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Stefan Sagmeister und Ian Callum über Funktion und Schönheit

von Markus Schraml
Callum, Sagmeister

Seit einigen Jahren beschäftigt sich Stefan Sagmeister mit zentralen Begriffen des Lebens: Glück, Menschlichkeit und jüngst Schönheit. Der österreichische Kommunikationsdesigner mit Wohn- und Arbeitsort New York und seine Studiopartnerin Jessica Walsh haben zu diesem, in ihrer Branche wichtigen und dennoch verpöntem Wort Schönheit, eine umfassende Ausstellung im Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) erdacht, die sich durch das ganze Haus am Stubenring zieht. Die Schau „Beauty“ ist ein Erfolg und hat nicht nur Designmedien dazu gebracht über den Begriff Schönheit nachzudenken, auch renommierte Wochenzeitungen haben das Thema aufgegriffen und prominent platziert.

Associated Partner der „Beauty“-Show im MAK ist Jaguar. Kein Wunder also, dass Jaguar-Chefdesigner Ian Callum Interesse an der Ausstellung zeigte. Er begab sich nach Wien, wo er von Stefan Sagmeister persönlich durch die Schau geführt wurde. Beim anschließenden Talk entdeckten die beiden ihr Faible für David Bowie, ihre Ablehnung von Funktionalität ohne ästhetischen Wert, und sprachen über Ideen, die schnell auftauchen, aber schwierig umzusetzen sind.

Stefan Sagmeister stellt in der Ausstellung die Schönheit in unterschiedlichsten Ausformungen dar. Im Gespräch betont er die Wichtigkeit einer liebevollen Zuwendung etwa von Architekten und Stadtplanern in ihren jeweiligen Bereichen und führt als Beispiele die High Line in New York, manche Favelas in Brasilien und die bunten Häuser in der albanischen Hauptstadt Tirana an. Schönheit sei ein Faktor, der das Verhalten der Menschen ändere. „Das ist vor allem im Onlinebereich der Fall. Von allen Social Media-Plattformen ist Twitter klar die funktionellste, rein funktional. Ich würde sagen, Instagram ist wahrscheinlich die, wo Ästhetik die größte Rolle spielt. Menschen benehmen sich auf Twitter viel aggressiver, als auf Instagram. Man muss sich nur anschauen, wer die Hauptakteure auf Twitter sind, welche Art Menschen angezogen werden. Warum haben die Wohnprojekte der 70er so viel Kriminalität hervorgebracht? Weil sie mit reiner Funktionalität gebaut wurden, ohne die Schönheit auch nur irgendwie zu berücksichtigen. Diese beiden Dinge funktionieren am besten, wenn ihnen gleich viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Natürlich müssen die Dinge, die Ian macht, Autos und Produkte, und die Dinge, die ich mache, Kommunikationsdesign, funktionieren. Funktionalität ist der Kern, in dem, was wir tun, sonst ist es nicht Design. Es ist eine der Definitionen von Design, es muss funktionieren. Aber das reicht nicht, Design muss auch Freude bereiten. Menschen sind nicht für Umgebungen gemacht, die nur funktionieren“, sagt Sagmeister.

Es dringt in alle Sinne ein – riechen, berühren. Aber im Zentrum steht für uns Menschen natürlich diese Konglomeration von verschiedenen ästhetischen Werten – wie Komposition, Farbe, Materialität, Struktur, Form – sie alle arbeiten zusammen, um unseren Sinn für Ästhetik zu erfreuen.

