Home Design Eine Welt der Undinge – Design in Gesellschaft übt humorvoll Kritik

Eine Welt der Undinge – Design in Gesellschaft übt humorvoll Kritik

von Markus Schraml
VDW, Design in Gesellschaft, Unding

Viele, vor allem junge Designer, machen sich Gedanken über Sinn und Zweck ihres Berufs. Als Ergebnis dieser Überlegungen tritt klassisches Produktdesign zunehmend in den Hintergrund. Betätigungsfelder wie Speculative Design, Social Design, Kommunikationsdesign oder Design Consulting nehmen immer mehr Raum ein. Es geht um künstlerische und gesellschaftskritische Projekte, wobei unter anderem die (Massen)produktion von Dingen infrage gestellt wird. Die Wiener Ateliergemeinschaft „Design in Gesellschaft“ (DING) fasst diese Kritik im Titel ihrer aktuellen Ausstellung zusammen – „Unding“.

Welche Dinge sind Undinge? Sind es Dinge, die eigentlich niemand braucht. Dinge, die kitschig, unpraktisch oder gar gefährlich sind. Auf jeden Fall sind die Geschmäcker verschieden, was für den einen hässlich ist, ist für die andere schön (oder zumindest reizvoll). Was die eine gerne verwendet, ist für den anderen komplett nutzlos. Und so sind auch die Unding-Positionen von DING sehr subjektiv. Einer der Ausgangspunkte für die Ausstellung war eine rege Diskussion über das ironisch Hässliche. „Zum Beispiel in der Mode. Die Crocs trug man zu Beginn eher ironisch. Alle waren sich einig, dass sie extrem hässlich sind, aber sie wurden trotzdem getragen. Diese Ironie haben wir uns mittlerweile ein bisschen abgewöhnt. Jetzt meinen wir es ernst“, erläutert Johanna Pichlbauer, Designerin und Vorsitzende von „Design in Gesellschaft“. „Durch diese Ironie gewinnt man sozusagen etwas Sicherheitsabstand, wo man sich nicht entscheiden muss, ob das jetzt hässlich ist oder nicht – wie eine Art Schutzmechanismus. Darüber haben wir für die Ausstellung viel diskutiert.“

Im Vordergrund: Lisa Ertel, Jannis Zell, Defensive Shelf, 2021 (Edelstahl), im Hintergrund: Johanna Pichlbauer, Vorsicht ist besser als Nachsicht, 2023 / MDF, Eckenschutz. Foto © Pierre Castignola

Neben der trendigen Faszination für Ugly Fashion geht es in der Ausstellung auch um das Interesse am Gegenteil von etwas und um die verschiedensten Arten von unerfreulichen Dingen. „Das beginnt bei einem Gefühl des Unwohlseins gegenüber einem Ding oder das etwas unecht wirkt. Da spielt der Unterschied zwischen virtuell und analog herein. Zunächst war für uns ein hässliches Ding ein Unding, aber ich glaube, die Ausstellung zeigt, dass es viel mehr ist als das“, sagt Pichlbauer.

Unding von oben

Apropos Unwohlsein: Viele Menschen nerven bodennahe Drohnenflüge, deshalb beinhaltet die Ausstellung auch eine Soundinstallation von Philipp Loidolt-Shen, die das lästige Surren von Drohnen immer wieder einblendet. Das sind definitiv Undinger und weitergedacht – hinein in den militärischen Bereich – auch Dinge, die Angst machen. Auf Knopfdruck können damit Menschenleben vernichtet werden. Und die Täter sind nicht einmal vor Ort.

Unsicheres Unding

Im Zeitalter von digitalen, durch KI erzeugten Bildern ist die Frage nach der Echtheit von etwas virulent. Erli Grünzweil verdeutlicht dieses Thema mit seinem Fine Art Pigmentdruck Oh, I’m just a bird, wobei durch das seltsame Motiv gleich mehrere Ebenen der Unsicherheit aufgetan werden. Oder die Darstellung eines Flammen-Emojis als Skulptur von Jonas Morgenthaler. Ein Icon aus der digitalen Welt wird in die Realität geholt und zum Kunstwerk erklärt. Wird es dadurch echter?

