Der Wort-Hybrid Mediatektur bezeichnet die Verbindung von Medien und Architektur. Konkret sind damit medienkünstlerische Arbeiten in Räumen und an Gebäudefassaden gemeint. Meist geht es um innovative Branding-Maßnahmen oder digitale Kunstwerke im öffentlichen Raum. Der Begriff steht für eine Transformation von Räumen in atmosphärische Orte der Kommunikation.
Die digitalen Technologien, die dabei verwendet werden, sind unterschiedlich. Eine davon ist die E-Paper-Technologie, wie sie die meisten Menschen vom Kindle-E-Reader kennen. Eine Vorliebe für die vergrößerte Anwendung von E-Ink hat Prof. Nik Hafermaas, der bei der Berliner Agentur Graft Brandlab den Kreativbereich leitet. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Mediatektur und sein jüngstes Projekt war Anfang des Jahres auf der CES in Las Vegas zu sehen. Dort wurde mit einer überdimensionalen Ambient Media Installation der vollelektrische BMW iX in Szene gesetzt.
Für die Inszenierung des BMW iX Flow haben die Medienkünstler eine Choreografie von lebendig-anmutenden Visuals geschaffen, die sowohl auf der 30 Meter breiten und acht Meter hohen Medienfassade als auch auf dem Fahrzeug selbst abgespielt wurden. Der Einsatz der elektronischen Farbwechselfolie (E-Paper) von E Ink erzeugte dramatische visuelle Effekte und benötigte dafür nur ein Minimum an Energie. Dieser sparsame Energieverbrauch kommt dadurch zustande, dass E-Paper nur für den Farbwechsel Strom benötigt, nicht aber für das Beibehalten eines Status.
Nik Hafermaas sorgte bereits im Jahr 2010 mit der eCLOUD Installation am Flughafen in San Jose (Kalifornien) für Aufsehen, die er mit der Künstlerinitiative ueberall kreiert hatte. Weitere spannende Projekte waren die interaktive e°FLOW-Skulptur, wo er bereits mit der E Ink Corporation (eine MIT Media Lab Ausgründung) zusammenarbeitete und E Ink Prism™ einsetzte, ein innovativer Farbwechselfilm. Oder DAZZLE am San Diego International Airport, wo auf einer Länge von fast 500 Metern ein markantes Wandbild entstand. Bestehend aus 2.100 E-Paper-Panels – jedes autonom solarbetrieben und computergesteuert – wird die gesamte Gebäudefassade mit nachhaltiger, programmierbarer Technologie animiert. Die E-Paper-Panel sind so orchestriert, dass sie gemeinsame Animationen anzeigen, die an Wasserwellen, fließenden Verkehr oder tanzende Schneeflocken erinnern.
Hafermaas glaubt, dass digitale Technologie und der physische Raum irgendwann nahtlos verschmelzen werden. Die physischen Grenzen würden durch eine Einheit von Mensch, Medien und Raum überwunden. Im FORMFAKTOR-Exklusivinterview spricht Nik Hafermaas über kommunikative Oberflächen, die Verbindung von Digitalem und Physischem sowie von einer neuen digitalen Revolution, bei der es um die Überwindung der Bildschirme gehe.
FORMFAKTOR: Anfang des Jahres haben Sie auf der CES in Las Vegas ein Projekt mit BMW präsentiert. Sie haben einen BMW iX mit einer Technologie in Szene gesetzt, die sich E Ink nennt und die vom Kindle E-Reader bekannt ist. Wie war die Zusammenarbeit mit BMW?
Nik Hafermaas: Es war eine super Zusammenarbeit. Besonders interessant daran war, dass es wirklich aus der BMW-Forschungsabteilung kam. Also das haben sich nicht Marketing-Leute ausgedacht, sondern eine Ingenieurin hatte sich dort schon länger mit alternativen Materialien auseinandergesetzt, die im Grunde veränderbare Oberflächen ermöglichen. Sie ist dabei auf E Ink gestoßen. So kam der Vorschlag, mit dieser Technologie ein Showcar herzustellen, dessen Oberfläche sich ändert. Also ein Auto, das sein Äußeres verändern kann. Ich war der Erste, der als Künstler diese Technologie experimentell genutzt hat. Zuerst habe ich es auf eine Skulptur angewendet und später damit eine sehr große Fassade am Flughafen von San Diego gestaltet. Durch diese künstlerischen Arbeiten war ich bekannt geworden und als die Idee aufkam, nicht nur ein Auto mit E Ink zu designen, sondern auch eine Architektur drum herum, war ich die richtige Person dafür.
