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Technologie und Emotion, Euroluce 2023

von Markus Schraml
Euroluce, Barovie Toso

Die Euroluce 2023 in Mailand konnte nicht nur mit der hohen Qualität an ausgestellten Leuchten punkten, sondern vor allem mit einem neuen, sehr viel offeneren Messekonzept. Das Studio Lombardini22 sorgte dafür, dass die einzelnen Messestände großteils schon von Weitem erkennbar waren und reduzierte das Hallenlicht auf null, was bei den Ausstellern besonders gut ankam, gewährleistete es doch eine bessere Sichtbarkeit des Standes. Und auch die Hersteller folgten der Konzeptidee und kreierten offene Orte, die in den meisten Fällen von mehreren Seiten zugänglich waren. Keine hohen schwarzen Wände mehr, keine Ausrichtung auf nur eine oder maximal zwei Seiten. Besucher hatten mehr Platz, sich zu bewegen und mehr Übersichtlichkeit, um gesuchte Marken rasch zu finden.

Im Wettbewerb der Neuheiten setzten die allermeisten Hersteller auf dekorative, Aufmerksamkeit heischende Bauten. Die kreative Idee der Umgebung unterstützte die innovativen Einfälle der Designer. Diese Präsentationsform lässt fast vergessen, dass es gerade bei der Kategorie Leuchten um viel Technik und Technologie geht. Die Forschungsinvestitionen sind hoch, wenn es um die Verbesserung der Lichtqualität oder die Minimierung und Flexibilität der Anbringung geht. Ein Paradebeispiel dafür ist Artemide. Unter der Führung von Carlotta de Bevilacqua hat das Unternehmen eine Kollektion aufgebaut, die vor allem von den ästhetischen Perspektiven weltberühmter Architekten wie Foster+Partners, Herzog & de Meuron und BIG bestimmt wird.

Aber auch de Bevilacqua selbst ist eine begnadete Lichtdesignerin und hat mit „Helgoland“ ein effizientes, kontrolliertes Lichtprinzip entwickelt, das in einer kompakt optimierten Geometrie steckt. Diese „optische Maschine“ ist nur 14,5 mm dick. „Helgoland ist eine Kombination von vielen Visionen und Zielen. Erstens wollten wir das verwendete Material reduzieren. Normalerweise benötigen Spotlights eine gewisse Größe aus Gründen der Wärmeentwicklung und um die Batterie und Elektronik unterzubringen. Unsere Herausforderung war, die Größe zu minimieren, um das Produkt nachhaltiger zu machen. Deshalb verwenden wir in jeder Hinsicht weniger Material. Für die Hülle, für die Optiken, für die Elektronik. Die Frage war also, – wie können wir dieselbe oder eine höhere Leistung in dieser dünnen Scheibe unterbringen“, erläuterte de Bevilacqua auf dem Mailänder Messestand von Artemide. Der Wirkungsgrad beträgt 150 lm/W. „Helgoland“ kann mit verschiedenen Zubehörteilen für die Deckenmontage kombiniert werden. Sie kann mit oder ohne Rahmen eingebaut oder mit einem Schwenkarm versehen werden, wodurch sie mit anderen Systemen und Schienenlösungen wie „Sylt“ verbunden werden kann.

Mensch und Licht

Herrscht in der Kollektion von Artemide Vielfalt, hat im Portfolio von Wästberg Einheitlichkeit Vorrang. Der Gründer des schwedischen Leuchtenspezialisten, Magnus Wästberg, suchte von Beginn an nach den emotionalen Aspekten von Licht. Gleichzeitig ist für ihn die Technologie entscheidend. Die Verwendung der modernsten technologischen Entwicklungen in allen Bereichen sei zentral, sagt er. „Es geht darum, Technologie auf eine relevante Art und Weise einzusetzen. Technologie ist nicht der Zweck, sondern das Mittel. Nicht immer ist das, was technisch möglich ist, auch gut für den Menschen. Das heißt, wenn wir auf ein Problem oder eine Herausforderung stoßen, nutzen wir Technologie, um sie zu meistern“, betonte Wästberg während des FORMFAKTOR-Interviews auf dem von David Chipperfield Design gestalteten Messestand.

