Als Claudio Luti das Unternehmen Kartell von seinen Schwiegereltern Giulio und Anna Castelli 1988 übernahm, war er ein Wirtschaftsfachmann, der durch seine Arbeit für Versace tief in die ökonomische Seite des Modezirkus eingetaucht war. Der Schritt in die Designmöbelindustrie brachte neue Aufgaben mit sich. Luti führte die Strategie seiner Vorgänger weiter und engagierte externe Designer, um mit ihnen gemeinsam die Marke zu entwickeln. Heute bekannte Namen wie Patricia Urquiola, Ferrucio Laviani, Antonio Citterio, Piero Lissoni oder Philippe Starck sorgten für enormen kreativen Input. An Claudio Luti lag es, die vielfältigen Ideen auf ihre Machbarkeit und Markentauglichkeit hin einzuschätzen.
Über das eigene Unternehmen hinaus war es Claudio Luti ein Anliegen, die gesamte italienische Designindustrie voranzubringen. Dies tat er auch in seiner Rolle als Präsident des Salone del Mobile, die er jahrelang innehatte. Im Frühjahr 2021 trat er von dieser Funktion wohl aus Frustration zurück. Ohne Zweifel ist Luti eine zentrale unternehmerische Persönlichkeit in der Möbel- und Designindustrie Italiens. Dies beweist auch der „Red Dot: Personality Prize“, mit dem er unlängst ausgezeichnet wurde. Der Red Dot Design Award ist einer der weltweit wichtigsten Gestaltungspreise und Initiator Prof. Dr. Peter Zec sagte, dass Luti beispielhaft verkörpere, wie wichtig es für den unternehmerischen Erfolg ist, ein Gespür für Innovation und Design zu haben.
FORMFAKTOR traf Claudio Luti auf dem Salone del Mobile.Milano 2022 und sprach mit ihm über seine Zusammenarbeit mit Designern, das Family Business Kartell und die Zukunft der italienischen Designindustrie.
FORMFAKTOR: Sie arbeiten seit vielen Jahren mit ganz unterschiedlichen Designern zusammen. Wie würden Sie Ihre Beziehung zu diesen Kreativen beschreiben?
Claudio Luti: Ich habe eine sehr gute Beziehung zu all unseren Designern. Speziell aber zu Philippe Starck. Er kommt ja so alle drei Wochen nach Mailand und man kann sagen, dass er ein Teil der Firma ist, ein Teil der Familie. Es ist einfach sehr angenehm, mit ihm zu diskutieren und kreativ zu sein. Ich arbeite gerne mit Menschen zusammen, die unsere Geschichte, unsere Familie und unsere Strategie kennen. Dabei geht es oft eher darum, eine gute Beziehung zueinander zu haben, sie zu pflegen, als darum, konkret über eine Skizze zu sprechen. In unserer Zusammenarbeit ist nicht unbedingt der konstante Output von kreativen Ideen wichtig, sondern dass man gemeinsam an einem Strang zieht und das beide Seiten die Philosophie des Unternehmens wirklich verstehen. Mit Philippe habe ich sicher eine sehr enge Beziehung, aber auch andere Designer wie Lissoni, Citterio, Urquiola, Laviani sind enorm wichtig für uns.
FORMFAKTOR: Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Kreativen und dem Geschäftsmann Luti?
Claudio Luti: Ich bin an jeder Phase der Entwicklung beteiligt und erfülle dabei mehrere Funktionen. Ich bin der Geschäftsmann, aber auch der Art Director und beteilige mich am kreativen Prozess. Ein Design besteht aus zwei Teilen: Einerseits gibt es die kreative Idee, andererseits die Umsetzbarkeit. Zum Beispiel reicht bei Philippe ein Blickkontakt und er weiß, ob es für mich richtig ist oder nicht. Umgekehrt ist es genauso. Ich glaube, es ist für einen Designer sehr wichtig, einen Kontrapunkt zu haben, der immer sofort reagiert. Ein Designer muss die Bereitschaft haben, auch meine Entscheidungen zu akzeptieren. Aber jeder smarte Designer weiß, wann es Zeit ist, eine Arbeit zu stoppen und lieber mit einer neuen Idee weiterzumachen. Das zentrale Schlagwort dabei ist: Großzügigkeit. Wir brauchen Großzügigkeit. An jeder Idee, die auf den Tisch kommt, wird gemeinsam gearbeitet, damit am Ende etwas Richtiges herauskommt. Mit Designern zusammenzutreffen und vielleicht drei, vier Stunden über etwas zu diskutieren, ist für mich keine Arbeit. Das ist einfach schön.