Stefan Sagmeister

Die Wiederentdeckung der Schönheit

Ein Ausgangspunkt der „Beauty“-Schau war die Erkenntnis von Sagmeister & Walsh, dass die Schönheit im vergangenen Jahrhundert negativ besetzt war oder ignoriert wurde. Diese Grundannahme führt zur Kritik an der immer stärkeren Bedeutung der Funktion vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Darüber waren sich die Designprofis Callum und Sagmeister einig. „Das war als die Leute sich immer mehr darauf fokussierten, Dinge zu machen, die einfach funktionierten, auf möglichst billige Art. Sie sollten in Häusern wohnen und in Geschäfte gehen, die ohne Achtung darauf gestaltet waren, was wirklich gut für die Menschen ist. Bring sie in einen Raum, egal wie einfach. Das brachte eine Ästhetik mit sich, die wahrscheinlich zu vereinfacht war, ohne Gefühl. Und dann kam es noch einfacher mit dem Post-Modernismus … So sehe ich das. Eine Menge Midcentury-Architektur – beginnend mit Frank Lloyd Wright – sie haben aufregendes Zeug gebaut, aber mit so viel Minimalismus und Purismus, dass nichts mehr übrig blieb. Es war eine Obsession“, kritisiert Ian Callum. Und Stefan Sagmeister ergänzt: „Viele der ursprünglichen Modernisten fanden das schrecklich. Wir zeigen es in der Ausstellung, etwa Loos, einer der Haupteinflüsse des Bauhauses, dachte, dass das Bauhaus in den 30ern viele Dinge zu weit getrieben hat. Aber andererseits gibt es Leute wie Max Bill, den Schöpfer der Schweizer Typografie, der in den 50ern dachte, dass das Ganze nur funktionieren würde, wenn die Schönheit zurückkommen würde und gleichberechtigt neben der Funktion stünde. Oder Jan Tschichold, der das moderne Seitenlayout schuf, der Godfather des modernen Layouts, er dachte, dass seine eigene Arbeit, die Neue Typographie, die ein Meisterwerk war, faschistisch sei. In den 50ern dachte er, dass er komplett falsch gelegen habe und dass das Zeug, das er in den 30ern geschrieben hatte, viel zu engstirnig gewesen war. Er verwendete wieder Serifen und Differenzierungen, aber es war zu spät. Wenn man sich heute im Web umsieht – Facebook, Google – das ist alles Jan Tschichold. Sie haben nichts gelernt, es ist der gleiche Mist wie 1927, die Neue Typographie, erstaunlich. Das Überraschende ist, dass wir als Menschen manchmal in eine Richtung gehen und aufhören diese zu hinterfragen. Dieser ganze Zug fährt nun schon 50 Jahre lang in die gleiche Richtung und niemand hinterfragt das.“

Harte Arbeit, gutes Design

Es ist nicht notwendigerweise teurer – manchmal schon – etwas Schönes zu machen, aber es ist sicherlich schwieriger.

Stefan Sagmeister

Gutes Design ist arbeitsintensiv. Am Ende soll es einfach und wie selbstverständlich aussehen, aber um so weit zu kommen, muss viel Arbeit hineingesteckt werden. „Eine Idee kann man in einer Sekunde haben – manchmal braucht auch die Arbeit an der Idee Zeit – aber eine Idee kann man haben“, meint Sagmeister. „In der Umsetzung ist es meistens trial and error und es ist harte Arbeit. Wir haben es nicht in dieser Ausstellungsversion, aber wir werden eine neue Arbeit für Frankfurt hinzufügen, wo wir ein Poster von einem jungen Schweizer Designer und die hunderten Versionen zeigen werden, die er durchmachen musste, um am hochqualitativen Poster anzukommen … Auf meinem Gebiet denken die meisten Designer, Schönheit sei etwas Dummes, nicht der Aufmerksamkeit wert, als etwas, dass sich nur auf die Oberfläche bezieht, die Pretty Makers, es gibt eine starke Abneigung. Ich sage, das sind alles Arschlöcher. Wenn man sie zwingen würde, es zu tun, könnten sie es nicht, denn es ist wirklich sehr schwierig.“

Das großartige an Schönheit ist, wenn die Leute es sehen, denken sie – das ist einfach. Es ist wie ein toller Song von Bowie. Die Leute wollen die Anstrengung auch gar nicht sehen. Das Wundervolle an Schönheit ist, es sieht einfach aus.

Ian Callum

Ian Callum weiß, wie schwer es ist, etwas gut zu machen, speziell im Autodesign. „Für uns ist jeder Millimeter eine Herausforderung. Ich sage meinem Team, schafft einen Millimeter pro Tag. Das sind sechs Millimeter in der Woche. Das ist im Englischen ein Inch pro Monat – annähernd. Ein Inch des Daches so hinzubekommen, dass es auch im Innenraum ästhetisch funktioniert, ist eine große Sache … Diese Autos sind wie Skulpturen geformt mit absoluter, liebevoller Fürsorge und Aufmerksamkeit. Es braucht drei Monate nur um die vorderen Kotflügel richtig hinzubekommen, drei Monate. Also wer jemals einen Jaguar bekommt, soll bitte daran denken, wie viel Aufwand da drinnen steckt.“

