Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind, – wie es in einem Kinderlied heißt, – sondern auch die Bekanntgabe der Siemens-Erfinder des Jahres. 2022 wurden damit so innovative Projekte ausgezeichnet wie die Reduktion des Gewichts von U-Bahnen durch bionische Strukturen oder die Verringerung der Strahlungsintensität bei der Röntgenbilderstellung. Insgesamt wurden die Leistungen von 16 Erfinderinnen und Erfinder in den Kategorien „Newcomers“, „Open Innovation“, „Outstanding Invention“, „Design and User Experience“ sowie „Lifetime Achievement“ gekürt.
Die „Inventors of the Year 2022“ kommen aus Deutschland, Hongkong, Indien, Kanada, dem Libanon, Österreich, Polen und Schottland. In der Kategorie „Lifetime Achievement“ wurde der Titel zweimal vergeben. An Carsten Schuh, der zahlreiche Patenten in den Bereichen Materialwissenschaft und Prozesstechnologie hält, sowie an Marcus Pfister, der neue Technlogoien für C-Arm Angiografie-Systeme bei Siemens Healthineers entwickelt. Er sagt: „Verformungen der Gefäßsysteme, die während einer OP auftreten, können wir jetzt direkt im Bild darstellen. Das ist wie der Sprung von einem guten Navi zu einer Echtzeit-Stauumfahrung.“
Carsten Schuh wiederum ist davon überzeugt, dass Kenntnisse über einzelne Werkstoffe unabdingbar sind, auch im digitalen Zeitalter, denn nach wie vor basiert alles auf Materialien und Herstellungsprozessen. Eine seiner jüngsten Erfindungen beschreibt einen sogenannten Comprehensive Digital Twin, der Material-, Fertigungs- und Servicedaten zur Optimierung von Produktdesign und -fertigung berücksichtigt.
Design veranschaulicht und erklärt
Die Auszeichnung in der Kategorie „Design and User Experience“ geht an Axel Platz. Der UX-Designer von Siemens Technology schafft es mit visionären Visualisierungen Technologien zugänglich, verständlich und erlebnisvoll zu gestalten. Er arbeitet an der Schnittstelle von Funktion und Anwendbarkeit. Platz hat zum Beispiel in einer Cloud ausgewertete Daten aus dem Lackiervorgang von Fahrzeugkarosserien so aufbereitet, dass visuell schnell zu erfassen ist, wo es Abweichungen von der Norm gibt. Gutes Design hat also auch eine ordnende und klärende Wirkung.
Genauer, schneller, reduzierter
In der Kategorie „Outstanding Invention“ werden Entwicklungen geehrt, die in ihrem jeweiligen Technologiefeld Maßstäbe gesetzt haben. So schafften es Markus Seitzberger, Robert Nedelik und Andreas Ruthmeier von Siemens Mobility in Wien eine bionische Struktur für U-Bahnwagenkästen zu entwickeln, deren Konstruktion das Rohbaugewicht um bis zu 20 % reduziert. Edgar Göderer hat die Bildgebung beim Röntgen revolutioniert. Durch seine Erfindung ist es möglich, Röntgenbilder in bisher ungekannter Auflösung bei einem Bruchteil der Strahlungsintensität zu machen. Göderer vergleicht diese Entwicklung mit dem Schritt von Schwarz-weiß-TV zu 4K in Farbe. Um Effizienzsteigerung geht es bei einem Produkt, das den Zeit- und Kostenaufwand für die Prüfung von Computerchips stark reduziert. Dahinter stehen Janusz Rajski, Mark Kassab und J-F Côté, die die Beschleunigung der Übertragung von Testdaten mit Autobahnen im Straßenverkehr vergleichen. Dies ist notwendig, da sich auch die Funktionalität der Chips ständig erhöht. Sie verdoppelt sich alle zwei Jahre. Ohne schnellere Tests würden die Lieferzeiten explodieren.
Über den Tellerrand
Eine besondere Kategorie ist „Open Innovation“, denn hierbei geht die Entwicklung über das Unternehmen Siemens hinaus. Partnerschaften mit Instituten oder Start-ups sind oft der Schlüssel zum Erfolg. So haben Mark Burhop und Ashish Gupta von Siemens Technology und Jaroslaw Rossignac vom Georgia Institute of Technology gemeinsam die Darstellung komplexer Strukturen für die additive Fertigung erleichtert, indem sie die Anforderungen an die Rechenleistung und den Speicherplatz reduziert haben.
Junge Forscher
Der Siemens-Erfinderpreis blickt auch in die Zukunft und tut dies ganz speziell mit der Auszeichnung für Newcomers. Dabei geht es um Mitarbeiter, die sich nach nur wenigen Jahren im Unternehmen bereits große Anerkennung erarbeitet haben. Mit dazu gehört Rebecca Johnson, die mit ihrem Team Empathis-Computing-Technologien entwickelt – also die Digital Companions und Chatbots der nächsten Generation. Es geht darum, roboterähnliche Erfahrungen z. B. von Lern- und Coaching-Tools menschenähnlicher zu machen, indem die Chatbots oder Avatare Emotionen zeigen. Marvin Tannhäuser hat einen elektronischen Schutzschalter entwickelt, der eine neue Art der elektrischen Sicherheit ermöglicht. Die Funktionalität der Schalter kann durch Software erweitert und angepasst werden. Die dritte Preisträgerin in der Kategorie „Newcomers“ ist Tsz Ling Elaine Tang. Sie verwendet Simulationen und digitale Zwillinge, um vorherzusagen, ob ein neues Design funktioniert oder nicht. Dadurch können Produkteigenschaften effizient verbessert werden, noch bevor reelle Teile in Produktion gehen.
Im Geschäftsjahr 2022 kamen Siemens-Mitarbeiter auf 4.650 Erfindungen. Dafür investierte der Konzern rund 5,6 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Das entspricht 8 % des Umsatzes und bedeutet ein Plus von mehr als 14 % im Vergleich zum Vorjahr. Rund 47.000 Menschen arbeiten bei Siemens in Forschung und Entwicklung.