Im New Museum in New York läuft derzeit die erste Einzelausstellung der südkoreanischen Künstlerin Mire Lee in Amerika. Die Installation „Mire Lee: Black Sun“ findet sich im vierten Stockwerk des Museums. Dort hat Lee eine architektonische Umgebung, kinetische Skulpturen und Stoffarbeiten aufgebaut. Die Stoffe für Letztere stammen vom dänischen Textilriesen Kvadrat. Die Künstlerin verwendete dafür die Textilien Cocoon von Sahco und Apparel von Kvadrat Febrik. Diese tauchte sie in flüssigen Ton.
Weitere Materialien, die Lee für ihre animatronische Skulpturen verwendete, sind Lowtech-Motoren, Pumpsysteme, Stahlstangen und PVC-Schläuche, die mit Fett, Glycerin, Silikon, Tonschlicker und Öl gefüllt sind. Die Objekte funktionieren wie lebende Organismen als auch biologische Maschinen. Die Künstlerin nimmt Bezug auf Architektur, Horror, Pornografie sowie Kybernetik und thematisiert Körperfunktionen und Umweltverfall. Das Ganze bewegt sich intuitiv zwischen dem Technologischen und dem Körperlichen.
Emotionale Leere
Der Titel der Ausstellung geht auf das Buch „Black Sun“ der bulgarisch-französischen Feministin und Semiotikerin Julia Kristeva aus dem Jahr 1987 zurück – eine Studie über Depression und Melancholie. Lees Installation mit einer neuen Gruppe kinetischer Skulpturen wurde in einer von ihr speziell für das New Museum entworfenen architektonischen Umgebung aufgestellt. Geleitet von kritischen Fragen hinsichtlich Raum, Atmosphäre und Materialien vermitteln die taktilen Qualitäten von Lees neuestem Werk emotionale Leere und psychologische Spannung.
Beunruhigende Biologien
In ihren jüngsten Ausstellungen hat Lee anspruchsvolle Umgebungen geschaffen, die den Betrachtern zutiefst körperliche Erlebnisse bieten. Die trockene, mechanistische Atmosphäre von „Look, I’m a Fountain of Filth raving mad with love“ im ZOLLAMTMMK, Frankfurt (2022) wurde durch den Einsatz abrasiver Medien geschaffen, die häufig auf Baustellen zu finden sind. In anderen Projekten wie „Die Milch der Träume“, (59. Internationale Kunstausstellung, Biennale Venedig, 2022) und „Ist es schon morgen für dich?“ (58. Carnegie International 2022) präsentierte Lee Skulpturen, die auf verschiedene Weise geheimnisvolle viskose Flüssigkeiten austreten ließen bzw. ihre Gefäße besetzten und transformierten.
Auf der Busan Biennale 2022 wurde Lees monumentale Skulptur „Landscape with Many Holes: Skins of Youngdo Sea“ gezeigt. Sie umhüllte dabei ein von einem Taifun „freigelegtes“ Tragwerk einer Fabrik. Die Installation bestand aus einer riesigen Masse, die von porösen Hüllen umgeben war. Dies fungierte als eine neue architektonische Haut. Trotz seiner enormen Größe ähnelte die Kreation einem Organismus, der von der verlassenen Fabrik verschluckt worden war. Für Lee ist der Prozess der Erstellung solcher Objekte stets eine Möglichkeit, die menschliche Biologie herauszufordern und ihre psychosozialen Verstrickungen durchzuarbeiten.
Kvadrat und Kunst
Die Ausstellung „Mire Lee: Black Sun“ ist Teil einer fortlaufenden Initiative, die in Zusammenarbeit zwischen dem New Museum und Kvadrat ins Leben gerufen wurde, um ambitionierte neue Produktionen aufstrebender Künstlerinnen und Künstlern zu präsentieren. Seit vielen Jahren engagiert sich der dänische Textilverlag aktiv für zeitgenössische Kunst. In den gesponserten Projekten geht es immer wieder um die Frage nach der Bedeutung von Textilien in der Kunst.
Die Ausstellung „Mire Lee: Black Sun“ wurde von Gary Carrion-Murayari, leitender Kurator der Kraus Family, und Madeline Weisburg, kuratorische Assistentin, kuratiert. Zur Ausstellung ist ein illustrierter Katalog erschienen, der ein Gespräch zwischen der Künstlerin und Gary Carrion-Murayari sowie Texte von Wong Binghao, Kim Eon Hee, Florentina Holzinger und Madeline Weisburg enthält. Die Ausstellung ist noch bis zum 17. September 2023 im New Museum in New York zu sehen.