Home Collectible Design Wir sind Sternenstaub – Lindsey Adelman experimentiert

Wir sind Sternenstaub – Lindsey Adelman experimentiert

von Markus Schraml
Lindsey Adelman, Alcova

Die Alcova-Ausstellung während der Mailänder Designwoche öffnete 2023 ihre Pforten auf dem Gelände eines ehemaligen Schlachthofs. Über 90.000 Menschen besuchten diese Initiative von Valentina Ciuffi (Studio Vedèt) und Joseph Grima (Space Caviar), die in einer festivalgleichen Atmosphäre Arbeiten von über 90 Designern beherbergte. Unweit des Eingangs stellte die US-Amerikanerin Lindsey Adelman die ersten Ergebnisse ihrer neuen Leuchten-Mobile aus. Unter dem Titel „Soft Opening“ präsentierte sie sieben Beispiele experimenteller Kreationen.

Adelman gründete ihr Studio in New York City im Jahr 2006. Von Anfang an legte sie viel Wert darauf, mit lokalen Handwerkern und Produzenten zusammenzuarbeiten. Ihre luxuriösen Leuchtendesigns sind meist von Strukturen aus der Natur inspiriert: Zweige, Korallen oder Sternkonstellationen sind Vorbilder für Entwürfe, die, vor allem als Hängeleuchten, wie besondere Schmuckstücke den Raum bereichern. Von der Branching Bubble Collection bis zur Knotty Bubbles Collection zeigt sich eine ästhetische Bandbreite, die immer ausgefallenere Materialkombinationen wagt. In diesen Weg passt auch die jüngste Initiative Adelmans: LaLAB, ein Studio im Studio, eine Plattform für experimentelles Arbeiten ohne Agenda. Hier darf ihre Designsprache ausufern. An frei hängenden, ausbalancierten Gebilden, echten Mobile, arrangiert sie unterschiedlichste Elemente aus Stein, Metall, Keramik oder Glas. Jedes Mobile besteht aus drei bis vier Elementen, die aus einer Palette von einem Dutzend verschiedener Objekte ausgewählt wurden. Wichtig sei der Prozess, betont Adelman, es ist ein Spiel mit der Schwerkraft. Die Elemente werden so lange um den Drehpunkt arrangiert, bis sie im natürlichen Gleichgewicht sind.

FORMFAKTOR traf Lindsey Adelman bei Alcova, wo sie über die Ganzheitlichkeit der Natur, Spiritualität und die Wichtigkeit von Zeiten sprach, in denen sie nicht arbeitet.


FORMFAKTOR: LaLAB ist ein Studio für experimentelle Arbeiten. Warum haben Sie es ins Leben gerufen?

Lindsey Adelman: Der Name ist eine Anspielung auf meinen Herkunftsort Los Angeles und den Begriff Laboratorium. Das wollte ich immer schon machen, experimenteller arbeiten, in einer mehr offiziellen Art und Weise, aber innerhalb meines existierenden Studios. Das erlaubt mir, einzigartige Stücke zu gestalten.

FORMFAKTOR: Ist es eine neue Art zu arbeiten für Sie?

Lindsey Adelman: In den letzten 17 Jahren habe ich hauptsächlich Lichtsysteme gestaltet. Was ich liebe, keine Frage. Aber das hier verlangt eine völlig andere Art des Denkens. Ich mache in jeder Einzelheit genau das, was ich will und habe nicht den Druck, es unbedingt verkaufen zu müssen.

FORMFAKTOR: Sie nennen die ausgestellten Stücke Mobile …

Lindsey Adelman: Es sind Mobile. Zunächst haben wir die Struktur entwickelt, die sehr minimalistisch ist und mit der ich spielen kann. Elemente hinzufügen, sie wieder weglassen. Einfach ausprobieren. Das kann Stunden über Stunden dauern, aber ich muss ja keinen Produktionstermin einhalten. Ich habe das Gefühl, dass ich mit dieser Art von Arbeit erst am Anfang stehe.

FORMFAKTOR: Das hört sich alles sehr intuitiv an und ist auch eine Frage von trial and error.

Lindsey Adelman: Genau

FORMFAKTOR: Welche Elemente verwenden sie für diese Stücke?

Lindsey Adelman: In Bezug auf die Steine sind es Pyrit, Amethyst, Malachit, aber auch Keramik und Glaselemente mit Lederstreifen dran oder Ketten. Alles Dinge, die irgendwie eine eigene Persönlichkeit haben.

FORMFAKTOR: Der Prozess scheint tatsächlich sehr spielerisch zu sein.

Lindsey Adelman: Das ist wahr. Es ist fast so, als würde ich mich selbst herausfordern, mehr zu spielen. Wenn man ein Unternehmen mit 35 Mitarbeitern führt, muss man – um spontane Dinge tun zu können – sehr gut kommunizieren, damit sie auch verstehen, was zum Teufel sie hier unterstützen sollen. Und das haben wir dieses Jahr geschafft. Ein großes Dankeschön an mein Team und an meine Teamleader … Irgendwie scheint es eine Menge an Planung zu brauchen, um spontan zu sein. (lacht)

FORMFAKTOR: Aber auch diese spontanen, freieren Stücke sollen verkauft werden. Oder?

