Home Books Vom Salzstreuer zum Raumschiff – Marc Newson überwindet Grenzen

Vom Salzstreuer zum Raumschiff – Marc Newson überwindet Grenzen

von Markus Schraml
Hourglas, Marc Newson

Warum ist Marc Newson großartig? Warum nimmt der australische Industriedesigner in vielen Worldrankings Platz 1 ein? Zweifelsohne ist die Vielfalt seiner Designs außergewöhnlich und die Ernsthaftigkeit, die er in seine Arbeit legt, ehrfurchtgebietend. Doch welche konkreten Schritte führten ihn an die Spitze der internationalen Kreativszene? Das Buch „Marc Newson. Works 84-24“, das bei TASCHEN in einer aktualisierten Ausgabe erschienen ist, gibt darauf sehr detailliert Antwort. Autorin Alison Castle ist bemüht, die handwerkliche Nachdrücklichkeit und das ständige Streben, die Grenzen zu überwinden, im Wesen Newsons zu vermitteln. Und es gelingt ihr in ausufernder Weise.

Die Arbeit Marc Newsons ist weithin bekannt – zumindest bei designinteressierten Zeitgenossen. Sein Portfolio umfasst Möbel, Leuchten, Uhren, Fahrräder, Kleider, Stundengläser, Koffer, Haushaltsgeräte, Restaurants, Yachten, Flughafen-Lounges und sogar ein Raumschiff. Sich seinem kreativen Geist anzunähern, geschieht am besten chronologisch.

Die Grenzen des Materials

Das bekannteste Design aus der Frühzeit seiner Karriere ist die „Lockhead Lounge“ (1988). Dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung der LC1 Lounge, einem Objekt, mit dem Newson die Arbeit an genietetem Aluminium erforschte. Was zwei Jahre früher noch roh und postmodern wirkte, wurde dann viel organisch-fließender ausgearbeitet. Diese Technik nimmt Bezug auf alte Flugzeuge, bei denen auch genietete Paneele verwendet wurden. Den Prozess begann Newson zunächst, indem er das Seitenprofil der Form auf einen Schaumstoffblock zeichnete und es dann mit einer Säge bearbeitete. Er vervollständigte die Form durch händisches Schleifen mit Schleifpapier und einer Drahtbürste, bis er damit zufrieden war. Es wurden keine anderen Werkzeuge oder Lehren verwendet. Die Symmetrie entstand allein durch Augenmaß. Bereits dieses frühe Werk zeigt die Stoßrichtung, der Newson folgt: „Meine Faszination gilt wirklich den Materialien, den Prozessen und den Technologien. Ich mag den Gedanken, die Grenzen in diesen Bereichen zu erweitern“, sagte er in einem Interview aus Anlass einer Ausstellung in der Gagosian-Galerie in New York, 2019.

Lockheed Lounge 1988
LOCKHEED LOUNGE, 1988, POD/MARC NEWSON EDITION, genietetes Aluminium, GFK, gummierte Farbe (Auflage von 10 + 4 Künstlerexemplaren [schwarze Füße] + 1 Prototyp [weiße Füße]) © Marc Newson

Uhren & Schmuck

Seiner Ausbildung als Schmuckdesigner und Silberschmied gemäß, hat Newson eine bemerkenswerte Anzahl an Schmuckstücken und Uhren gestaltet. Zwischen 1996 und 2008 vor allem für Ikepod Watches. Das war ein Unternehmen von Oliver Ike, ein Schweizer Möbelhändler, der Newsons Arbeiten vertrieb und Marc Newson selbst. Der Name setzt sich aus Ike und POD, Newsons Firma, zusammen. 1998 wurde die „Hemipode“-Uhr veröffentlicht. Es war eine Ellipsoid-Chronographenuhr mit mehreren Komplikationen, darunter einer zweiten Zeitzonenfunktion und einem abgerundeten Monocoque-Design. Außergewöhnlich war das dezentrale Sichtfenster auf der Rückseite. Das Kautschukarmband zeichnete sich durch einen neuartigen Verschluss aus: Das Ende des Armbands wurde durch einen Schlitz geführt, sodass es darunter verborgen blieb und durch einen Metallbolzen gesichert war. Das Design dieses Armbands wurde später für die Apple Watch vereinfacht.

IKEPOD WATCH, 1998, Hemipode. © Marc Newson

Space Ship für Touristen

Marc Newson bezeichnete es als etwas, von dem er immer geträumt hat – nämlich am Design eines Raumschiffes mitzuarbeiten. Astrium, eine Tochter von EADS, wollte 2007 ein Raumfahrzeug für Weltraumtouristen entwickeln. Die Idee war, ca. 100 Kilometer in die Atmosphäre der Erde zu fliegen und den Passagieren dort die Möglichkeit zu geben, Schwerelosigkeit zu erleben. „Sie kamen auf mich zu, um das gesamte Interieur zu designen, die Fensterkonfiguration und alles vom hinteren Druckschott nach vorne zu entwerfen“, erinnert sich Newson. „Die eigentliche Herausforderung bestand darin, herauszufinden, wie die Sitze gestaltet werden sollten. Es ist nicht wie ein Flugzeugsitz, der im Wesentlichen mit einer Bewegung von etwa 10 Grad auskommt. Dieses Ding hebt wie ein Flugzeug ab und fliegt direkt nach oben. Der Sitz muss sich also bewegen, damit der Passagier den fast 90-Grad-Winkel einigermaßen bequem bewältigen kann.“

Die leichtgewichtige Lösung war ein Konzept einer schwenkbaren Hängematte. Das brachte zwei Vorteile: Erstens sorgt die Schwerkraft dafür, dass der Passagier immer im optimalen Winkel bleibt, weil der Sitz frei schwenken kann. Der zweite Grund war die mechanische Einfachheit des Systems, die geringere Komplexität auf allen Ebenen, Ausfallsicherheit und ein stark reduziertes Gewicht. Um das Erlebnis der Schwerelosigkeit zu maximieren, wollte Newson zudem die Kabine frei von Sitzen halten. Seit 2015 steht dieses Projekt in der Warteschleife – angeblich benötigt man Investoren für eine Weiterentwicklung.

