Home Design Die größten Saurier der Welt in Nevada – Ausstellungsdesign von Graft Brandlab

Die größten Saurier der Welt in Nevada – Ausstellungsdesign von Graft Brandlab

von Markus Schraml
Deep Time, Nevada, Graft Brandlab

Dinosaurier faszinieren Kinder und Erwachsene seit jeher. Die riesigen Urzeitwesen sind voller Geheimnisse und der Zeitrahmen ihrer Existenz liegt unvorstellbar weit in der Vergangenheit. Diese Unvorstellbarkeit will eine Ausstellung im US-amerikanischen Nevada Museum of Art greifbar machen. Unter dem Titel „Deep Time“ wird im kommenden Jahr die Geschichte der Ichthyosaurier erzählt. Für die Ausstellungsgestaltung zeichnet die Berliner Branding- und Innovationsagentur Graft Brandlab verantwortlich. Unter der Leitung von Prof. Nikolaus Hafermaas (Managing Partner | Creation) wurde ein multimediales Ausstellungskonzept entwickelt, das die neuesten Ichthyosaurier-Funde und -Erkenntnisse auf künstlerische Weise inszeniert.

Diese auch Fischsaurier genannte Gruppe von Reptilien lebte über 150 Millionen Jahre erfolgreich auf der Erde und starb vor 93 Millionen Jahren aus – 30 Millionen Jahre bevor die Dinosaurier das Zeitliche segneten. Die Ausstellung in Reno beinhaltet noch nie zuvor gezeigte Ichthyosaurier-Fossilien, die in den Wüsten des amerikanischen Westens ausgegraben wurden. Sie umfasst historische Entdeckungen aus Nevada, die von Paläontologen des frühen 20. Jahrhunderts gemacht wurden, sowie die neuesten Funde des renommierten deutschen Paläontologen Dr. Martin Sander, der seit mehr als drei Jahrzehnten in den Augusta Mountains von Nevada arbeitet. Die Ausstellung wird von Sander und Ann M. Wolfe, Chefkuratorin des Nevada Museum of Art, kuratiert.

Ichthyosaurier gelten als die größten Lebewesen aller Zeiten. Arten wie der Shonisaurus konnten eine Länge von über 20 Metern erreichen. Nun legt allerdings der Fund eines Halswirbels sogar eine Größe von über 30 Metern nahe. Diese riesigen Ausmaße sollen in der Ausstellung veranschaulicht werden. Hafermaas und sein Team sind aktuell dabei, eine lebensgroße Skulptur eines schwangeren Ichthyosauriers zu erschaffen. Im FORMFAKTOR-Exklusivinterview spricht Nik Hafermaas von räumlichen und skulpturalen Designtechniken sowie Augmented- und Virtual-Reality-Elementen, die eine Brücke aus der Vergangenheit in die Gegenwart schlagen und eine Diskussion über Zeit sowie unsere eigene Zukunft als Menschen auf diesem Planeten anstoßen sollen.


FORMFAKTOR: Welche Ziele haben Sie mit Ihrem Konzept für die Ausstellung im Nevada Museum of Art verfolgt?

Nik Hafermaas: Das Nevada Museum of Art kam vor ungefähr einem Jahr auf uns zu, mit der Idee einer Ausstellung über Meeressaurier, weil dieses Gebiet bedeutende Fundstätten von Fossilien dieser Tiere hat. Für mich kam dann sofort das Thema Zeit, Zeiträume, Zeitmaßstäbe auf, die weit über unseren Erfahrungshorizont hinausgehen. Wir können das nicht wahrnehmen, nicht richtig verstehen. Als Mensch können wir vielleicht zwei bis vier Generation in die Vergangenheit und vielleicht eine in die Zukunft schauen. Was sind denn diese 150 Jahre (was sind 100.000 Jahre) im Vergleich zu 250 Millionen Jahren. Daher kam in unseren ersten Diskussionen über die Ausstellung sehr schnell der Titel „Deep Time“. Wir benutzen hier die Ichthyosaurier als eine Art Sprungbrett zu einer Reflexion darüber, wo wir als Menschheit stehen, ein Innehalten, um unseren Horizont radikal zu erweitern. Gleichzeitig ist es keine zu verkopfte Ausstellung, sondern eine mit viel Appeal. Was lieben Kids mehr als Dinosaurier?

FORMFAKTOR: Mit welchen Mitteln wollen sie das Unvorstellbare in der Ausstellung greifbar machen?

Nik Hafermaas: Die Ausstellung besteht aus vielen Inszenierungen, aber im Zentrum steht eine Visualisierung eines Ichthyosaurus in Originalgröße. Wir arbeiten bereits ein Jahr an der Ausstellung und in dieser Zeit kam Martin Sander immer wieder mit Neuigkeiten von neuen Funden. So wurde ein neuer Halswirbel gefunden, der eine Größe dieses Tieres von über 30 Metern nahelegt. Das ist eine unglaubliche Größe, denn das größte Dinosaurier-Skelett hier im Naturkundemuseum Berlin misst gerade einmal 13 Meter (Anm.: Brachiosaurus brancai). Es stellt sich nun die Frage, arbeiten wir hier mit absolut gesichertem Wissen, oder arbeiten wir mit Wahrscheinlichkeiten? Im Moment ist es eine Annahme und unser Modell hat ein Wahrscheinlichkeitsvolumen, das allerdings so groß ist, dass es gar nicht in den Raum hineinpassen würde, wenn es nicht eine Kurve schwimmen würde.

Digitale, multimediale Projektionen treffen in der Ausstellung auf ein lebensgroßes physisches Modell eines Ichthysauriers. © Graft Brandlab

FORMFAKTOR: Wie setzen Sie dieses reelle Modell des Tieres um?