Die Reaktionen auf die „Beauty“-Ausstellung, die seit Oktober in Wien läuft, sind in der Wahrnehmung Stefan Sagmeisters außerordentlich. Er erhielt sogar lange, handgeschriebene Briefe. Sagmeister: „Ich gehe in eine Menge Ausstellungen jedes Jahr – vielleicht Hunderte. Aber niemals wollte ich einen Brief an den Ausstellungsmacher schreiben. Ich bin mir also sehr bewusst, wie speziell das ist. Ich bekomme viele und manchmal sehr lange Briefe von Menschen, die beeindruckt genug waren, um sich hinzusetzen und sich diese Mühe zu machen … Jessica und ich haben das Gefühl, dass im Thema Schönheit etwas ist, wo die Menschen von ihrem Baugefühl heraus wissen, irgendwie ist da etwas Wahres dran, was wir sagen, es wurde nur noch niemals so präsentiert. Es gibt also eine Chance jemandes Gedanken zu ändern. Wir wollen das.“

Seit der Ausstellungseröffnung haben viele Medien berichtet. Es gab Coverstories im Zeit Magazin im New York Times Magazine, und zwar nicht nur über die Ausstellung, sondern darüber hinaus. Stefan Sagmeister hat mit dieser Schau einen medialen Diskurs ausgelöst. Jaguar-Chefdesigner Ian Callum meint, dass wenn sich die Menschen genug Zeit für die Ausstellung nehmen, sich in deren Denken und Verhalten etwas ändern könnte. „Es braucht Zeit, du musst den Dingen Zeit geben. Alles in dieser Welt ist wie ein Fünf-Sekunden-Aufmerksamkeits-Spam, vielleicht zehn oder fünfzehn Sekunden. Die Menschen müssen wieder lernen, die Dinge richtig in sich aufzunehmen. Unglücklicherweise hat sich die Aufmerksamkeitsspanne der kommenden Generation auf vielleicht fünf Minuten reduziert. Wir müssen unsere Kinder wieder lehren, die Dinge richtig aufzunehmen. Es geht nicht um Quantität, sondern um Qualität, um Ästhetik und darum, es zu verstehen. Und das braucht Zeit“, meint Callum.

Design und Kunst

Eine Frage, die in diversen Diskussionen immer wieder auftaucht, ist die Unterscheidung zwischen Designer und Künstler. Eine berechtigte Frage, vor allem an Stefan Sagmeister, der in vielen Projekten, die Grenze zur Kunst überschritten hat. Dennoch sieht er sich selbst eindeutig als Designer: „Als Kunde und Zuschauer ist es mir egal, ob eine Arbeit von einem Designer oder aus der Kunstwelt kommt, wichtig ist nur, ob es gut oder nicht gut ist. Als ein Macher sehe ich mich als Designer, zum Teil weil ich Design studiert habe und weil ich mit Jessica ein Designstudio leite – Design scheint das Zentrum zu sein … Donald Judd gibt eine wundervolle kleine Definition zum Unterschied zwischen den beiden: Design muss funktionieren, Kunst nicht. Wenn es sich also um ein Stück Design handelt, muss es notwendigerweise funktionieren – plus einiger anderer Dinge. Kunst kann einfach sein, sie muss keinem Zweck dienen. Da gibt es also einen signifikanten Unterschied. Die Dinge, die wir machen, und die Dinge die Ian macht, müssen funktionieren, das ist Teil ihrer Definition.“

Es ist wie Musik, wie Oper, Ballett, die Einführung in diese Dinge ist schwierig, aber wenn man es einmal aufnimmt, ergibt es plötzlich Sinn und die Schönheit ist da. Man muss es instinktiv aufnehmen.

Ian Callum

 Auch Ian Callum sieht sich eindeutig als Designer, „…weil unsere Autos müssen klarerweise funktionieren. Ich verkaufe großartig designte Autos, wenn wir nicht Menschen hineinsetzen müssten, wäre es viel einfacher. Deshalb werden Autos immer so geformt bleiben, wie sie sind, weil wir oben den Kopf haben und unten die Füße. Die Leute fragen, wann wird sich das alles ändern? Nun ja, solange sich die Menschen nicht ändern, werden sich auch die Autos nicht verändern. Ich möchte wie ein Designer denken, aber es gibt auch Künstlerisches. Manche Elemente werden nur aus rein ästhetischen Gründen gemacht, aus keinem anderen Grund, sonst könnte es auch eine Schachtel sein.“ Zum Schluss verriet der Jaguar-Chefdesigner noch, welches Auto er gerne designen würde: Es ist ein kleines, schönes, supercooles Stadtauto.

Die Ausstellung „Beauty“ läuft im Wiener MAK noch bis zum 31. März. Nächste Station ist Frankfurt, wo sie im dortigen Museum für Angewandte Kunst vom 11. Mai bis 15. September zu sehen sein wird.

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