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Neue Designansätze gesucht – iF Design Trend Report 2022

von Markus Schraml
iF Design Trend Report 2022

Das iF International Forum Design hat in Zusammenarbeit mit dem Zukunftsinstitut den iF Design Trend Report erstellt, der sich an Designschaffende richtet, sowohl selbstständig arbeitende als auch als Team in Inhouse-Designabteilungen. Neben konkreten Trends berücksichtigt der Text ebenso gesellschaftliche Megatrends wie digitale Konnektivität und Urbanismus und bringt diese mit aktuellen Produktentwicklung in Relation. Der Report ist in neun Trendbereiche gegliedert, die den drei Produktbereichen Home, Consumer Tech und Mobility zugeordnet sind.

In den jeweiligen Segmenten bietet der iF Design Trend Report zahlreiche Produktbeispiele. Im Vordergrund stehen jedoch die Erkenntnisse der Autorinnen Judith Block und Sandra Groll. Im Home-Kapitel, das in Bath, Kitchen und Living unterteilt ist, tritt der Begriff des „Seamless Living“ in den Vordergrund. Er „beschreibt das Wohnen in entgrenzten Räumen, wobei mithilfe von kontrastierenden Designprinzipien und Hightech einzelne Aktivitätsareale voneinander abgeschirmt werden.“ Heutige Wohnungen sind von offenen Räumen geprägt, die als flexible Bühne dienen. Technologie ist fixer Bestandteil – sie wird jedoch vollständig integriert und damit unsichtbar. Offene Räume verlangen aber auch nach Struktur. Diese wird durch minimalistisches Mobiliar (Stichwort Homeoffice) gewährleistet.

Im Gegensatz zu den meisten Luftentfeuchtern, die so konzipiert sind, dass sie in Ecken versteckt werden können, wertet dieses Produkt jedes Interieur auf. Der Noble-Luftentfeuchter ist eine Ikone, die über die einfache Funktionalität hinausgeht und zu einem Kunstobjekt wird. © Coway (Seoul)

Ein weiterer Wohntrend ist Mikro Living. Städtischer Wohnraum teilt sich auf immer kleinere Flächen auf. Das wird nicht nur durch die zunehmende Zahl an allein wohnenden Menschen verursacht, sondern auch durch den Wohlstandsverlust des unteren Mittelstandes sowie aktuell durch die in die Decke schießenden Energiepreise.

Einen Zukunftstrend, der weg vom Besitz und hin zur Nutzung auf Zeit führt, ist im Bereich Mobilität bereits bekannt. Er könnte aber auch beim Wohnen Relevanz gewinnen. Etwa durch Möbel, die gemietet und nicht gekauft werden.

Smarte Consumerprodukte / Entertainment

Das Wort „Nahtlos“ ist auch im „Consumer Tech“-Kapitel (Domestic Care, Smartphone, Audio) des Reports von Bedeutung. So werden ins Konzept des „Seamless Living“ Haushaltsgeräte möglichst unauffällig integriert. Zudem müssen sich der Staubsauger, der Luftentfeuchter oder Produkte zur Textilpflege leicht verstauen lassen. „Offene Grundrisse erhöhen die Ansprüche an Ordnung und Sauberkeit, da nur so eine flexible Nutzung der Aktivitätsbereiche möglich ist. Domestic-Care-Produkte ermöglichen es, die Ordnung und Hygiene herzustellen, die den Wohnraum erst zu einem Ort des Wohlbehagens werden lassen“, ist im Report zu lesen.

Die Vorgänge der letzten Jahre haben bei vielen Menschen zu einem gesteigerten Bedürfnis nach Hygiene auch in den eigenen vier Wänden geführt. Gleichzeitig ist das Thema Nachhaltigkeit auf dem Vormarsch „Wohnen ist der Bereich des Lebens, in dem sich Nachhaltigkeit am ehesten individuell umsetzen lässt. Hier findet ein Großteil unseres Konsums und Verbrauchs statt. Und Wohnen ist der Bereich, der am meisten von individuellen Every-Day-Gewohnheiten bestimmt wird, die sich mit entsprechend unterstützenden Technologien und Konzepten verändern beziehungsweise in ihren Folgelasten minimieren lassen“, heißt es im iF Report.

iF Gold Award 2022 auch für den Bespoke Slim VS6800 von Samsung. Es ist ein einfacher, zylindrischer, kabelloser Staubsauger, der auf überflüssige Funktionselemente verzichtet und im Interieur kaum auffällt. © Samsung Electronics

Interessanterweise führen die Autorinnen auch das Thema „Audio“ als einen aktuellen Trend an. Die Veränderungen in diesem Bereich seien vom Megatrend Wissenskultur getrieben. Er „sorgt für eine große Beliebtheit von Audioformaten wie Podcasts oder Hörbüchern. Die Gamingbranche erfährt durch den Megatrend einen Bedeutungswandel und entwickelt immer mehr Formate, an denen die Spielenden wachsen können. Die zunehmende Bedeutsamkeit des Gamings verändert auch die Anforderungen an die Kopfhörer. Für ein immersives Hörerlebnis wird es notwendig, leicht von einem stationären Audioerlebnis auf flexibel einsetzbare Kopfhörer zu wechseln“, schreiben Block und Groll.