Nik Hafermaas: Die Umsetzung erfolgt mit einer physischen Pointcloud. Pointcloud ist ein digitales Messverfahren, mit dem man die Umgebung dreidimensional einscannen kann – mit LIDAR-Technologie. Dieses digitale Modell bauen wir jetzt physisch nach – aus von der Decke abgehängten kleinen Kugeln an Perlschnüren. Wir verwenden dafür 20.000 halbtransparente Plastikkugeln aus recyceltem Ocean Plastic. In dieses Modell hinein werden wir 3D-gedruckte Knochenteile hängen – den Kopf und eine Flosse. Das sind echte Fundstücke, die eingescannt und ausgedruckt werden.

FORMFAKTOR: Sie haben diesem Saurier den Namen Annie gegeben. Es ist also eine Saurier-Dame …

Nik Hafermaas: Der Name kommt von Annie Alexander, einer Paläontologie-Pionierin, die bereits 1905 die erste Saurier-Expedition in diesem Gebiet gemacht hat. Und – unsere Annie ist schwanger. Das heißt, innerhalb dieses Volumens haben wir auch einen Fötus, der alleine schon 10 Meter lang ist. Ich glaube, das zeigt schon, mit welch unglaublichen Dimensionen wir es hier zu tun haben.

FORMFAKTOR: Neben diesem physischen Modell gibt es eine Reihe von multimedialen Darstellungsformen, die sie für die Ausstellung verwenden. Welche sind das?

Nik Hafermass: Der Titel „Deep Time“ bezieht sich auf die Frage, wie kann ich diese 250 Millionen Jahre visualisieren. Wir haben dafür eine Evolutionszeitleiste kreiert, die sich über die knapp 30 Meter lange, geschwungene Wand entlangzieht. Dabei handelt es sich um eine logarithmisch gestaltete Wandgrafik. Das heißt, wir arbeiten mit verschiedenen Zeitabschnitten und Vergrößerungsstufen und zeigen die verschiedenen Schlüsselmomente. Die Zeitleiste ist einerseits grafisch, andererseits werden wir dort QR-Codes einbetten, worüber Videos abrufbar sind. Wenn die Zeitleiste in der Jetztzeit ankommt, trifft sie auf eine große Medienfläche, die die gesamte Rückwand einnimmt. Und von dort blicken wir spekulativ in die Zukunft. Hier macht es für mich dann Sinn, das volle digitale Programm zu fahren, um die Wünsche, Ängste, die Fragen an die Zukunft zu thematisieren und sie digital dynamisch darzustellen. Hier gibt es zum Beispiel näherungssensitive Flächen. Wenn ich mich ihnen nähere, kommen aus dem Nebel der Zukunft Dinge auf mich zu. Hier kann ich auch über mein Handy Kommentare direkt an die Wand abgeben.

Spannende physische Inszenierungen sind der große Pluspunkt von Ausstellungen, um gegen die allgegenwärtige digitale Welt eine Chance zu haben. © Graft Brandlab

FORMFAKTOR: Warum eignet sich gerade ein künstlerischer Kontext für die Veranschaulichung von wissenschaftlichen Erkenntnissen?

Nik Hafermaas: Martin Sander sagte einmal: „Science is driven by beauty“. Eine fantastische Aussage, dass Wissenschaft von Schönheit angetrieben wird. Die Fähigkeit von Wissenschaftlern, bei ihrer eigenen Arbeit Ehrfurcht und Schönheit zu erleben, öffnet einem den Geist und das Herz. Das ist etwas Universelles. Wir Menschen werden durch Schönheit, durch Wunder, durch das Gefühl, dass es Dinge gibt, die größer sind als wir, getriggert. Bei so hyperrealistischen Simulationen wie etwa in Jurassic Park, wo alles genau audiovisuell vorgespielt wird, bleibt kein Platz für die eigene Fantasie. Wohingegen in der Kunst, die einen gewissen Abstraktionsgrad hat, die menschliche Fantasie, die eigene Interpretation vielmehr Raum bekommt. Deshalb glaube ich, dass die Kunst sehr gut eine Beziehung zu solch eher abstrakten Themen wie in Deep Time und zu philosophischen Fragen schaffen kann, die weit über unseren alltäglichen Erfahrungsraum hinausgehen.

FORMFAKTOR: Sie sprechen davon, dass dies eine neue Perspektive auf unseren Platz im Universum bieten würde. Wie sehen Sie diesen Platz?

Nik Hafermaas: In Bezug auf diese Frage sind die Gespräche mit Martin Sander sehr lehrreich. Manchmal sondert er einen Satz ab, den ich mir sofort aufschreibe. Und einer dieser Sätze war. „Ich mache mir überhaupt keine Sorgen um das Leben auf diesem Planeten. Das wird immer weitergehen – allerdings ohne uns.“ Also die Ansicht, dass wir Menschen uns für die Krönung der Schöpfung halten und meinen, wenn wir untergehen, gibt es nichts mehr, Gespräche mit Martin relativieren diese Ansicht doch sehr. Man bekommt immer wieder das Gefühl, dass wir ein Teil von wesentlich größeren Zusammenhängen sind. Für manche Menschen ist das vielleicht erschreckend, andererseits finde ich es aber extrem beruhigend. Weil es uns aus diesem Hamsterrad – alles wird immer schlimmer und in drei Jahren ist alles zu Ende – herausnimmt. Wir machen einen Schritt zurück und erkennen, es gibt noch andere Dinge als uns.

Danke für das Gespräch!

Die Eröffnung der Ausstellung „Deep Time: Sea Dragons of Nevada“ ist für August 2024 geplant.


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