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Smarte Oberflächen – antiseptische Materialien

von Markus Schraml
© Pixabay, Gerd Altmann

Inwieweit das Coronavirus auch über Oberflächen übertragen werden kann, ist derzeit noch unzureichend erforscht. Generell wäre dieser Übertragungsweg aber möglich. Deshalb stellt die Beschaffenheit von Oberflächen im Hinblick auf ihre antiseptischen Eigenschaften ein Thema bei der Bekämpfung der Verbreitungswege dar. Martin Beeh ist Experte in Sachen Materialien und genießt internationales Renommee. Der Gründer des Kölner Designbüros beeh_innovation ist Red Dot-Juror und spricht in einem von Red Dot veröffentlichten Interview über Oberflächenbeschichtungen und die Oberflächenspannung von Materialien. „Der Lotusblüten-Effekt ist davon sicherlich der Bekannteste. Er hält Schmutz von der Oberfläche ab, ist aber nicht Bakterien resistent“, sagt Beeh. Andere Materialien hingegen besitzen sehr wohl antiseptische Eigenschaften – wie etwa Metalle und Metalllegierungen. Kupfer zum Beispiel würde sich hervorragend für Türklinken und Lichtschalter eignen, weil es die Infektionsgefahr stark reduziert, weiß Beeh. Allerdings ist die bei oxidierendem Kupfer entstehende Grünspan-Patina nicht immer gewünscht. „Silber-Ionen in Kleidungsstücken oder auf den Innenbehältern von Kühlschränken sind fast schon zu Lifestyle-Statements geworden. Dass Silber selbst antibakteriell wirkt, ist schon lange wissenschaftlich bekannt. Ob eine Silber-Ionenbeschichtung oder Silberfäden eine effektive Verbesserung bringen, ist dagegen umstritten“, erklärt Beeh.

Antibakterielle Oberflächen werden bereits in vielen Bereichen eingesetzt. Etwa bei Schneidebrettern, Aufbewahrungsbehältern für Lebensmittel oder Toilettensitzen. Und die Entwicklung schreitet stetig voran. Sowohl bei der Veredelung von Metalloberflächen als auch bei Kunststoff. „Im Rahmen des Projekts „ROCKET“, das für Regional Collaboration on Key Enabling Technologies steht, wurden beispielsweise antibakterielle Materialien entwickelt. So entstand eine Materialkomposition basierend auf Keramik, die Bakterien wie zum Beispiel MRSA, abtötet“, erläutert Beeh. Das Unternehmen itCoating (Gronau, Westfalen) hat dieses Material zu einem sogenannten „Wisch-Coating“ weiterentwickelt. „Dieses kann mit einem Mikrofaser-Tuch auf eine feste Oberfläche, zum Beispiel auf Türgriffe, Türen, Handläufe, Tische oder auf Haltegriffe in öffentlichen Verkehrsmitteln, aufgebracht werden. Nach dem Trocknen tötet diese Beschichtung Bakterien und Viren wie MRSA, Influenza oder Corona innerhalb von wenigen Stunden ab. Das Coating hält der normalen Reinigung für mehrere Jahre stand“, gibt Beeh ein Beispiel.

Laut Beeh greife sich ein Mensch mindestens 23 Mal in der Stunde ins Gesicht. „Wisch-Coating“ helfe, den Infektionsweg von den Oberflächen über die Hände ins Gesicht zu unterbrechen und so die Verbreitung von Keimen, Bakterien und eben auch Viren einzudämmen. „Die extrem glatte und nur wenige Mikrometer dicke Funktionsschicht bietet durch ihre Porenfreiheit selbst kleinen Viren keine Angriffspunkte. Aus der Medizinforschung bekannte Theta-Surfaces erzeugen durch ihre maßgeschneiderte Oberflächen-Energie einen zusätzlichen Anti-Adhäsionseffekt gegenüber Mikroorganismen. Darüber hinaus bekämpfen in die Beschichtung eingebundene, sich gegenseitig ergänzende biozide Wirkstoffkomponenten die dennoch auf der Oberfläche ankommenden Keime“, sagt Beeh.

Eine weitere Methode, um Materialien antiseptisch zu machen, ist das Bedampfen oder Emaillieren der Oberfläche von Gegenständen. Beeh ist jedoch der Überzeugung, dass anstatt von Beschichtungen das Einbringen von wirksamen Materialien direkt ins Hauptmaterial sinnvoller sei. So würden zum Beispiel Kunststoffe antibakteriell und es gäbe nicht das Problem der Abtragung der Schutzschicht im Laufe der Zeit. „Bei Antibacterial Materials (ein Projekt unter der Leitung von Professor Gregor Luthe. Anm.) wurde zum Beispiel ein Filament auf Stärkebasis entwickelt. Die 3D-gedruckten Objekte aus diesem Material verfügen allesamt über die Eigenschaft, Viren, Keime und Bakterien zu töten. Abgesehen davon ist das Material dennoch kompostierbar und verursacht kein Mikroplastik“, berichtet Beeh.

Darüber hinaus gäbe es schon Oberflächen, die die Raumluft filtern und das Schadstoffniveau senken, zum Beispiel durch photokatalytische Effekte. „Aber auch Antifouling bzw. biozide Eigenschaften wären artverwandte Themen, welche durch Materialien und Oberflächen gelöst werden. Zum Beispiel die Verringerung des Wasserwiderstands (verursacht durch Muschelbewuchs) durch hauchdünne ultraglatte Funktionsbeschichtungen reduziert nicht nur Treibstoff und CO2 bei Schiffen, sondern entlastet auch unsere Gewässer von Hunderten von Tonnen an biozidhaltigem Mikroplastik jedes Jahr“, sagt Beeh.

Für die effiziente Weiterentwicklung von Materialien und Oberflächen müssten Erkenntnisse und Ideen aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen und technologischen Bereichen zusammenkommen, so Beeh. Vor allem das Zusammenwirken von Physik und Chemie würde antivirale und antibakterielle Wirkungen steigern. Soweit dieses Feld auch sei, die Entwicklung schreitet rasant voran. Und Beeh äußerst die Vision: „Wie schön wäre es, wenn die Oberflächen und Gegenstände der öffentlichen Räume oder Verkehrsmittel fortan nicht mehr als unangenehme Virenverteilungszentren angesehen würden, sondern ganz selbstverständlich dank der neuen smarten Oberflächen im Gegenteil selbst-desinfizierend wirksam sind. Aber seien Sie gewiss, wir werden dort noch jede Menge nützliche Innovationen sehen.“


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