Die Kollektionen von Wästberg stammen teils von bekannten Architekten wie David Chipperfield oder Claesson Koivisto Rune und verbinden hochwertig verarbeitetes Aluminium mit State of the Art Lichtqualität. Eine überraschende Ausnahme kommt vom Architekten John Pawson, der für die „w223 Pawson“-Tischleuchte Marmor verwendet, ein sehr untypisches Material im Wästberg-Designuniversum. Der Marmor verstärkt in eingeschaltetem Zustand das Spiel mit Schatten und Licht. Ganz eindeutig werden hier die emotionalen Aspekte des Lichts angesprochen.

Architekt John Pawson fügt der Kollektion von Wästberg eine untypische Kreation hinzu. Die Leuchte sticht aus dem sonstigen Portfolio durch die Verwendung von Marmor heraus. Foto © Gilbert McCarragher

Faszination der Unvollkommenheit

Es gibt Leuchten, die sich auf den ersten Blick nicht einordnen lassen oder die eine nicht zu fassende Unbestimmtheit verströmen, eine künstlerische Aussage, die über den reinen Zweck hinausreicht. Bestes Beispiel dafür ist Ensō von Catellani & Smith. Die Leuchte ist ein Kunstwerk, das aus einem handgemalten blauen Kreis besteht, der in seiner Unvollkommenheit – im Verlauf von links nach rechts wird der Strich immer durchlässiger – bei der Betrachtung einen unwiderstehlichen Sog auslöst. Das Wort Ensō kommt in der japanischen Kalligrafie vor und benennt die Vollständigkeit und Erleuchtung. Da Letzteres nur selten zu erreichen ist, bleibt der Kreis unvollendet. Aufgrund von Enzo Catellanis Interesse und Erfahrungen mit diesem Thema kam es schließlich dazu, dass die zarte Bewegung des Pinsels auf die Dreidimensionalität eines Objekts übertragen wurde.

Neues schaffen, ohne Kompromisse

Apropos dekorativ: Mit zu den eindrucksvollsten Ständen der Euroluce zählte der Aufbau von Lasvit. Der tschechische Glas- und Lichtspezialist ist für seine malerisch-traumhaften Kreationen bekannt und auch in Mailand zeigte sich wieder das enorme kreative Potenzial des Herstellers, der sich auf die Tradition der böhmischen Glasmacherkunst beruft und diese in die Zukunft tragen will. „Die größte Herausforderung in der Lichtbranche ist es, originell zu sein. Viele der Firmen kopieren sich nur gegenseitig. Wir sind anders. Wir wollen unser Leben komplizierter machen. Oft wird die Frage gestellt, warum verwendet ihr so teure Materialien, warum seid ihr so auf Details versessen. Aber das ist der einzige Weg, um originell zu sein“, erklärt Leon Jakimič, Gründer und CEO von Lasvit. Art Director Maxim Velčovský hat dafür die drei Cs definiert: Context, Concept, Craftsmanship (also Kontext, Konzept und Handwerkskunst). Wobei Jakimič noch ein viertes C hinzufügt: Culture (Kultur).

Herausragend in seiner romantischen Qualität war die Installation „Florescence“ von Martin Gallo, einem Mitglied des Lasvit-Designteams. Das Designkonzept verwendet sogenannte kaustische Effekte. Dieser aus der Optik bekannte Begriff bezeichnet die Brechung von Licht, wodurch bestimmte Muster entstehen. Die organische Installation wirkte wie ein Portal in eine andere Dimension.

