Home Design Biodesign auf der Dutch Design Week 2021

Biodesign auf der Dutch Design Week 2021

von Markus Schraml
Textilienskulpturen von Marije Dijkstra.

Das größte Designevent in Nordeuropa ging in Eindhoven und digital über die Bühne. Die 20. Ausgabe der Dutch Design Week (DDW) stand unter dem Motto „The Greater Number“, eine Erinnerung an Giancarlo De Carlo, der 1968 dieses Thema für die Mailänder Triennale ausgab. Damals ging es um Überbevölkerung und den Unterschied zwischen arm und reich in der Welt. Die Herausforderungen sind 2021 ungleich größer und während der DDW kamen viele davon aufs Tapet. Können Designer*innen als Mitverantwortliche des Überkonsums von einem Teil des Problems zu einem Teil der Lösung werden, lautete eine der Fragen. Und die Antwort darauf ist mit Blick auf den Designnachwuchs mit einem großen JA zu beantworten.

DDW-Direktor Martijn Paulen sagte: „Die DDW21 kam zur rechten Zeit. Es passiert so viel in der Welt und wir brauchen die Perspektive und den Enthusiasmus von Designer*innen mehr denn je. Wir beobachten, dass sie sich mit einer ganzen Reihe von aktuellen Problemen intensiv beschäftigen, wobei das Wohl der Menschen immer im Zentrum steht. Designer*innen sind Wegbereiter für einen neuen Weg, egal ob es das CO2-Problem betrifft oder die Wohnungsknappheit, Mobilität und soziale Fragen der Inklusion. Dieser Weg wird uns in eine nachhaltige und sozial gerechtere Zukunft führen“, gibt sich Paulen optimistisch.

Die Verbindung allen Lebens

Eine Ausstellung, die das Engagement und die Innovationskraft von Designer*innen sozusagen exemplarisch widerspiegelte, fand einmal mehr in den BioArt Laboratories in Eindhoven statt. Im Fokus standen großteils spekulative Biodesign-Projekte und Designforschungen. „Urban Reef“ zum Beispiel ist eine Organisation, die mit nachhaltigen Materialien wie Myzel experimentiert und diese mit 3D-Druck und Computational Design in Verbindung bringt. Die Vision ist, das urbane Umfeld als ein lebendiges „Riff“ zu sehen, das die Wasserzirkulation und Biodiversität stimuliert. Hier wird die anthropozentrische Perspektive infrage gestellt und untersucht, wie neue Beziehungen zwischen Pilzen, Pflanzen, Tier und Mensch entstehen könnten.

„Urban Reef“-Collage before/after © Urban Reef

Biodesign ist ein Bereich, in dem Lebewesen mit Produkten und Kunstwerken in Verbindung gebracht werden. Lebende Materie wird als System betrachtet, das dazu beitragen kann, eine neue materielle Kultur zu schaffen. Ein Beispiel dafür ist das „Spinning Bombyx Mori“-Projekt. Bombyx Mori ist eine domestizierte Seidenraupenmotte. Die Seidenraupenzucht ist eine 5000 Jahre alte Tradition, die allerdings im Hinblick auf unnötiges Tierleiden verbessert werden kann. Das Projekt zielt darauf ab, den Genotyp des Bombyx zu konditionieren, also zu verändern und seine Anpassungsfähigkeit zu erforschen. Außerdem geht es darum, der Seidenraupe nach ihrem Spinnprozess zu ermöglichen, zur Motte zu werden und den natürlichen Kreislauf zu vollenden. Deshalb wird die Raupe in 3D-gedruckten Kokons platziert, die ihre natürliche Umgebung simulieren.

Das „Spinning Bombyx Mori“-Projekt will die Seidenraupenzucht besser machen. © Derya Irkdas Dogu

Ungleich radikaler gehen drei Designer*innen mit dem Projekt „In-between: the cocoon and design“ das Problem der domestizierten Seidenraupe an. Sie wollen den Prozess der Domestizierung umkehren und die Seidenraupe wieder mit ihrem natürlichen Habitat, dem Maulbeerbaum verbinden. KÜF (Betül Hafızoğlu, Elif Tekcan und Melis Baloğlu) sehen die Natur als ineinander verschlungenes Netzwerk, in dem die Fragmente und Teile fließen. Auch Seidenraupen sind ein einzigartiger Teil dieses Netzwerks, deren natürlicher Lebenszyklus allerdings für die Seidenproduktion korrumpiert wurde, meinen die Designer*innen.