Neue Kontexte durch Größe

Auf seiner Suche nach neuen Materialien und Prozessen stieß Newson um 2019 wieder auf eine alte, ursprünglich chinesische Technik, die er noch aus seiner Ausbildungszeit kannte: Cloisonné. Das sind kunsthandwerkliche Emailarbeiten. Dabei wird farbige Glaspaste in Einfassungen aus Kupfer- oder Bronzedrähten aufgetragen. Die Drähte werden durch Hämmern oder Biegen in das gewünschte Muster gebracht. Für eine Ausstellung in der Gagosian Kunstgalerie in New York stellte Newson diese Technik in einen neuen Kontext, in dem er sie auf sehr große Objekte anwandte. „Diese Stücke sind die größten, die je in Cloisonné gemacht wurden. Was die Technik von Cloisonné wirklich ausmacht, ist das Kreieren dieser kleinen Rippen oder Abgrenzungen aus Kupfer, die die Email-Taschen bilden. Dadurch kann man unterschiedliche Farben einbringen. Aufgrund der Größe der Stücke musste ein eigener Brennofen gebaut werden. Es ist ein bisschen wie Alchemie, weil die Fehlerrate bei so großen Objekten sehr hoch ist“, betonte Newson damals.

Das Erste seiner Art

Im Jahr 2008 fragte Swarovski Optik bei Newson an, ob er für das Tiroler Unternehmen nicht Ferngläser designen wollte. Das stieß sofort auf Interesse, hatten ihn doch solche Geräte schon als Kind fasziniert. Newson beschreibt die Optikabteilung von Swarovski als „eine Traumfabrik, in die man so hinein stolpert, und der ganze Ort Perfektion ausstrahlt.“ Newson entwarf neuartige Operngläser, Allzweckferngläser und Teleskope, von denen Prototypen hergestellt wurden. Dann allerdings cancellte Swarovski das Projekt, was den Designer zutiefst enttäuschte. Viele Jahre später jedoch wurde das Projekt wiederbelebt, was schließlich 2021 zum CL Curio 7×21 und AX Visio Fernglas führte. Letzteres verfügt nicht nur über eine 10×32-Optik, sondern auch über ein drittes Zielfernrohr, das das Bild an eine Software weiterleitet, welche die Vogel-, Säugetier-, Schmetterlings- oder Libellenarten identifizieren und im Sichtfeld anzeigen kann.

Fernglas CL Curio 7×21 (2021) für SWAROVSKI OPTIK, Materialien: Aluminium, Metall, TPU. © Marc Newson

„Es war ein fantastisches Projekt, weil es sich um eine völlig neue Produkttypologie handelte. Die Möglichkeit zu haben, etwas zu entwerfen, das das Erste seiner Art ist, ist immer eine spannende Herausforderung, und das passiert nicht so oft – eigentlich sehr selten. Swarovski Optik ist ein so kompetenter Hersteller, dass die Qualität des Ergebnisses garantiert war.“

Portait of Marc Newson, Photo: Prudence Cuming
In der Vielfalt seiner unterschiedlichen Designs bewahrt Marc Newson immer den Anspruch, etwas noch nie Dagewesenes zu erschaffen. Und manchmal gelingt es ihm auch. © Prudence Cuming, Gagosian

Damit ich weiß, wie es gemacht wird

In vielen seiner frühen Werke transferierte Newson die Ästhetik der automotiven Welt in Möbelstücke. Die intensive Bearbeitung des Materials zeichnet diese Designs aus. Sein Streben, die Grenzen immer weiter auszudehnen, führte ihn im Lauf seiner Karriere zu den vielfältigsten Materialien. Und immer versuchte er, dem jeweiligen Stoff, etwas Neues abzugewinnen. Zum Beispiel verwendete er die Murrina Technica für Glas. Oder er kooperierte mit einem japanischen Schwertmacher, um ein außergewöhnliches Samurai-Schwert herzustellen. Die Palette des Schaffens von Marc Newson reicht vom Flaschenöffner bis zum Flugzeug-Bett. Der Weg des australischen Designers wird von ständigem Lernen bestimmt – oder wie er es ausdrückt: „Es geht nicht darum, diese Dinge zu kreieren, um sie zu haben, sondern darum, dass ich am Ende des Prozesses weiß, wie es gemacht wird. Mein Wissensschatz wächst dadurch. Nächstes Mal will ich also etwas tun, das diesen Schatz wieder ein Stück erweitert.“

Marc Newson. Works 84-24. Hardcover, 29,2 x 39 cm, 5 kg, 496 S. € 150. Verlag: TASCHEN



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