Im Jahr 2007 erschien die erste Auflage des Buches „Super Normal“, in dem Jasper Morrison und Naoto Fukasawa 204 Alltagsobjekte versammelten, die ihrer Meinung nach hervorragend designt waren. Darunter waren Designs, deren Gestalter unbekannt sind, aber auch Klassiker von Arne Jacobsen oder Dieter Rams. Ebenso war die eigene Generation der Autoren vertreten: Marc Newson, Konstantin Grcic oder die Bouroullecs. Dies zeigte, dass gutes Design in alltäglichen Objekten über alle Zeitepochen hinweg existiert. Die Erstausgabe von „Super Normal“ liegt genau 15 Jahre zurück. Ein Grund, um mit Naoto Fukasawa und Jasper Morrison darüber zu sprechen.
FORMFAKTOR traf die beiden renommierten Designer in Mailand auf dem Messestand von Maruni. Fukasawa ist Art Director des japanischen Holzspezialisten und Morrison der zweite Hauptdesigner. Im Interview blicken sie aber nicht nur in die Vergangenheit, sondern sprechen auch über das Thema Nachhaltigkeit, das sie im Grunde mit dem Begriff der Langlebigkeit gleichsetzen.
FORMFAKTOR: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Naoto Fukasawa?
Jasper Morrison: Ich hatte eine Ausstellung im Access-Gebäude in Tokio, wo sich auch das Büro von Naoto befand – direkt unterhalb der Galerie. Also ging ich hin, um Hallo zu sagen. So haben wir uns das erste Mal getroffen. Und in genau demselben Ausstellungsraum – ungefähr sechs Jahre später – fand dann auch die Super Normal-Ausstellung statt.
FOMFAKTOR: Das war 2006. Und 2007 erschien das Buch „Super Normal“. Was war Ihr damaliger Ausgangspunkt?
Naoto Fukasawa: Was zur Ausstellung „Super Normal“ geführt hat, war, dass wir beide dieselben Gedanken in Bezug auf Design teilten. Normal ist nur ein Wort, es sagt nicht, ob etwas gut oder schlecht ist. Das Normale passiert nicht an einem einzigen Tag, die Dinge brauchen Zeit. Es ist also eine langwierige Sache. Jasper und ich versuchen immer für dieses Normale einen völlig neuen Ausdruck zu finden. Das Normale haben wir im Fokus, aber nicht auf eine altmodische Weise. Die Wege der Vergangenheit, die sich bewährt haben, beschreiten wir, um daraus neue Dinge zu gestalten. Menschen empfinden unsere Produkte als normal, aber gleichzeitig rufen sie aus: Das ist supernormal. Sie sind überrascht und erkennen, dass das, was sie sehen, etwas Besonderes ist. Aus dieser Gleichzeitigkeit entsteht ein Verständnis dafür, dass das Normale wichtig ist für unser Leben. Es geht nicht um radikale Veränderungen, sondern um Weiterentwicklung. Das ist der grundlegende Gedanke.
FORMFAKTOR: Hat sich ihre damalige Einstellung zu den Dingen verändert und oder ist sie eher gleich geblieben?
Jasper Morrison: Ich glaube, sie ist recht ähnlich. Die Entdeckung dieses Super Normal-Ansatzes hat mir sehr geholfen. Vor allem im Hinblick darauf, dass ich nicht etwas Dummes tue. Es ist eine Einstellung, eine Art zu denken, die sehr hilfreich ist.
FORMFAKTOR: Aber die allermeisten Dinge, die heutzutage produziert werden, sind keineswegs super.
Jasper Morrison: Ja, das stimmt. Aber wenn man die Möbelindustrie mit der Modeindustrie, der Verpackungsindustrie, der Automobilindustrie oder im Grunde mit jeder anderen Industrie vergleicht, dann kommen wir recht gut weg. Möbel halten sehr viel länger, in vielen Fällen sind sie recycelbar oder wiederverwendbar oder dienen der Energieerzeugung. Also wenn wir natürliche Ressourcen in so langen Zeiträumen verwenden und sie letztendlich auch auf andere Weise nutzen, dann ist das nicht schlecht. Mit der Energie des Benzins, mit dem ein Auto 67 Kilometer weit fährt, kann bereits ein Stuhl erzeugt werden – der 30 Jahre lang besteht.
FORMFAKTOR: Auch Maruni stellt hoch qualitative Möbel her. Sie sind Art Director von Maruni. Was ist für Sie das Besondere dieser Marke?
Naoto Fukasawa: Maruni stellt sehr grundsätzliche Möbel her. Wir wollen nicht außergewöhnlich sein oder avantgardistisch. Unsere Produkte sollen demütig sein. Nicht laut. Das ist wichtig. Ein Möbel ist ein Freund in unserem Leben. Vor allem mit Tischen und Stühlen verbringen wir viel Zeit. Maruni-Möbel sollen uns ein Leben lang begleiten – nicht nur einen Lebensabschnitt. Wer ein Maruni-Möbel kauft, kauft einen Begleiter fürs ganze Leben. Für immer.
