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Wittmann Art Director Luca Nichetto im Gespräch

von Markus Schraml
ANDES, Wittmann, Nichetto

Wer den Namen Wittmann hört, muss unweigerlich auch an Josef Hoffmann denken. Die Entwürfe des legendären Wiener Architekten und Designers dürfen bis heute nur von den Wittmann Möbelwerkstätten re-editiert werden. Diese zeitlosen, im Jugendstil verhafteten Möbel sind der Kern, um den der österreichische Traditionshersteller (seit 1896) durch die Zusammenarbeit mit externen Gestaltern ein hochqualitatives Portfolio vor allem an Polstermöbeln aufgebaut hat.

Waren es früher Matteo Thun oder im Besonderen Paolo Piva, die der Tradition zeitgemäße Entwürfe zur Seite stellten, begann durch Partnerschaften mit Marco Dessí, Soda Designers, Jörg Boner und schließlich Jaime Hayon Mitte der 2010er-Jahre eine Phase der kontinuierlichen, immer mutigeren Weiterentwicklung, deren jüngster wichtiger Schritt das Engagement von Luca Nichetto war. Seit März 2021 ist er Art Director bei Wittmann.

Der in Murano geborene Nichetto mit Designstudios in Stockholm und Venedig besorgte im Lauf der Jahre die Art Direction für eine ganze Reihe von internationalen Designmarken. Die reiche Erfahrung in diesem Bereich kommt nun Wittmann zugute, wobei sich Nichettos Know-how nicht nur auf Möbel beschränkt. Er designt in sehr unterschiedlichen Sparten. Die Palette reicht von Glasvasen über Parfüms für Ginori 1735 bis hin zu einer Handtasche aus Apfelschalen für Angela Roi. Durch diese Vielseitigkeit verfügt Nichetto ohne Zweifel über eine sehr weite Perspektive, was seiner Aufgabe als Art Director von Wittmann nur guttun kann.

Im FORMFAKTOR-Interview spricht Luca Nichetto über sein Rollenverständnis eines Art Directors, die Internationalisierung der Marke Wittmann und die Bedeutung des italienischen Wortes „Progettista“.


FORMFAKTOR: Wie sehen Sie die Marke Wittmann? Was zeichnet sie aus?

Luca Nichetto: Wittmann ist ein Unternehmen mit einem unglaublichen Erbe und immer noch familiengeführt. Das ist sehr wichtig. Natürlich ist Wittmann tief in der österreichischen Kultur verwurzelt.

FORMFAKTOR: Wie definieren Sie Ihre Rolle als Art Director von Wittmann?

Luca Nichetto: Meine Aufgabe liegt in der stärkeren Internationalisierung der Marke, ohne dabei diese traditionelle Verbindung zu Österreich zu verlieren. Also weder global noch lokal, sondern wie man es jetzt mit einem neuen Wort bezeichnet: glocal. Schon Jaime Hayon hat vor einigen Jahren dem Unternehmen neue Wege eröffnet und später dann hat Sebastian Herkner diese Richtung fortgesetzt – und jetzt bin ich an der Reihe. Ich glaube, für Wittmann kam mit diesen Designern ein frischer Wind ins Haus, was für das Unternehmen und die Kollektionen sehr gut war. Denn ich glaube nicht, dass sehr große Kollektionen mit nur einem einzigen Designer funktionieren können. Das führt nämlich dazu, dass eine Designer-Marke entsteht und die eigentliche Marke in den Hintergrund gedrängt wird. Für Wittmann will ich das umdrehen und mehr unterschiedliche Designer mit unterschiedlichen Stilen hereinnehmen, um eine gute Kollektion zu schaffen. Dabei sollen die Produkte weder speziell auf den Contract- oder den Wohnbereich zugeschnitten sein, sondern sich für den Einsatz in allen möglichen Umgebungen eignen.

FORMFAKTOR: Sie haben das chinesische Architektenduo Neri & Hu an Bord geholt. Warum?

Luca Nichetto: Erstens hat Wittmann eine lange Tradition in der Zusammenarbeit mit Architekten – hervorragenden Architekten und guten Designern. Diese Tradition wollte ich fortsetzen. Zweitens kommen sie aus China, was dem internationalen Aspekt entgegenkommt. Die beiden verstehen den Raum und wie beispielsweise ein Sofa darin wirkt.

FORMFAKTOR: In der Wittmann-Kollektion gibt es natürlich auch Entwürfe von Ihnen selbst. Nun haben Sie zum Beispiel Ihre Andes-Kollektion erweitert. Ist das eine Strategie, die sie gerne verfolgen, eine Kollektion immer mehr auszuweiten?

Luca Nichetto: Ja, wenn es die Art des Entwurfs zulässt, ist es ein guter Weg, zusätzliche Stücke zu kreieren, weil das die Aufmerksamkeit und die Langlebigkeit einer Kollektion verstärkt. Und auch die Fähigkeiten des Unternehmens werden damit gezeigt.

FORMFAKTOR: Welche Rolle spielt für Sie Humor im Design?

Luca Nichetto: Humor ist das Wichtigste überhaupt. Ohne Spaß kann ich nicht designen. Wir müssen spielen, leicht sein, Spaß haben. All das habe ich. Das bedeutet aber nicht unprofessionell zu sein. Man kann humorvoll sein und gleichzeitig gute Arbeit abliefern. Das Leben ist zu kurz, um ständig zu leiden und frustriert zu sein. Wir sollten nicht alles zu ernst nehmen. Wir arbeiten in einem privilegierten Bereich, vor allem wenn man sich ansieht, was um uns herum in der Welt passiert. Das muss uns bewusst sein. Ich glaube, es ist sehr wichtig, Spaß zu haben – wirklich.

FORMFAKTOR: Sie sind dafür bekannt, sehr viele unterschiedliche Produkte und Projekte umzusetzen. Sie haben Parfüms und Mode kreiert, ein Hermés-Schaufenster gestaltet und haben sogar einen eigenen Podcast. Was ist Ihr Antrieb, so viele verschiedene Dinge zu tun?

Luca Nichetto: Design kann auf vielen verschiedenen Ebenen angewendet werden. Es gibt im italienischen noch ein anderes Wort für Designer – „Progettista“ – das ist jemand, der Projekte durchführt. Das Projekt kann ein Kuchen, ein Haus, ein Kleidungsstück sein – im Grunde kann alles ein Projekt sein. Ich fühle mich zu diesem Wort sehr hingezogen und möchte mich auch nicht in eine Schublade stecken lassen – oder selbst stecken. Für mich ist das ein Weg, mein Wissen als Designer auf verschiedene Bereiche anzuwenden, um zu sehen, was ich darin Neues erreichen kann.

FORMFAKTOR: Was wären solch neue, außergewöhnliche Projekte?

Luca Nichetto: Ich habe ein Klavier für Steinway & Sons designt und es wird auch eine neue Parfüm-Kollektion geben.

FORMFAKTOR: Was sind Ihre Pläne für Wittmann in den nächsten Monaten und Jahren?

Luca Nichetto: Wir haben nun den ersten Schritt gemacht und werden diese Richtung weiter verfolgen. Unser Strategieplan ist auf drei Jahre ausgelegt. Wir werden die Lücken in der Kollektion, die es noch gibt, zunehmend schließen. Und – nächstes Jahr wird ein neuer Designer zu uns stoßen.

(Luca Nichetto verrät nicht, wer es sein wird)

FORMFAKTOR: Vielen Dank für das Gespräch!


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