FORMFAKTOR: Welche Oberflächen sind notwendig, damit man E Ink einsetzen kann?
Nik Hafermaas: Man kann dafür im Prinzip jede harte, ebene Fläche verwenden. Sie können sich das vorstellen wie die laminierte Speisekarte in einem Restaurant oder wie bei einem Personalausweis. Das sind zwei klare, ziemlich stabile Schichten von Kunststoffmaterial und dazwischen ist die aktive Schicht. Es ist eine Art Gelee, das aus Farbmolekülen besteht, die zwei unterschiedliche Farben haben. In diesem Fall Schwarz und Weiß. Und je nachdem, wie die Spannung angelegt wird, schwimmt die eine Farbe nach oben und die andere nach unten oder umgekehrt. Das ist ein physikalischer Prozess. Diese Schichten kann man im Grunde beliebig lang produzieren. Die eigentliche Kunst dabei ist, wie man dieses Material dann ansteuert, dass es zu einer organischen Animation wird. Das ist die wesentlich höhere Kunst dabei.
FORMFAKTOR: Wie viel Energie verbraucht die E Ink-Technologie im Vergleich zu anderen Technologien, die in der Medienkunst verwendet werden?
Nik Hafermaas: Es ist ein Bruchteil. Licht aussendendes Material wie LED braucht Strom. Schaltet man den aus, ist alles Schwarz. Der Vorteil des E Ink-Materials ist, dass es hier den sogenannten stable state gibt. Das heißt, das Material behält immer jenen Status bei, der zuletzt angesteuert wurde. Ich kann das also auf Schwarz oder auf Weiß stellen, mache den Strom aus und es bleibt einfach so. Ich brauche also nur Strom, wenn ich eine Farbveränderung erstellen will. Aber ich brauche sozusagen keinen Dauerstrom. Deshalb ist der Stromverbrauch vielleicht nur 10 % im Vergleich zu anderen Technologien.
FORMFAKTOR: Sie haben mit der Initiative „ueberall“ bereits in den 10er-Jahren mit veränderbaren Oberflächen von Gebäuden oder mit Kunstobjekten in Gebäuden gearbeitet. Wie kamen Sie ursprünglich darauf, im Bereich Mediatektur zu arbeiten?
Nik Hafermaas: Es hat mich immer schon fasziniert, wie man digitales Verhalten verräumlichen kann, jenseits der Einschränkungen, die man mit einem Monitor oder mit einer Projektion hat. Denn ich glaube daran, dass die nächste digitale Revolution außerhalb der Bildschirme stattfinden wird. Das Digitale muss ganz zwangsläufig eine andere Symbiose mit dem Räumlichen eingehen. Das erste Projekt war auch in San Jose, am Flughafen im Silicon Valley. In einer künstlerischen Ausschreibung sollte ein Kunstwerk in einem der Verbindungsgebäude zwischen den Gates gestaltet werden. Dieses neue Gebäude hatte eine große Glasfläche als Decke, von der viel Tageslicht einstrahlte. Gefragt war eine Skulptur, die sich an der Decke oder im Luftraum befindet und etwas tut. Nun ist es in der Medienkunst so, dass man es gerne dunkel hat, denn in einem dunklen Raum hat man die volle Kontrolle über das Licht. Es stellte sich also die Frage, was kann man als dynamisches Anzeigemedium benutzen, was das Tageslicht nicht hasst, sondern liebt. Schließlich kam ein Mitkünstler auf die Idee, LCD Glas zu verwenden. Das ist Glas, das zwischen klar und weiß opak hin und her switchen kann. Es wurde damals schon etwa in Krankenhäusern benutzt, um Privatheit zu schaffen oder Philippe Starck hatte damit Toiletten ausgestattet. Also wenn man hineinging, wurde das zunächst klare Glas opak. Wir haben nun aber gesagt, wenn man dieses Material als Pixel benutzt, ist es ein genuines Anzeigemedium. Das heißt, wir haben dann ein paar Tausend dieser Pixel in einer Wolkenform von der Decke abgehängt und damit ein Display geschaffen, dass Fremdlicht nicht hasst, sondern liebt. Also je mehr kalifornische Sonne durch das Dach brennt, desto fröhlicher werden unsere Pixel. Mittlerweile ist diese eCloud seit 12 Jahren im Einsatz und wird von den Google Wetterdaten gespeist. Jede Art von Wetter spiegelt sich in der Wolke wider.
