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Schönheit im sozialen Wohnbau – Tatiana Bilbao im Architekturzentrum Wien

von Markus Schraml
Tatiana Bilbao © Ana Hop

Tatiana Bilbao gehört zu jenen Architekt*innen, die ihren Beruf mit hohem sozialen Engagement betreiben. Mit ihrem Studio in Mexiko City entwickelt sie Konzepte für sozialen Wohnbau, um der Wohnungsnot in den ärmeren Bevölkerungsschichten ihres Landes etwas entgegenzusetzen. Im Buch „A House is Not Just a House” schreibt Bilbao: „Wir dürfen nicht vergessen, dass wohnen ein Menschenrecht ist. Häuser sind nicht nur zum Verkaufen da. Häuser sind für die Menschen und an sie müssen wir zuerst denken”. Neben vielen sozialen Projekten hat Bilbao in den letzten rund 20 Jahren unterschiedlichste Bauwerke vorrangig in Mexiko entworfen. Allerdings führte bereits die erste Arbeit des Tatiana Bilbao Estudio nach China (2004): der Ausstellungspavillon im Jinhua Architecture Park, ein Projekt, das vom chinesischen Künstler Ai Weiwei koordiniert wurde.

Ein wegweisendes Projekt im Œuvre Bilbaos ist die Modernisierung der botanischen Gärten in Culiacán (Sinaloa, Mexiko), wo Bilbaos Studio mittlerweile 15 Jahre lang immer wieder Bauwerke errichtet. Vom offenen Auditorium über Bildungseinrichtungen bis hin zu Labors und Eingangsbereichen. Dieser lange Zeitraum ermöglichte es, sagt Bilbao, bei jeder neuen Intervention auch neue Erfahrungen und Ansätze miteinfließen zu lassen. Ohne Zweifel war und ist das nur machbar, weil der vom Studio ursprünglich erstellte Masterplan einen offenen Charakter aufweist. „Wir entwickelten ein Muster, das den Zweigen eines der typischsten Bäume des Parks folgt und verwoben es zu einem Diagramm, in dem die programmatischen Bedürfnisse abgebildet sind“, schreibt Bilbao.

Nachhaltigkeit soll integral sein

Für Tatiana Bilbao kommt Architektur aus der Natur. Deshalb hasst sie das Wort Nachhaltigkeit, wie sie in einem Interview im Louisiana Channel 2019 betonte. Ihrer Meinung nach wird dieses Wort auf einen bestimmten Architektur-Typ angewendet. Dabei sollte Nachhaltigkeit integraler Bestandteil jeder Architektur sein. Im selben Interview legte sie ihren Standpunkt dar, in dem sie sagte, dass in einem Land wie Mexiko, das über keine Ressourcen verfüge, damit sozusagen automatisch sehr sorgsam umgegangen werde, weil man einfach keine andere Möglichkeit habe. In der westlichen Welt würde viel von Energie sparen und Recycling gesprochen, aber das sei in ihrem Land bereits gelebte Praxis. In Mexiko werde alles, was jemand wegwirft, sieben oder acht Mal weiterverwendet. Und dies passiere aus reiner Notwendigkeit heraus. Dasselbe gelte auch für das Bauwesen. Trotz des Klimas würden keine Klimaanlagen verwendet, weil das Energieverschwendung wäre. Außerdem könne sich das niemand leisten. In diesem Zusammenhang kritisierte Bilbao die Baupraxis des Westens und führte New York als Beispiel an, wo die Bauweise die Temperaturen in die Höhe treibe, welche man dann mittels Klimaanlagen wieder reduziere. Dies sei ein unglaublicher Vorgang.

Partner und Netzwerke

Tatiana Bilbao arbeitet oft in Partnerschaft mit anderen Architekt*innen, Landschaftsarchitekt*innen, Künstler*innen und Bewohner*innen. Sie ist überzeugt davon, dass dies völlig andere Perspektiven eröffnen würde, die jedes Projekt bereichern. Die Architektin und ihr Team erforschen und interpretieren die historische Kultur und die lokalen Bautraditionen Mexikos, wie etwa die Verwendung von Stampflehm oder alltägliche Materialien, die wenig kosten. Sie möchte mit Architektur eine Plattform schaffen, auf der die Menschen ihre eigenen Räume kreieren können. Diesen inklusiven, partizipativen Ansatz verbindet Bilbao mit dem Streben nach Schönheit. Denn ihrer Meinung nach braucht jeder Mensch Schönheit.

