Architektur und Protest – Widerstand durch das Provisorische

Die Ausstellung PROTEST / ARCHITEKTUR. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber kann bereits seit September 2023 in Frankfurt besucht werden. Nach dem dortigen Ende wandert die gemeinsam vom Deutschen Architekturmuseum (DAM) und dem MAK Wien erarbeitete Schau an die Donaumetropole und ist hier ab 14. Februar 2024 zu sehen. Inwieweit sich Protestbewegungen im öffentlichen Raum baulich manifestieren, wird unter der Projektleitung von Oliver Elser (Kurator DAM) anhand von 13 Beispielen aus der Protestgeschichte zwischen 1968 und 2023 veranschaulicht. Darunter finden sich vor allem größere Ereignisse wie „Occupy Wall Street“ (2011) in New York oder das Umbrella-Movement von 2014, 2019-2020 in Hongkong.

Was diese Proteste verbindet, ist, dass sie über einen längeren Zeitraum andauerten und sich die protestierenden Menschen deshalb eine Unterkunft schaffen mussten. Diese Provisorien beschränken sich in den meisten Fällen auf Zelte, Baracken oder Baumhäuser und wurden mit begrenzten, oft vor Ort verfügbaren sowie mitgebrachten Materialien aufgebaut bzw. aufgestellt. Der kreative Geist folgt hier dem Widerstandsgeist und ist als zivilgesellschaftlicher Ausdruck von Relevanz. Dabei taucht die Frage auf, ob hier tatsächlich von Architektur gesprochen werden kann. Für die Beantwortung ist das Nachschlagen von Architekturdefinitionen hilfreich: Ist Architektur rein der bauliche Vorgang und der Entwurfsprozess, der diesem vorangeht? Oder geht sie über den Akt des Bauens hinaus und wird der bloße Nutzen um ästhetische Faktoren erweitert? In diesem Sinne wäre Architektur als Baukunst, als künstlerische Gestaltung eines Bauwerks zu verstehen. Selbst in der Diskussion um ein funktionalistisches, konstruktives Architekturverständnis versus formal-ästhetischer Sichtweisen wird in beiden Fällen die Architektur grundsätzlich als etwas von erhöhter Bedeutung, von erhöhtem Wert verstanden.

Ganz anders sehen dies die Kuratoren der Ausstellung PROTEST / ARCHITEKTUR. Sie definieren den Architekturbegriff kurzerhand um und beziehen Protestarchitektur nicht allein auf große Strukturen wie Protestcamps, sondern es beginne bereits dort, wo jemand mit dem Körper ein Stück Raum erobert. (Stichwort Klimakleber) Wer so argumentiert, für den ist wohl jede Demonstration, ja sogar jede Art von Zusammenkunft im öffentlichen Raum Architektur – sofern eine bestimmte Intention damit verbunden ist. Eine radikale Abschweifung, die anscheinend notwendig war, um die Sinnhaftigkeit dieses Ausstellungsthemas ausreichend zu begründen.

Provisorischer Gegenentwurf

Wertfreier kann Protestarchitektur als Intervention im öffentlichen urbanen Raum oder auf der „grünen Wiese“ definiert werden. Dabei gilt es sich die ökonomischen Implikationen und das Abhängigkeitsverhältnis von Architekturschaffenden und Auftraggebern vor Augen zu führen. So gesehen scheint Architektur eher das Gegenteil von Protest zu sein, denn selbst sehr fortschrittliche Bauwerke und solche, die als umstritten gelten, wurden von den Geldgebern für gut geheißen und genehmigt. Somit scheinen die Baumhäuser, Baracken und Zeltstädte der Protestierenden tatsächlich auch architektonischer Protest zu sein: Lowtech, das Behelfsmäßige, nach konventionellen Vorstellungen Lächerliche oder sogar Hässliche ist ein Gegenentwurf zur präsentablen Architektur unserer urbanen Welt. Für den französischen Philosophen Michel Foucault ist Architektur eine Machttechnik, die die Lebenswelt der Menschen begrenzt, einschließt und letztlich in ein Herrschaftssystem eingliedert. Wer protestiert, ist ungehorsam, tritt den Herrschenden entgegen und setzt sich für ein Anliegen ganz direkt ein, weil die abgehobene Politikerkaste – mutwillig oder nicht – versagt. Radikal improvisierte, temporäre „Bauten“ sind dafür eine angemessene Ausdrucksform.

PROTEST/ARCHITEKTUR. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber. MAK Wien – Ausstellungshalle OG, 14.2. – 25.8.2024

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