Lindsey Adelman: Ja, doch. Sie sind natürlich limitiert und es sind Unikate, teilweise Privataufträge. Der Tag hat halt nur 24 Stunden, deshalb muss die Stückzahl begrenzt sein. Es ist sicher eine neue Art des Verkaufens für uns.

FORMFAKTOR: Wie viel Zeit würden Sie denn gerne für diese mehr experimentellen Arbeiten aufwenden, im Vergleich zu ihrer „normalen“ Arbeit?

Lindsey Adelman: Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht. Ich mag beides. Ich denke, dass es eine gute Balance braucht. Und schließlich brauche ich auch Zeiten, in denen ich gar nicht arbeite. (lacht) Das ist auch sehr wichtig.

FORMFAKTOR: Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten?

Lindsey Adelman: Kürzlich bin ich in die Wüste gefahren. In den Nationalpark Joshua Tree, wo ich ein Video gedreht habe. Das ich jetzt im Mai in New York zeigen werde. Im Februar war ich mit meiner Schwester in einem Yoga-Retreat in Mexiko. Ich möchte Dinge tun, von denen ich glaube, dass sie spirituell sind. Ich möchte draußen und der Natur nahe sein.

FORMFAKTOR: Viele Ihrer Kreationen sind ja von der Natur beeinflusst.

Lindsey Adelman: Nun ja, wir sind Natur.

FORMFAKTOR: Der Mensch steht nicht außerhalb davon.

Lindsey Adelman: Genau. Ich denke, wenn man etwas kreiert, spielen natürliche Strukturen, die uns umgeben oder die in unseren Körpern selbst sind, eine wichtige Rolle. Wenn ich eine bestimmte Struktur kreiere, die zum Beispiel ein hohes Gewicht halten muss, entdecke ich, dass die Natur bereits herausgefunden hat, wie man das macht. Wenn Du in eine Intuition eintauchst, kann es zu Echos sowohl aus dem mikroskopischen Reich als auch der kosmischen Ebene kommen. Weil das alles Teil von uns ist. Wir sind Sternenstaub. Ich denke, meine Arbeit sagt mehr, als ich mit Worten sagen kann. Vielleicht mehr, als ich selbst verstehe. Sie ist eine Reflexion von dem, was ich bin.

FORMFAKTOR: Was macht ein Objekt schön?

Lindsey Adelman: Ich glaube, die schönsten Dinge sind auch ein bisschen hässlich. Nehmen wir zum Beispiel Malachit: Genau betrachtet ist dieser Stein zwar schön, aber auch grotesk, alleine deshalb, weil er in der Natur gewachsen ist. Dasselbe gilt für Pilze im Wald. Sie sind ein bisschen hässlich, nicht?, und gleichzeitig schön. Schönheit ist, wenn etwas eine Geschichte erzählt, wenn jemand etwas durchmachen musste und die Male des Weges in die Freiheit zu sehen sind. Auch meine Arbeit erzählt Geschichten oder hat Geschichten als Hintergrund. Schönheit ist, was man im echten Leben macht.

FORMFAKTOR: Können Sie mit dem Begriff Collectible Design etwas anfangen?

Lindsey Adelman: Ja, sicher. Warum nicht. Es ist nur ein Name, aber es ist cool, dass die Menschen hier so viel Interesse für Design zeigen. Es ist erfrischend, in Mailand zu sein, wo die Menschen sehr designorientiert sind, im Gegensatz zu den Staaten. Und hier bei Alcova ist es wundervoll. Dieser verlassene Ort, wo die Leute mit ihren Kindern herkommen. Ich war schon vor ein paar Jahren bei Alcova und ich liebe die Locations, die sie aussuchen. Wo man draußen und drinnen sein kann und wo die Natur die Gebäude langsam wieder zurückerobert hat.

Erstmals machte Alcova das Gelände eines verlassenen Schlachthofes für die Öffentlichkeit zugänglich. Über 90 Designschaffende stellten dort aus. © Agnese Bedini, Piercarlo Quecchia – dslstudio

FORMFAKTOR: Welche Entwicklungen sind im Lichtdesign in nächster Zukunft zu erwarten?

Lindsey Adelman: Es ist ja unglaublich, was sich in den letzten 20 Jahren getan hat. Heute ist alles so winzig, energieeffizient und flexibel. Ich persönlich möchte gerne mehr über Solarenergie lernen und die Möglichkeiten, die es gibt, um sie in meine visuelle Sprache zu integrieren. Andererseits arbeite ich mit offenem Feuer. Die Mobile, die ich im Mai zeigen werde, sind mit Öllampen ausgestattet. Klingt ein bisschen gefährlich. Aber das ist, glaube ich, mein Lieblingslicht: Feuer.


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