Menschen brauchen mehr als eine Höhle als Refugium, sie brauchen inspirierende Räume.
Tatiana Bilbao


Schönheit im sozialen Wohnbau

Mexiko hat eine Vielzahl von Institutionen, die sich mit Wohnbau beschäftigen, weil wohnen dort ein verfassungsmäßiges Recht ist. Schon Ende der 90er-Jahre arbeitete Bilbao als Beraterin für das mexikanische Ministerium für Stadtplanung und Wohnbau. Allerdings frustrierte sie die enorme Bürokratie dieser Arbeit und deshalb gründete sie 1999 einen Thinktank für Architektur namens Laboratorio de la Ciudad de México (LCM) und 2004 ein Forschungszentrum für Urbanität, MXDF. Das gleiche Jahr, in dem sie auch das Tatiana Bilbao Estudio ins Leben rief. Das Studio beschäftigt sich heute mit sozialem Wohnbau auf dreierlei Arten: als Forschung, durch selbst-initiierte Projekte und Auftragsarbeiten. Immer geht es darum, Schönheit in die Leben nicht privilegierte Menschen zu bringen. Denn diese Menschen würden keine architektonische Schönheit erleben. Die Schulen seien fürchterlich, die Wohnungen übereinandergestapelte Schachteln. Schönheit sei aber für die Entwicklung der Menschen sehr wichtig, so die Überzeugung Bilbaos. Deshalb will sie aufzeigen – und hat es in der Vergangenheit oft bewiesen, – dass sozialer Wohnbau schön sein kann.

Keine Renderings

In einem Gespräch mit Jacques Herzog erklärte Bilbao, dass sie es ablehne, digitale Tools im Entwurfs-/Entstehungsprozess zu verwenden, denn durch perfekte Renderings würde der Entwicklungsprozess eines Projekts gestoppt. Ein weiterer Grund dafür ist, dass es für viele Menschen in Mexiko schwierig ist, Grundrisse oder Schnitte überhaupt zu lesen und zu verstehen. Deshalb hat Tatiana Bilbao Estudio andere Ansätze für die Projektdarstellung entwickelt. Sie nutzen Collagen und handgezeichnete Skizzen, um Entwurfsideen mit Auftraggeber*innen und Nutzer*innen zu kommunizieren.

Tatiana Bilbao im Architekturzentrum Wien

Ab 19. August läuft im Architekturzentrum Wien (AzW) eine Ausstellung, die Tatiana Bilbao gewidmet ist. Sie wurde in Zusammenarbeit mit dem Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk in Dänemark realisiert. Dort fand eine Bilbao-Schau bereits zwischen Oktober 2019 und April 2020 statt. Im Architekturzentrum Wien werden nun rund 25 Projekte aus aller Welt, – darunter Kultur- und Bildungsbauten, Masterpläne und Projekte mit gemischter Nutzung sowie Wohnbauten vom Einfamilienhaus bis zum sozialen Wohnbau präsentiert. Bei sämtlichen Projekten steht der unmittelbare Kontext, die Analyse der Landschaft und der sozialen Bedingungen im Zentrum.

Eine Fülle unterschiedlicher Modelle erstreckt sich auf einer handgezeichneten Landschaft im ganzen Raum, darunter Materialproben, Arbeitsmodelle und Skizzen, die den Entwurfsprozess veranschaulichen, begleitet mit Fotos von Iwan Baan. Raumgreifende Installationen im Innen- und Außenraum verdeutlichen Materialität und Dimension. Collagen aus dem Tatiana Bilbao Estudio treten in einen Dialog mit ausgewählten Objekten aus der Sammlung des AzW.

Die Ausstellung ist bis zum 17.1.2022 im Architekturzentrum Wien zu sehen.


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