FORMFAKTOR: Sie sprechen davon, dass wir uns in der „Second Digital Revolution“ befinden. Was meinen Sie damit?
Nik Hafermaas: Jede Vereinigung, jede Marke, jeder, der sich damit beschäftigt, versucht im Moment einen Übergang zwischen dem zu schaffen, was manche das Metaverse nennen und der physischen Realität. Das größte Problem dabei ist, wie komme ich da hinein, wie komme ich wieder heraus und wie schaffe ich eine Beziehung zu meiner Körperlichkeit. Wie schaffe ich ein Gefühl der Gemeinschaft? Wie schaffe ich es, dass das Narrativ nahtlos funktioniert? Und wie schaffe ich es, dass ich nicht mit so einer Taucherbrille alleine dastehe und da drinnen als eine Art Playmobil-Männchen repräsentiert werde. Das ist erstens nichts Neues und zweitens hochgradig albern. Es dreht sich also um die Verschmelzung des Digitalen mit dem Physischen und darum, eine neue Schnittstelle sowohl inhaltlich als auch technologisch zu finden.
FORMFAKTOR: Wo könnte diese neue Verschmelzung von digital und physisch angewendet werden?
Nik Hafermaas: Ich denke, in jedem Lebensbereich. Zum Beispiel Retail, wo ich überlegen muss, was muss ich hier anbieten, damit sich die Menschen überhaupt noch von zu Hause dahin bewegen. Und gleichzeitig brauche ich ein unbeschränktes digitales Angebot, das sich maßgeschneidert benutzen lässt. Das ist so wie bei Alice im Wunderland der Kaninchenbau: Dieser Kaninchenbau will gestaltet werden.
FORMFAKTOR: Wie sehen Sie grundsätzlich dieses Zusammenspiel von Objekten oder Architektur und digitalen Medien?
Nik Hafermaas: Die Kunst hat den Vorteil, dass sie mehr Dinge darf. Sie darf wild experimentieren, Dinge infrage stellen. Ich hatte damals in meiner Zeit in Kalifornien die Möglichkeit, Werke zu schaffen, die als Kunst anerkannt wurden. Ich konnte Dinge ausprobieren, wofür im kommerziellen Bereich niemand das Geld zur Verfügung stellen würde. Wir denken bei Graft Brandlab viel über neue Arbeitswelten, smarte Gebäude usw. nach. Dinge, die also nicht nur der Zurschaustellung dienen, sondern die originär die Lebensqualität erhöhen wollen. Dabei merken wir immer wieder, dass sich dafür auf der Auftraggeber-Seite keiner zuständig fühlt. Da gibt es Leute, die machen Hochbau, welche machen Kommunikation, aber es gibt niemanden für die Verbindung des Digitalen mit dem Narrativen, mit dem Engineering. Und hier kommt die Kunst ins Spiel, denn wenn man Glück hat, findet man Auftraggeber, die sagen, es muss ja nur schön sein oder es muss spektakulär sein und dafür haben wir Geld.
FORMFAKTOR: Welchen Unterschied gibt es zwischen völlig freier Kunst und Kunst für Marken?
Nik Hafermaas: Da gibt es kein Schwarz und Weiß. Meine Erfahrungen in Amerika, vor allem in Kalifornien haben mir gezeigt, dass man dort als Designer Dinge machen kann, die Kunst genannt werden und als Künstler kann man Dinge machen, die Design genannt werden und es schert sich keiner darum. In Deutschland würde ich das nie wagen. Hier würde ich mich auch nicht als Künstler bezeichnen, weil hier der Diskurs um die Kunst ein ganz anderer ist.
FORMFAKTOR: Sie sind Juror beim diesjährigen ADC-Festival. Welche Trends sehen Sie bei den Kreativen wenn sie für die Kommunikationsbranche arbeiten?
