Home Art „Beim Zeichnen bin ich frei“ – Ronan Bouroullec

„Beim Zeichnen bin ich frei“ – Ronan Bouroullec

von Markus Schraml
Ronan Bouroullec, Kvadrat

Der Name Ronan Bouroullec steht für präzise, detailgenaue Designs. Mit ikonischen Arbeiten für Issey Miyake, Artek, Cappellini, Magis, Flos, Kartell oder Vitra, die er vielfach mit seinem jüngeren Bruder Erwan umsetzt, bereichert er die Welt der guten Gestaltung. Ein wichtiger Teil seines kreativen Outputs ist das Zeichnen, das er von Kindheit an betreibt und das ihm als meditativer Ausgleich zu den oft intensiven, langwierigen Designprozessen dient. Zunächst strikt von seinen Möbeldesigns getrennt, trat seine künstlerische Arbeit in den letzten Jahren immer mehr in die Öffentlichkeit. Jüngstes Beispiel ist eine Ausstellung im Hôtel des Arts in Toulon, wo an die 300 Zeichnungen mit unterschiedlichen Techniken angefertigt zu sehen sind.

Nun treffen Design und Kunst erstmals aufeinander. Der französische Gestalter hat in Zusammenarbeit mit dem langjährigen Partner Kvadrat drei Textilkollektion kreiert, die von seinen Zeichnungen inspiriert sind. Dabei ging es keineswegs um die Übertragung des malerischen Charakters seiner Zeichnungen in einen Stoff, sondern darum, einzelne Elemente wie den Strich eines Stifts auf Papier oder der spezifischen Farbauswahl, die er in seinen Bildern verwendet, und die Farbnuancen in Stoffen zu interpretieren. Deshalb sind die Ergebnisse auch keine Spiegel der Zeichnungen, sondern in erster Linie eine Meisterleistung in puncto Webtechnik.

FORMFAKTOR traf Ronan Bouroullec im Kvadrat-Showroom in Mailand, wo er über die Freiheit beim Zeichnen, das Mysterium Textilien und die Ähnlichkeit von Kochen und Design sprach.


FORMFAKTOR: Was waren Ihre ersten Gedanken, als dieses Projekt aufs Tapet kam?

Ronan Bouroullec: Ich bin Designer, das heißt, wenn ich etwas gestalte, zum Beispiel einen Stuhl, geht es immer um Geometrie, um Volumen, wie Dinge miteinander verbunden sind. Textilien sind etwas völlig anderes. Sie sind für mich eine Art Mysterium. Der Webvorgang, wie eine Maschine Textilien herstellt, das ist etwas, was ich in seiner Komplexität nicht durchschaue. Also, wenn ich eine Idee habe, fertige ich eine Zeichnung an und schicke sie Kvadrat zu. Dort gibt es die besten Ingenieure im Bereich Textilien. Und dann ist es eine Frage von Tests, von Mustern, von Versuchen. Schließlich dauerte die Entwicklung vier Jahre lang.

FORMFAKTOR: Es war also ein wirklich intensives Designprojekt?

Ronan Bouroullec: Ja, und der Ausgangspunkt waren meine Zeichnungen, die ich parallel zu meiner Designarbeit mache.

FORMFAKTOR: Als ich erstmals davon hörte, war ich etwas überrascht, da ich immer den Eindruck hatte, sie sehen diese beiden Welten – ihre Zeichnungen und ihre Designs – getrennt voneinander.

Ronan Bouroullec: Das stimmt. Sie sind wirklich voneinander getrennt. Aber andererseits kommt beides aus demselben Geist, das heißt, ich kann sie nicht komplett voneinander trennen. So gesehen war dieses Projekt ein guter Startpunkt. Dabei wollte ich nicht meine Kunst direkt in ein Textil übersetzen, sondern sie war die Inspirationsquelle. Es ging also um die Frage, wie könnten Elemente aus meinen Zeichnungen in einem Textil aussehen. Schließlich sind daraus drei Kollektionen entstanden.

FORMFAKTOR: Mir scheint, dass ihre Zeichnungen in den letzten Jahren immer wichtiger wurden. Oder anders gesagt, sie traten mehr und mehr in die Öffentlichkeit.

Ronan Bouroullec: Ja, das ist offensichtlich. Ich begann meine Zeichnungen im Rahmen einer Retrospektive in Chicago zu zeigen. Sie sind einfach ein Teil meines Lebens und es war Zeit, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Zehn Jahre lang arbeitete ich allein, dann zehn Jahre mit meinem Bruder Erwan, und nun arbeiten wir beide auf verschiedenen Gebieten, weil wir uns unterschiedlichen Aspekten widmen wollen. Und ein sehr wichtiger Aspekt meiner Arbeit sind eben meine Zeichnungen.