FORMFAKTOR: Und die Möbel können sogar an die nächste Generation weitergegeben werden?
Naoto Fukasawa: Ja, genau.
FORMFAKTOR: Damit kommen wir zum Thema Nachhaltigkeit. Eine derartige Langlebigkeit ist doch sehr nachhaltig?
Naoto Fukasawa: Ja. Die Menschen sprechen immer von Recycling. Nein. Dinge für immer zu verwenden, das ist die wahre Nachhaltigkeit.
FORMFAKTOR: Sind Sie derselben Meinung?
Jasper Morrison: Ja, das ist das Beste. Es spielt keine Rolle, welches Material es ist, wenn das Produkt 30 Jahre lang verwendet wird, ist das ein guter Material-Einsatz. Ein Plastikstuhl, der 30 Jahre hält, ist besser als ein Holzstuhl, der nach 6 Monaten den Geist aufgibt.
FORMFAKTOR: Sie sind neben Naoto Fukasawa der Hauptdesigner von Maruni. Wie sehen Sie Ihre Rolle?
Jasper Morrison: Es ist für mich wie eine Ausbildung, denn als ich für Maruni zu arbeiten begann, war mein Wissen über Holz sehr beschränkt und ich hatte kaum Ahnung davon, wie man einen guten Holzstuhl macht. Die letzten 10 oder mehr Jahre, die wir zusammenarbeiten, waren für mich sehr lehrreich und es ist auch sehr angenehm, auf diesem Qualitätsniveau zu arbeiten. Es ist ein wirkliches Privileg mit einem Unternehmen, das ein derart reiches Wissen in der Holzbearbeitung hat, kooperieren zu dürfen.
Naoto Fukasawa: Das liegt an den Handwerkern von Maruni. Sie haben die Fähigkeit, das richtige Material auszuwählen, die Fähigkeit, die Teile auf perfekte Art zusammenzusetzen. Da steckt tatsächlich enormes Know-how dahinter. Ich spreche dabei aber nicht nur von Handarbeit, sondern von industrieller Handwerkskunst. Früher, als tatsächlich noch alles per Hand gemacht wurde, war die Produktionskapazität zum Beispiel von Stühlen begrenzt, aber heute werden neue Technologien mit dem Handwerk verknüpft. Die Massenproduktion ermöglicht es, dass mehr Menschen Maruni-Produkte erhalten können. Unsere Tische und Stühle sehen zwar aus, als währen sie von Hand gemacht, aber sie sind in Wahrheit Industrieprodukte.
FORMFAKTOR: Wie das Design von Autos entwickelt sich auch das Design von Möbeln immer weiter. An welchem Punkt in der Geschichte des Stuhldesigns befinden wir uns aktuell. Welche Aspekte werden in Zukunft wichtig sein?
Jasper Morrison: Ich kann diese Frage nur so beantworten, indem ich in die Vergangenheit blicke. Wenn man sich die Ära von Charles Eames ansieht, dann hatte er einen ganz anderen Zugang zum Thema Ergonomie als wir heute. Für ihn war es wichtig, dass der Sitz tief nach hinten geht, sodass der Nutzer geradezu im Stuhl steckt und sich nicht bewegen kann. Heute hingegen wollen wir nicht immer in einer Position sitzen, sondern uns bewegen, die Beine übereinanderschlagen, uns in verschiedene Richtungen drehen usw. Das heißt, der Grund für mehr Stühle liegt in der Tatsache, dass die Antwort auf die Frage, wie wir am besten sitzen, sich mit der Zeit verändert und verbessert. Manchmal gibt es ein neues Material, welches das Sitzen komfortabler macht. Oder das Stapeln wird einfacher. Es gibt sehr viele unterschiedliche Typen von Stühlen und unterschiedliche Einsatzzwecke – deshalb ergibt es Sinn, immer wieder neue Stühle zu entwerfen.
FORMFAKTOR: Noch einmal zurück zu „Super Normal“. Nicht jeder Mensch kann beurteilen, ob ein Produkt gut oder schlecht ist. Und dann erzählt uns auch noch die Werbung ihre Märchen …
Naoto Fukasawa: Die Menschen brauchen Anleitung, um zu verstehen, was gute Produkte sind. Egal ob alte oder neue. Viele können das nicht selbstständig herausfinden. Deshalb gibt es Menschen wie uns, die ihnen sagen können: Das ist ein gutes Produkt. Dadurch können sich Einstellungen bei den Menschen auch ändern.
FORMFAKTOR: Danke für das Gespräch!