Das „In-between: the cocoon and design“-Projekt will den Prozess der Domestizierung de Seidenraupe umkehren und sie wieder mit ihrem natürlichen Habitat, dem Maulbeerbaum verbinden. © Melis Baloğlu

Kreislauf des Olivenbaums

Am „Project Pomace“ sind Designer*innen, Maker*innen und Wissenschaftler*innen aus den Niederlanden und der Türkei beteiligt. In diesem Designforschungsprojekt wurden die zirkulären Qualitäten der alten Olivenanbaupraktiken in Karaburun (Türkei) untersucht, um das Potenzial des Oliventresters als Biomasse-Rohstoff einschätzen zu können. Die zweijährige Arbeit des Teams gipfelte in der Entwicklung eines neuen Bioverbundstoffes namens Pomastic. Es wurden Produktkonzepte entworfen und Prototypen erstellt, um die Einsatzmöglichkeiten dieses Biomaterials in verschiedenen Designdisziplinen zu demonstrieren.

Lokale Materialien

Das Projekt KLAAIKLÚT von Marije Dijkstra ist eine Studie über die Landschaft im Norden der Niederlande, mit der das Bewusstsein für den Wert von lokalen Materialien geschärft werden soll, vor allem im Hinblick auf das Färben von Textilien. Konkret geht es um das Färben mit lokalem Schlick, Schlamm und Ton. Mit diesem Projekt habe sich die Beziehung zu ihrem Heimatland verändert, sagt die Designerin – vor allem durch Langsamkeit und Innehalten. „Mit meiner Arbeit möchte ich die Art, wie wir auf unsere Umwelt schauen, verlangsamen“, sagt sie. Es gäbe sehr viele vergessene und unterschätzte Materialien, die man nur durch einen langsameren Blick auf die Dinge erkennen könne.

Das Projekt „Ocean Articulated“ von Studio Eidola ist eine geomorphologische Untersuchung von Stoffkreisläufen. Es befasst sich mit dem Ursprung von Materialien aus den Überresten alter Ozeane und untersucht, wie diese Materialien heute verwendet werden können. Das Ergebnis dieser Forschung ist ein neues Material, das aus der Reaktion zwischen gelöstem Salz und einer Kombination aus natürlichem Bindemittel und Sand entwickelt wurde. Das Sandgussverfahren verleiht den Stücken ein sehr charakteristisches Aussehen. Allerdings existieren sie nur temporär, weil sie wasserlöslich sind.

Möbel aus Salz und Sand alter Ozeane. © Ocean Articulated

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Architekt Roel Rutgers mit seiner sozialen Unternehmung „Tabled Design“. Dabei geht es um die Verarbeitung des Prosopis-Baums, eine invasive Spezies aus Südamerika, die die Subsahara-Region bedroht, weil sie lokale Spezies verdrängt. „Tabled Design“ bringt jungen Erwachsenen in informellen Siedlungen Namibias bei, wie man aus dem Holz dieses Baumes Möbel herstellen und sich dadurch eine Existenzgrundlage schaffen kann.

Mensch und Natur muss eine Symbiose werden

Angelo Ciccagliona hat eine „dust-machine“ (Staubmaschine) mit dem Namen „30.90582“ entworfen, die wie ein Zeichengerät funktioniert. Die Maschine schießt Staub in die Luft, der sich langsam senkt und den Boden als Staubschleier bedeckt. Gehen Besucher*innen durch diese Installation hinterlassen sie unweigerlich Spuren. Im Grunde geht es hier um die Verdeutlichung der unvermeidlichen wechselseitigen Beeinflussung zwischen Mensch und Umgebung. In dieser Hinsicht sei es laut dem Designer von fundamentaler Wichtigkeit das Konzept des Gegensatzes zwischen Mensch und Natur durch ein Konzept der Symbiose zu ersetzen. Eine Idee und ein Anspruch, der bei sehr vielen (Nachwuchs)Designer*innen zu beobachten ist. Die Dutch Design Week 2021 gab ihnen und ihren engagierten Projekten die dafür notwendige Bühne.


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