Nik Hafermaas: Ich glaube, das Streben, das Beste aus dem Digitalen mit dem Besten aus dem Physischen zusammenzubringen ist ziemlich universell. Ich war dieses Jahr auf der CES, leider habe ich dort nur gesehen, wie das Schlechteste aus dem Digitalen mit dem Schlechtesten aus dem Physischen zusammengebracht wurde. Da gab es physisch nichts zu erleben, nur weiße Flächen, die mit Augmented Reality bespielt werden sollten, aber dann hat die AR auch nicht funktioniert. Ich denke, wir sind derzeit in einer ganz radikalen Umbruchphase in ganz vielen Aspekten. Es geht gerade um Trial and Error. Ich bin sehr gespannt, wenn ich mir die Arbeiten beim ADC anschauen werde, welche Dinge sich dort als richtungsweisend herausstellen. Ich glaube, man wird auch sehr viel Hilflosigkeit sehen. Das ist aber niemandem anzukreiden, das ist einfach ein Zeichen der Umbruchzeit. Im Moment spiegeln zum Beispiel Elektroautos hauptsächlich die Ratlosigkeit der Ingenieure und Designer wider, weil wir in diesem radikalen Umbruch sind und sich noch keine wirkliche Sprache dafür entwickelt hat. Das ist so wie damals, als die ersten Autos wie Kutschen ohne Pferde aussahen. Es muss sich eine Sprache entwickeln, nicht nur technologisch oder im Design, sondern ganz allgemein – auf die sich die Menschen erst einigen müssen. Das ist eine Sache, die sich in diesen Jahren endlich vollziehen wird. Weil – machen wir uns nichts vor – zum Beispiel Virtual Reality. Wir haben als Agentur schon Mitte der 90er-Jahre Inszenierungen gemacht. Da gab es auch schon die Datenbrillen und Handschuhe.
FORMFAKTOR: Wo sehen Sie zukünftige Potenziale der E Ink Technologie bzw. von Mediatektur im Allgemeinen? Beim Projekt „Dazzle“ haben sie ja schon eine recht große Fläche damit bespielt.
Nik Hafermaas: Es gibt dabei zwei Richtungen. Medien im Außenraum haben enormen Umwelteinfluss. Wer einmal in Las Vegas oder am Time Square war und gesehen hat, welche Mengen an Strom dort hinaus geblasen werden, welche Lichtverschmutzung im urbanen Raum da entsteht und wie sinnlos das ist, muss erkennen, dass das eine Sackgasse ist. Mediatektur bedeutet ja nicht, dass man irgendwelche Bildschirme groß macht, sondern dass man kommunikative Oberflächen und Architektur verschränkt, die im Idealfall gleichzeitig gedacht und entwickelt werden. So war es beim Projekt „Dazzle“ noch nicht, weil wir erst die Ausschreibung gewonnen hatten, als das Gebäude schon dastand. Der limitierende Faktor war, dass uns gesagt wurde: ihr könnt dort gerne etwas machen, was animiert ist, was die Architektur optisch beeinflusst, aber ihr dürft keine Löcher in unseren neuen, schönen weißen Beton bohren. Die Schlussfolgerung daraus war, man braucht Elemente, die ihren eigenen Strom erzeugen. Wir haben dann digitale Aufkleber entwickelt und hergestellt. Sie sind in sich autark und sammeln ihren Strom über Photovoltaik, haben eine Batterie und einen Empfänger. Diese Aufkleber haben wir entlang der gesamten Fassade angebracht und mittels eigenem WLAN-Netzwerk angesteuert. Damit hatten wir ein energieautarkes, nachhaltiges Material als Proof of Concept – haben also gezeigt, dass es funktioniert. Zweitens haben wir ein Kunstwerk geschaffen, dass keine Lichtverschmutzung bewirkt. Es ist sehr augenfreundlich, weil es ja nur das Umgebungslicht reflektiert und nicht selber Licht ausstrahlt.
FORMFAKTOR: Gibt es neue Projekte?
Nik Hafermaas: Ja, ich habe gerade ein spannendes Proposal für einen mehrstöckigen Wintergarten in einem Krankenhaus gemacht. Es gibt jetzt ein Material, das von durchsichtig auf Farbe umschalten kann. Das ist die nächste Generation des E Ink Materials. Wenn ich das zum Beispiel auf Glasscheiben aufbringe, kann ich fein eingestellte Filterungen von Licht erstellen. Damit kann ich also den Blick von innen nach außen oder von außen nach innen manipulieren und damit auch den visuellen Eindruck. Es geht also um das Außen und das Innen und das korrespondiert in Bezug auf das Krankenhaus mit dem Thema Atmung. Diese Anwendung ist, denke ich, die nächste gestalterische Herausforderung.