FORMFAKTOR: Zeichnen Sie mehr als früher?

Ronan Bouroullec: Vielleicht ein bisschen mehr. Aber nach wie vor habe ich eine große Leidenschaft für Objekte. Natürlich ist der Prozess von einem Entwurf bis zu einem fertigen Stück, das sich vielleicht auf der Terrasse von Freunden wiederfindet, sehr sehr langwierig, faszinierend, aber langwierig und manchmal frustrierend. Zeichnen hingegen ist sehr einfach. Tatsächlich gibt es nichts einfacheres als zu zeichnen. Ich kann im Zug, im Flugzeug zeichnen – überall. Ich habe allerdings auch ein eigenes Studio, in dem ich nur zeichne. Es gibt also zwei Studios, am Morgen gehe ich ins Zeichen-Studio, am Nachmittag ins Designstudio.

FORMFAKTOR: Sie zeichnen jeden Tag?

Ronan Bouroullec: Ja, zeichnen ist für mich wie ein Spaziergang. Es ist die beste Art, um mich zu beruhigen – wie eine Meditation. Ich zeichne Linien, ich zeichne ohne Ziel. Es geht dabei um den physischen Vorgang des Zeichnens. Und es gibt keine Idee oder einen Plan dahinter. Alles passiert intuitiv. Es ist sehr wichtig, – das Gegenteil von dem zu tun, was ich im Designprozess mache. Dort geht es nämlich ums Nachdenken. Darüber, wie man ein Projekt umsetzen, wie man ein Unternehmen unterstützen kann. Oder die Berücksichtigung von speziellen Handwerkskünsten oder Techniken. Beim Zeichnen hingegen bin ich frei.

FORMFAKTOR: Am bekanntesten ist ihre Zeichentechnik, wo sie Linien mit einem Marker aneinanderreihen. Aber wie eine Ausstellung im Hôtel des Arts in Toulon (Anm.: noch bis 29. April 2023) zeigt, verwenden Sie sehr wohl unterschiedliche Techniken.

Ronan Bouroullec: Ich war selbst von der Vielfältigkeit der Techniken überrascht, die im Lauf der Jahre entstanden sind. Aber natürlich sind die Linien-Zeichnungen am bekanntesten.

FORMFAKTOR: Dabei zeichnen Sie Linie um Linie um Linie, sodass daraus oft Wellen-Formen entstehen. Sehr malerisch. Das Wort Welle lässt natürlich sofort an ihr Hobby, das Surfen denken. Gibt es hier eine Verbindung?

Ronan Bouroullec: Es stimmt, es gibt eine Verbindung – und zwar in Bezug auf das Vergnügen des Zeichnens und das Vergnügen des Surfens. Weil Zeichnen ist auch eine sehr physische Tätigkeit, wenn der Pinsel oder Stift mit der Oberfläche interagiert. Wie das Board mit der Welle.

FORMFAKTOR: Es ist bekannt, dass Sie in Ihrer Arbeit immer nach Harmonie und Schönheit suchen …

Ronan Bouroullec: … im Leben generell …

FORMFAKTOR: Was bedeutet für Sie Schönheit?

Ronan Bouroullec: Dafür habe ich keine Definition, weil es gibt für mich zum Beispiel keinen guten Geschmack. Geschmack ist sehr komplex. Ich weiß nicht … Schönheit könnte sein, wie das Morgenlicht auf einen Baum fällt oder eine banale Kaffeetasse, deren Proportionen perfekt sind, es kann ein Gedicht, ein Buch sein, es kann ein Stuhl in einem hässlichen Laden sein. Es gibt in dieser Welt sehr viel Schönheit. Die Frage ist, wie man sie findet. Man sollte auch versuchen, Zeit damit zu verbringen, Schönheit zu erschaffen. Ich weiß, dass ich manchmal der Schönheit recht nahekomme … Das ist eine sehr komplexe Frage.

FORMFAKTOR: Sie sagten einmal, dass Sie, wenn Sie nicht Designer wären, gerne Koch wären. Warum?

Ronan Bouroullec: Beim Kochen geht es ums Zusammensetzen. Wie kann man verschiedene Dinge miteinander verbinden. Im Design mag ich es sehr, einfache Materialien zu verwenden und daraus etwas Wundervolles zu erschaffen. In der italienischen Küche zum Beispiel gibt es sehr einfache Gerichte, die jedoch auf die richtige Weise zubereitet, auch mit dem richtigen Timing hervorragend schmecken. Ich glaube, es bestehen sehr viele Ähnlichkeiten zwischen Kochen und Design.

Danke für das Gespräch


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