hohen Norden noch sehr viel mehr zu bieten, als die bekannte und international erfolgreiche Designsprache. Tero Kuitunen, ein junger finnischer Designer, der in der Vergangenheit hauptsächlich mit Keramik und Glas gearbeitet hat, ist nun auch Kurator und präsentierte im Rahmen des Finnland-Schwerpunkts der Vienna Design Week (VDW) sein Ausstellungskonzept „Wild at Heart“ erstmals der Öffentlichkeit. Er will stereotype Einstellungen in Sachen finnisches Design zurechtrücken und zeigt, dass in Finnland nicht nur Reduktion und Minimalismus vorherrschen, sondern dass eine lebendige Designszene existiert, in der mit Gestaltung spielerisch, bunt und vielfältig umgegangen wird. „Ich wollte mit der Ausstellung zeigen, dass Finnland und finnisches Design mehr zu bieten haben. Die Finnen sind nicht nur schüchtern und zurückhaltend, sondern eben auch Wild at Heart. Sie haben zum Beispiel viel Humor und das spiegelt sich auch in der Ausstellung wider. Viele der Stücke sind sehr verspielt und farbenfroh“, sagt Kuitunen.
Neben dem „Pastil Chair“ (1967) von Eero Aarnio ist die „Friendship Collection“ (2019) von COMPANY (Aamu Song und Johan Olin) für Artek zu sehen oder Mode von Tuuli-Tytti Koivula, die in ihren Designs Plastikmüll verarbeitet, sowie Arbeiten von Mifuko, die damit kenianische Kunsthandwerkerinnen unterstützen und Fotografien von Sofia Okkonen, die das digitale Abbild in die analoge Welt zurückholt. Eine schöne Verbindung aus der Tradition Holz und einem gewissen „Twist“ ist in den Arbeiten von Meistertischler und Designer Antrei Hartikainen zu finden. Das Sideboard und die Couchtische, die teil der Ausstellung sind, werden von Poiat hergestellt, einem jungen Unternehmen, das als Designstudio begann und seit einigen Jahren auch eine eigene Möbelkollektion vertreibt. CEO Jenni Mikkonen meint, dass auf die Hochzeiten des finnischen Designs, als Alvar Aalto aktiv war, eine eher ruhige Zeitspanne folgte. „Aber jetzt gibt es wieder einige Marken, die im Kommen sind. Im Vergleich zu anderen skandinavischen Marken ist finnisches Design minimalistischer, denke ich. Das Problem in Finnland ist eher das Marketing, nicht die Produkte – wenn man es mit Dänemark vergleicht. Hier bei der Vienna Design Week vertreten zu sein, ist ein gutes Beispiel dafür, wie man zeitgemäßes finnisches Design in der Welt bekannter machen kann. Wir sind immer auch in Stockholm und waren beim London Design Festival in den letzten Jahren. Nächstes Jahr wollen wir nach Mailand gehen. Diese großen Messen sind natürlich sehr wichtig, um Kontakte zu knüpfen, aber sie sind sehr teuer. Ein kleines Unternehmen wie unseres muss hier sehr selektiv sein. Deshalb sind kleinere Veranstaltungen wie hier für uns ideal“, sagt Mikkonen
Poiat ist auch in der „Finland Lounge“ in der Festivalzentrale der VDW vertreten. Hier sind einige ausgewählte Marken zu sehen, die exemplarisch verdeutlichen, warum Möbel aus Finnland international so erfolgreich sind. Secto Design verkauft seine Leuchten aus Holz weltweit mit einem Exportanteil von 92 %. Als das Unternehmen startete, war die Idee, eine Leuchte mit einem Lampenschirm aus Holz zu fertigen, völlig neu. Das Design ist leicht und charakterstark und wird gerne illegal kopiert. Dagegen kämpft das Unternehmen an. Secto Design produziert seit 1995 in Finnland und steht ganz in der Tradition des finnischen Designerbes. CEO Emma Frenzel: „Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Design in Finnland sehr viel verändert. Es wurden sehr funktionelle Produkte kreiert. Nehmen wir Alvar Aalto: Alle Kinder in Finnland sind mit seinen Möbeln in den Kindergärten aufgewachsen. Für uns bedeutet Design, ein Produkt zu gestalten, das man wirklich benutzen kann. Es sind sinnvolle Produkte. Heutzutage gibt es zwar einige Marken in Finnland, die einen mehr spielerischen Ansatz verfolgen, aber im Allgemeinen glaube ich, dass es im finnischen Design nach vor um Natürlichkeit geht. Finnische Unternehmen sind sehr umweltbewusst, aber wir haben nie sehr viel darüber geredet, weil unsere Einstellung immer schon so war. Jetzt redet jeder von Nachhaltigkeit, aber wir haben immer schon so agiert. Haben zum Beispiel alle Materialien aus der näheren Umgebung bezogen usw.“