Beosound Level steht exemplarisch für die dezente Designsprache, für die Bang & Olufsen berühmt ist. Die Materialien, einschließlich des präzisionsgefertigten Aluminiumgehäuses, wurden im Hinblick auf Langlebigkeit ausgewählt. © Bang & Olufsen

Übergreifende Mobilitätskonzepte

Die Städte dieser Welt wachsen unaufhaltsam. Je dichter sie werden (Stichwort Mikro Living), desto mehr wird der öffentliche Raum als Lebensraum betrachtet. Und nicht nur als ein Raum, um von A nach B zu gelangen. „In Anbetracht dieser Entwicklung lässt sich die schiere Fläche, die in Städten parkenden Fahrzeugen zugestanden wird, nur schwer rechtfertigen. In diesem Licht betrachtet wirkt die aktuelle Beliebtheit immer größerer SUVs wie das überzeichnete Ende eines globalen Trends, der nun in sein Gegenteil umschlägt. Kleine, elektrisch betriebene Autos sind im Trend. Mit deutlich geringerer Größe und stark reduziertem Gewicht verspricht dieser neue Fahrzeugtyp viel längere Akkulaufzeiten und die Verheißung, sich der leidigen Parkplatzsuche zu entledigen“, meinen die Autorinnen. Wobei das letzte Aufbäumen des Statussymbols Privatauto, das im fast schon inflationären Auftauchen von SUVs seinen perversen Höhepunkt findet, wohl noch einige Zeit dauern wird. Ein Ende ist bisher nicht in Sicht.

Diese anhaltende Entwicklung widerspricht dem Megatrend Neo-Ökologie, der auch in der Mobilität zu beobachten ist. Sie wird umfassender gedacht, wobei soziale und Umweltfragestellungen im Fokus stehen. Die digitale Konnektivität lässt Wegstrecken überflüssig werden. Das Auto muss einer Neubewertung unterzogen werden. Auch im Bereich Mobilität sprechen die Autorinnen von Nahtlosigkeit. „Seamless Mobility beschreibt die nahtlose Integration und Vernetzung aller relevanten Anbieter von Sharing Mobility, des Nahverkehrs und den jeweiligen Fahrzeugen.“ In einem systemübergreifenden Mobilitätskonzept können Bahn, Bus, Fahrrad oder E-Roller abwechselnd genutzt werden. Dabei sollten kaum Wartezeiten entstehen. Damit das Ganze auch funktioniert, ist eine gemeinsam genutzte digitale Plattform notwendig.

Schließlich spielt auch das autonome Fahren eine wichtige Rolle. Dadurch wird zum Beispiel der Innenraum des Fahrzeugs neu definiert. Als erweiterter Wohnraum weist das Interieur Parallelen zum Living Design auf und wird multifunktional. Oder beim Transportation-Design: Dieses wird sogar maßgeblich durch das autonome Fahren vorangetrieben. „Shuttle-Services bringen einen neuen Fahrzeugtyp hervor, dessen Gestaltung vor allem durch Pragmatismus, Langlebigkeit und eine sachlich reduzierte Formensprache besticht.“

Der iF Design Trend Report weist auch auf Probleme im Design hin, die teilweise bereits seit Jahrzehnten ungelöst sind. So etwa die Gender Data Gap: „Sobald Produkte in Massenfertigung hergestellt werden, erzeugen sie ein starres Raster, in das sich die Nutzenden einfügen müssen. Werden dabei Personengruppen nicht mitberücksichtigt, so sind sie einer Welt ausgesetzt, die ihnen buchstäblich nicht passt“, steht im Report.

Ein neuer Designansatz

Im Kapitel Designtheorie schreiben die Autorinnen, sie würden „eine Suchbewegung für einen neuen Designansatz“ beobachten. Dieser solle der Relationalität der Welt und der Verantwortung des Designs als Praxis, die diese Welt gestaltet, Rechnung tragen. Dabei fallen Schlagworte wie Social-Centered, Society-Centered, Sustainable, Planet-Centered oder Animal-Centred Design. Block und Groll bezeichnen dies als Designansatz der dritten Ordnung. „Bisher unberücksichtigte Aspekte werden dabei stärker integriert und es findet immer häufiger eine Reflexion darüber statt, welche und wie viele Aspekte überhaupt sinnhaft berücksichtigt werden können und wo Verbindungen gelöst werden müssen.“ Es geht also nicht nur um eine Ausweitung des ganzheitlichen Ansatzes, den Designschaffende ohnedies verfolgen, sondern in gewissen Bereichen auch um eine Umorientierung.

Der iF Design Trend Report stellt eine umfassende Versammlung von Themen dar, die nicht nur für Designer Relevanz besitzen. Allerdings gehen die Autorinnen Judith Block und Sandra Groll von einem Designbegriff aus, der stark auf Produktgestaltung fokussiert ist. Bereiche wie Strategic Design oder Social Design werden ausgeklammert. Vielleicht ist aber gerade in diesen Tätigkeitsfeldern der „neue Designansatz“ zu finden.


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