Unding Copyright

Mia Meus spricht mit ihrer Arbeit @ rude copy das weite Feld des Copyrights an, wobei die Mayday-Lampe von Konstantin Grcic eine Rolle spielt. In diese Ausstellungsabteilung fällt auch DING X IKEA. Es handelt sich um eine von DING mit Polymer-Ton, Pfeifenputzer und 3D-Druck-Abfall bearbeitete IKEA-Uhr von Gustav Carlberg. Lino Gasparitschs Projekt „Domestic Islands“ wiederum hinterfragt die Wichtigkeit von Authentizität in der Architektur, im Design und Raum. Es geht um das Täuschen und Kopieren, um Fake Parts und Klischee-Bilder. So entsteht die Kopie einer Kopie.

Johanna Pichlbauer stellt sich im Zusammenhang mit Copyrights die Frage, ob es überhaupt legitim sei, einfach eine Farbe schützen zu dürfen (Stichwort Manner-Rosa): „Wo sind wir da falsch abgebogen, dass es möglich ist, zu sagen, diese Farbe dürfen nur wir verwenden.“ Warum soll etwas überhaupt vor dem Nachmachen geschützt werden, meint sie weiter, denn „wenn wir etwas produzieren, von dem wir das Gefühl haben, die Gesellschaft kann es gut brauchen, dann wäre es ja eigentlich sinnvoll, wenn es kopiert wird.“ Sinnvolles Copyright wäre, wenn es die Ideen der kleinen Unternehmen oder von Einzelpersonen vor dem Zugriff der Konzerne tatsächlich schützen würde. Die Praxis zeigt jedoch, dass vor allem die Großen davon profitieren.

Designer sind darauf angewiesen, dass man sie mit ihren Projekten und Objekten in Verbindung bringt. Designerinnen wie Johanna Pichlbauer, die nicht an verkaufbaren Objekten arbeiten, brauchen Förderungen von privater oder öffentlicher Seite. Und die potenziellen Geldgeber müssen erst einmal überzeugt werden. Viele ihrer Kollegen bei DING arbeiten ebenso im Bereich Speculative Design. „Zum Beispiel sind die Projekte von Sophie Falkeis sehr research-lastig und es entstehen nur selten Objekte dabei. Dennoch bezeichnet sie sich als Designerin. Sie arbeitet einfach mit anderen Werkzeugen und so geht es vielen von uns. Wir haben nicht so sehr das Bedürfnis, Gebrauchsobjekte zu kreieren, sondern unsere Objekte sollen kommunizieren, worüber wir nachdenken“, betont Pichlbauer.

Das individuelle Unding

Die Mitglieder von „Design in Gesellschaft“ haben ein Unding-Archiv aufgebaut, in dem sich unterschiedlichste Objekte wiederfinden, wie ein ausgestopfter Mini-Alligator, ein Plastik-Burger oder ein Wunder-Duftbaum. Pichlbauers „Lieblings-Unding“ ist die Gender Reveal Kanone. „Da geht es um die Praxis, dass man schon im Vorhinein unbedingt wissen und kommunizieren will, ob es ein Bub und Mädchen sein wird. Das finde ich äußerst fragwürdig und kann ich als Mutter gar nicht nachvollziehen.“

Utopie / Dystopie – aber bitte mit Humor

Noch einmal zurück zum Design, das Angst macht. Für Johanna Pichlbauer geht es dabei um die Frage, Utopie oder Dystopie. „Was bringt uns mehr. Ist es besser, optimistisch zu sein und den Leuten Lust zu machen, sich mit möglichen Zukunftsszenarien zu beschäftigen. Oder soll den Leuten Angst gemacht werden, indem wir sagen, es brennt. Wahrscheinlich ist beides notwendig. Ich selbst bin eher Typ A. Mir ist der Humor sehr wichtig, auch in der Dystopie. Man kann auch das Schlimme komisch erzählen“, meint sie.

Die Halle im Atelier von „Design in Gesellschaft“ im 20. Bezirk in Wien soll in Zukunft nicht nur für ein, zwei Ausstellungen pro Jahr genutzt werden, sondern ein ganzes Programm beheimaten. DING will die Räumlichkeiten großzügig zur Verfügung stellen. Im Übrigen ist die Ateliergemeinschaft, die immer öfter auch als Kollektiv arbeitet, offen für neue Mitglieder.


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