Die Werte der finnischen Designvergangenheit liegen weltweit im Trend. In verantwortungsbewussten Unternehmen ist Nachhaltigkeit kein leeres Wort, sondern wird gelebt. Nikari-CEO Johanna Vuorio erklärt, dass in ihrem Betrieb nach kreislaufwirtschaftlichen Regeln gehandelt wird. „Zum Beispiel werden in unserer Werkstätte sogar die Holzspäne zu einem Bauernhof in der Nähe gebracht, wo sie für den Anbau von Shiitake-Pilzen verwenden werden. Wir versuchen, alle Materialien so gut wie möglich zu nutzen. Wir wissen, dass ein Baum eine CO2-Senke ist und wenn er in einem hohen Alter geschlagen wird, was für den Bau eines Holzhauses oder für uns als Tischlereibetrieb optimal ist, dann ist das gut. Wir haben auch ein Wasserkraftwerk. Das heißt, unsere gesamte Energie kommt aus Wasserkraft“, erklärt Vuorio. Nikari wurde 1967 in Seinäjoki ins Leben gerufen. Gründer Kari Virtanen hat von Beginn an mehrere Jahre mit Alvar Aalto zusammengearbeitet. 1993 übersiedelte das Unternehmen nach Fiskars. Im Jahr 2012, als Helsinki Designhauptstadt war, entstand das Projekt „12 Designs For Nature“, das internationales Aufsehen erregte.
Es sind aber nicht nur traditionelle und junge Unternehmen, die hochqualitative Produkte umweltfreundlich inmitten der finnischen Wald- und Seelandschaft herstellen, auch die Designszene in der Hauptstadt Helsinki wurde in den letzten 15 Jahren enorm belebt. Mit verantwortlich dafür ist die seit 2005 stattfindende Helsinki Design Week, die größte derartige Veranstaltung in Skandinavien. Kari Korkman ist Gründer und CEO dieses Events, der nicht nur Design ins Bewusstsein der Gesellschaft trägt, sondern auch eine riesige Networking-Veranstaltung ist, die Kreative, Hersteller und Institutionen zusammenbringt. „Finnisches Design ist eine Marke. Aber den Stellenwert von finnischem Design heute, muss man auch kritisch sehen. Denn finnische Designer*innen haben sozusagen Marktanteile verloren. Die Designbranche ist sehr wettbewerbsintensiv. Das heißt, wir brauchen neue Arbeitsweisen. Heute ist der Gestaltungsbereich sehr viel breiter. Finnland hat weltbekannte Designer und ikonische Produkte, aber heute geht es um Systeme, um internationales Teamwork. Deshalb stellt sich die Frage, ob nationales, typisch finnisches Design überhaupt noch existiert, oder ist das nur eine Geschichte. Finnisches Design wird zwar international beworben, aber wo liegt die nationale Identität einer Marke Finnland, von der Design ein Teil ist. Was sozusagen zu unserer DNS gehört. Wenn man sich die Hersteller und die Designagenturen im Markt ansieht, dann bekommen sie keine Kunden, nur weil sie in Finnland sitzen, sie müssen global konkurrenzfähig sein. Dabei hilft die alte Reputation nicht sehr viel. Sie öffnet Türen, aber dann muss geliefert werden“, betont Korkman, der auch Präsident der World Design Weeks ist.
„Wild at Heart“-Kurator Tero Kuitunen sieht die Veränderungen in der Designszene auch als Chance. Auf jeden Fall sei sich die junge Designgeneration über die Probleme der Gegenwart absolut bewusst. Die zum Teil farbenfrohen Gestaltungen dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Hintergrund ernst sei. „Heutzutage sind Designer mit Fragen des Klimawandels oder des enormen Plastikmülls konfrontiert und sie thematisieren diese Probleme auch in ihren Arbeiten. Es geht darum, ein problematisches Thema, wie Umweltverschmutzung aufzugreifen und daraus etwas Schönes zu machen.“ Junge Designer*innen in Finnland würden andere Materialien ausprobieren und sich häufig von Kunst beeinflussen lassen. Kritisch sieht er die Frage nach der Unterstützung für den gut ausgebildeten Designnachwuchs. „Es ist schwierig, weil sich in den letzten Jahren sehr viel verändert hat. Wir haben kaum mehr große Unternehmen, die in Finnland produzieren. Das ist ja überall so, dass Konzerne ihre Produktion in andere, billigere Länder verlagern. Aber es gibt auch eine Art Design Renaissance, im Hinblick darauf, dass Designer*innen in vielen unterschiedlichen Bereichen arbeiten können. Viele produzieren heute ihre eigenen Sachen im kleinen Rahmen und verkaufen sie selbst. Die Designszene in Finnland lebt – definitiv.“