Installation „Florescence“ von Martin Gallo für Lasvit. Foto © Lukas Pelech

Handwerk aus Technopolymer

Während Lasvit nur mit natürlichen Materialien arbeitet und die Verwendung von Kunststoff ablehnt, ist Slamp ein Experte in Sachen Kunststofftechnologie und hat mit seinen bruchfesten Technopolymeren (patentiert 1994) ein eigenes Material entwickelt, das sich durch Handarbeit in prachtvolle Leuchten verwandeln lässt. Ein Klassiker des Unternehmens aus Rom ist „Aria“ von Zaha Hadid Design, der in seiner neuesten Erweiterung zu „Aria Infinita“ mutiert. Nach zehn Jahren der Kooperation verwandelt sich „Aria“ in einen Drachen, der über die Zimmerdecke fliegt. Slamps General Manager Luca Mazza: „Man kann diese Formen nicht mit anderen Materialien herstellen. Nicht mit Glas, nicht mit Spritzguss, mit Edelstahl, sondern nur mit unseren Technopolymeren. In unserem vollelektronischen Lager befinden sich 57.000 Einzelkomponenten, die in Handarbeit verbunden werden, ohne Leim, ohne Schrauben, nur einige Bänder und Gelenke. Wie bei Origami. In jedem einzelnen Prozessschritt sind die jeweiligen Mitarbeiter für die Qualität der Komponenten verantwortlich.“

„Aria Infinita“ erfüllt den Raum wie ein fliegender Drache. Erdacht von Zaha Hadid Design. © Slamp

Ästhetik und Forschung

In der Licht- und Leuchtenbranche ist die kontinuierliche Forschung ein Must. Dabei geht es nicht nur um technischen Fortschritt, sondern auch um Weiterentwicklungen in Fragen der Ästhetik. „Fregio“ von Foscarini zum Beispiel ist ein Produkt, das aus „Battiti“ entstanden ist, einem Forschungsprojekt aus dem Jahr 2022, in dem es um die Bedeutung von Dekoration und die Interaktion von Licht und Keramik ging. Dafür hat Andrea Anastasio die Archive von Gatti untersucht, hat Werke zerlegt und sie im Hinblick auf Licht wieder zusammengesetzt. Daraus ist eine Leuchte entstanden, die an das Arrangement von antiken Fundstücken in einem Museum erinnert. „Jahrhundertelang schmückten diese Basrelief-Paneele die Innenräume von Häusern und Palästen, bis sie mit dem Aufkommen der Moderne verschwanden. Im Zusammenspiel mit Licht sind sie aber sehr interessant. Das Flachrelief lebt vom Licht, sonst verschwindet sein Volumen“, erklärt Anastasio.

Eine Schreibtischleuchte für Riesen

Eine Veränderung der Perspektive kann in einer ganz neuen Sicht auf die Dinge münden. Ebenso wenn ein Objekt plötzlich in einem völlig anderen Zusammenhang auftaucht oder wenn seine Größe extrem modifiziert wird. Letzteres hat FontanaArte mit einer seiner Ikonen gemacht. Die Schreibtischleuchte „Naska“ aus dem Jahr 1933 (kurz nach der Gründung des Unternehmens 1932 auf den Markt gebracht), wurde in eine XL-Variante verwandelt, die sich auch für den Außenbereich eignet. Mit einer Größe von über zwei Metern schrumpft die „Naska XL“ seine Betrachter zu Zwergen. Weit weniger Bezüge ruft „Thalea“ von Paolo Rizzatto (legendärer Designer und Mitgründer von Luceplan) und Francesco Librizzi (Art Director FontanaArte) hervor. Die beiden spielen mit Licht und Farbe und mit unterschiedlichen Lampenschirmen aus Borosilikatglas, die dank einer innovativen Verbindungslösung vielfältig kombiniert werden können. Das Vorbild der Blütenkelche scheint naheliegend.

Die Leuchte der Hutmacherin

Die abstrakte Komposition der „Candela“-Leuchte von LZF spiegelt die extravagante Karriere der Designerin Candela Cort als Hutmacherin wider. In ihrer ersten Zusammenarbeit mit einem Unternehmen außerhalb der Modewelt schuf sie mit „Candela“ ein symbolisches Licht, das an die Kompositionen und Farbbalancen von Wassily Kandinsky erinnert. Es sind Interpretationen, die subtil und von Hand gemacht wurden, mit einer berührenden Feinheit. Cort entwickelte die Leuchte in ihrem Madrider Atelier.

Weitere Leuchtennews von der Mailänder Designwoche finden Sie hier.


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