FORMFAKTOR: Wie sieht die Zukunft der italienischen Designindustrie aus? Was muss getan werden, damit sie weiter floriert?
Claudio Luti: Wir müssen uns auf unsere Stärken verlassen. Wir Italiener sind gut darin, das Risiko einzugehen, der Kreativität zu folgen. Das müssen wir beibehalten. Die Zusammenarbeit mit den Designern ist eine unserer großen Stärken. Ich glaube, dass das Designer wie Philippe Starck auch merken, dass sie hier willkommen sind. Es ist meiner Meinung nach wichtiger, der Kreativität zu folgen, als sich zum Beispiel auf die Verarbeitung eines einzigen Materials zu spezialisieren.
FORMFAKTOR: Allerdings hat gerade Kartell ein ganz besonders Know-how in puncto Material. Sie sind sogar Teil der Ausstellung „Design with Nature“ von Mario Cucinella hier auf der Messe.
Claudio Luti: Nachhaltigkeit ist für uns ein wichtiges Thema. Wir wollen in diese Richtung gehen und tun es auch. Materialien und Produktionsprozesse stehen dabei im Zentrum. Unser innovativer Ansatz, dass wir immer wieder neue, bessere Wege gehen, hilft uns dabei. Deshalb sind wir auch in dieser Ausstellung.
FORMFAKTOR: Kartell ist ein Familienunternehmen und Ihre Kinder arbeiten mittlerweile seit mehreren Jahren in der Firma mit. Wie gestaltet sich dieser Übergang?
Claudio Luti: Lorenza hat schon ihre Diplomarbeit zum Thema des Generationen-Übergangs in Unternehmen verfasst. Ich habe immer gesagt, es ist wichtig, dass Du dieses Geschäft magst. Wenn Du es nicht magst, dann tritt nicht in die Firma ein. Der zweite Punkt ist, man muss dazu in der Lage sein, ein Unternehmen zu führen, denn ich will die Firma nicht jemandem übergeben, der unfähig ist. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Im Moment fühle ich mich noch sehr wohl in meiner Arbeit für Kartell – besonders mit den Kontakten zu den Designern.
FORMFAKTOR: Was wünschen Sie sich für Kartell?
Claudio Luti: Kartell ist eine sehr solide, profitable Firma und eine schöne Marke. Unsere Strategie ist dreigeteilt: Retail, Contract und Online. Unser Katalog ist sehr umfassend, unsere Produkte sind gut. Ich denke, dass wir mit dieser Strategie noch lange weitermachen können, wenn wir nicht vergessen, der Kreativität zu folgen. Das ist der wichtigste Punkt. Aber gerade deshalb ist dieses Geschäft nicht leicht, eben weil wir den Faktor Kreativität unbedingt berücksichtigen müssen. Ich habe einige Investments getätigt, aber nicht in Unternehmen der Designindustrie. Ich liebe es, direkt in dieser Industrie zu arbeiten, aber es ist eben schwierig. Ohne eine konsequente Strategie und der Liebe zur Kreativität könnte ein Unternehmen wie Kartell nicht profitabel sein.
FORMFAKTOR: Wie haben Sie sich die Fähigkeit erworben, auch gestalterische Entscheidung treffen zu können? Wie machen Sie das?
Claudio Luti: Eigentlich weiß ich gar nicht, wie ich das mache. Mein beruflicher Hintergrund vor Kartell war rein wirtschaftlich. Bei Versace hatte ich mit der kreativen Seite nichts zu tun. Es ist sonderbar. Aber ich liebe es, mit kreativen Menschen an einem Tisch zu sitzen und Gedanken zu diskutieren, ohne irgendeine Skizze. Wenn aus solchen Gesprächen Dinge entstehen, die überall auf der Welt funktionieren, dann ist das eine wirkliche Befriedigung.
FORMFAKTOR: Danke für das Gespräch.