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Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal erhalten Pritzker Prize 2021

von Markus Schraml
Lacaton & Vassal, Pritzker Prize 2021

Das französische Architekt*innen-Duo Lacaton & Vassal erhält die höchste Auszeichnung in der Architekturwelt – den Pritzker Architecture Prize. Diese Entscheidung der Jury spiegelt ein Bewusstsein wider für die veränderten sozialen und ökologischen Bedingungen, unter denen heute Architektur betrieben werden muss. Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal sind für ihre Umbauten, mit denen sie Wohnraum großzügig und kostengünstig durch Wintergärten und Balkone erweitern, bekannt. Dafür setzen sie auf einzigartige Weise Gewächshaus-Technologien ein.

Dies dürfte ganz im Sinne des Jury-Vorsitzenden Alejandro Aravena (Pritzker-Preisträger des Jahres 2016) sein. Im Jury-Statement ist denn auch zu lesen, dass Lacaton & Vassal nicht nur einen ganz eigenen architektonischen Ansatz gefunden, sondern auch den Beruf des Architekten neu definiert hätten. „Die Hoffnungen und Träume der Modernisten, das Leben vieler zu verbessern, werden durch ihre Arbeit neu belebt, indem sie auf den klimatischen und ökologischen Notstand unserer Zeit sowie die sozialen Dringlichkeiten insbesondere im Bereich des städtischen Wohnbaus reagieren. Sie erreichen dies durch ein starkes Gefühl für Raum und Materialien, woraus Architektur entsteht, die in ihren Formen ebenso kraftvoll ist wie in ihren Überzeugungen, in ihrer Ästhetik ebenso transparent ist wie in ihrer Ethik“, schreibt die Jury.

Der demokratische Geist der Architektur

„Gute Architektur ist offen – offen für das Leben, offen, um die Freiheit jedes Einzelnen zu vergrößern, wo alle tun können, was sie tun müssen“, sagt Anne Lacaton. „Sie sollte nicht demonstrativ oder imposant sein, sondern sie muss etwas Vertrautes, Nützliches und Schönes sein, mit der Fähigkeit, das Leben, das darin stattfindet, leise zu unterstützen.“ Das „Latapie House“ in Floirac (Frankreich, 1993) war das erste Projekt, bei dem Lacaton & Vassal Gewächshaus-Technologien anwendeten, um einen Wintergarten zu bauen, womit ein größerer Wohnraum mit günstigen Mitteln geschaffen wurde. Die durchsichtigen Paneele aus Polycarbonat an der Rückseite des Gebäudes erlauben es, dass Tageslicht in den gesamten Wohnraum eindringen kann und auch die Klimatisierung erleichtert wird.

In einem viel größeren Maßstab setzten Lacaton & Vassal ihre Ideen mit dem Projekt „La Tour Bois le Prêtre“ (mit Frédéric Druot) 2011 in Paris um. Es handelt sich um ein 17-stöckiges Stadthaus aus den frühen 1960er-Jahren mit 96 Wohnungen. Die Architekt*innen vergrößerten die Innenflächen der Wohneinheiten durch Entfernen der ursprünglichen Betonfassade und erweiterten die Grundfläche durch bioklimatische Balkone. Dadurch wurden viel größere, flexible Räume geschaffen mit freiem Blick auf die Stadt. Das war eine völlige Neuinterpretation des sozialen Wohnbaus sowohl in ästhetischer Hinsicht als auch in Bezug auf die Möglichkeiten der Menschen, die dort leben. „In unserer Arbeit geht es darum, Einschränkungen und Probleme zu lösen und Räume zu finden, die Nutzungen kreieren und Emotionen hervorrufen. Am Ende dieses Prozesses und all der Bemühungen muss Leichtigkeit und Einfachheit stehen, weil alles, was vorher war, so komplex war“, erklärt Jean-Philippe Vassal.

Niemals abreißen

Einen noch größeren Maßstab bedeutete die Umgestaltung dreier Gebäude mit 530 Wohnungen in Bordeaux (2017, Mies van der Rohe Award 2019). Gemeinsam mit Druot und Christophe Hutin wurde dieselbe Methode angewandt und dadurch eine visuelle Neuerfindung des sozialen Wohnkomplexes erreicht. Aufzüge und Installationen wurden modernisiert und die Wohneinheiten wiederum großzügig erweitert, manche fast um die doppelte Fläche. Die Bewohner*innen konnten bleiben, der Wohnstandard wurde erhöht und das Ganze zu einem Drittel der Kosten eines Abrisses und Neubaus umgesetzt. Das ist das Gegenteil von Gentrifizierung und der Beweis dafür, dass der Ansatz von Lacaton & Vassal auch im großen Maßstab funktioniert.

„Lacaton und Vassal sind radikal in ihrer Zartheit und mutig durch ihre Subtilität. Ihr Zugang zur gebauten Umwelt ist respektvoll und dennoch unkompliziert“, sagt Pritzker-Juryvorsitzender Aravena. Den Architekt*innen gelingt es auf einmalige Weise, neue Räume aus bestehenden zu kreieren, die den sich ändernden Bedürfnissen Rechnung tragen und die Lebensdauer der Gebäude verlängern. „Transformation ist die Möglichkeit, mit dem, was bereits vorhanden ist, mehr und besser zu werden“, betont Lacaton. „Der Abriss ist eine Entscheidung der Leichtigkeit und Kurzfristigkeit. Es ist eine Verschwendung vieler Dinge – eine Verschwendung von Energie, eine Verschwendung von Material und eine Verschwendung von Geschichte. Darüber hinaus hat es sehr negative soziale Auswirkungen. Für uns ist es ein Akt der Gewalt.“


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