Home Design Stockholm Design Week 2023 – Tradition und Fortschrittsgeist

Stockholm Design Week 2023 – Tradition und Fortschrittsgeist

von Markus Schraml
Nordiska Galleriet, Stockholm

Design aus Skandinavien gehört auf der internationalen Bühne zu den einflussreichsten Bestimmungsfaktoren. Diese Bedeutung sowie die Ursachen und Hintergründe dafür kamen bei der Stockholm Design Week, dem wichtigsten Event in Sachen Gestaltung aus dem Norden, deutlich zum Ausdruck. Über 100 Designstudios, Shops, Museen und Möbelmarken öffneten ihre Türen – darunter bekannte Namen wie Artek, Carl Hansen, Moooi, Kvadrat oder Frama. Das Herz der Veranstaltung bildet die Stockholm Furniture Fair. Als Ursprung des Treibens koordiniert und organisiert die Messe zahlreiche Aktivitäten.

Neben den Showrooms in der Stadt und den Ständen auf der Messe sind es spezielle Ausstellungen und Installationen, welche der Stockholm Design Week Glanz verleihen. Ein Highlight war die Ernennung des Designstudios Front zu den ersten schwedischen Guest of Honour der Stockholm Furniture Fair. Aus diesem Anlass gestalteten Anna Lindgren und Sofia Lagerkvist eine höhlenartige Schau mit dem Titel „Design by Nature“. Es handelt sich dabei um ein langjähriges Projekt der Schwedinnen, in dem die Atmosphäre und das Erlebnis von Natur erforscht und mithilfe von Technologie festgehalten wird. 2021 mündete das Forschungsprojekt in einem konkreten Produkt, das von Moroso auf den Markt gebracht wurde.

Weitere Sonderformate im Rahmen der Messe waren The Nude Edition, ein Bereich mit kleinen Ständen und einem Fokus auf Nachhaltigkeit, die Ausstellung von Young Swedish Design, die bereits zum 25. Mal stattfand, oder die Underbar, eine Idee des schwedischen Innenarchitekten und Designers Jonas Bohlin sowie der Interieurdesignerin Christine Ingridsdotter. Alle Möbel stammen von Bohlin. Nach der Messe sollen sie sowie die ebenfalls neuen Leuchten in anderen Bars und Restaurants weiterverwendet werden. Die Ausstellung zu den erstmals verliehen Scandinavian Design Awards war ein Fingerzeig auf den Anspruch der Stockholm Furniture Fair als führende Plattform für skandinavisches Design. Schließlich zeigte The Gallery Edition eine Auswahl von neuen Exponaten von Firmen und Designern, die während der Stockholm Design Week in der Stadt zu sehen waren. Dies sollte die Verbindung von Design Week und Messe stärken.

Events in der Stadt

Im Svenskt Tenn-Store war und ist noch bis 19. Mai die Ausstellung „Pleated for Frank“ zu sehen. Darin interpretiert das Designduo Folkform die Musterpalette von Josef Frank in Form einer neuen Leuchtenkollektion mit plissierten Lampenschirmen. Diese Technik gehört seit den 1930er-Jahren zum Sortiment von Svenskt Tenn. Die traditionelle Falttechnik kombinieren Anna Holmquist und Chandra Ahlsell mit einer neu entwickelten Konstruktion. „Unsere Leuchten unterscheiden sich von vielen anderen plissierten Lampen, da der Sockel der Leuchte ebenfalls eine plissierte Form hat, nicht nur der Schirm. Wir haben sogar die traditionelle Falttechnik aktualisiert, indem wir die gesamte Lampenstruktur auf der Innenseite ohne sichtbare Löcher oder Schnüre versteckt haben, etwas, das noch nie zuvor gemacht wurde“, betont Holmquist.

Das Design House Stockholm präsentierte die neue „Frame“-Kollektion von Harald Hermanrud. Der dänische Designer schuf – schon vor Längerem – ein flexibles Möbelsystem, das auf einer Gitterkonstruktion basiert, auf der Regale, Tabletts und Boxen positioniert werden können. „Frame“ besteht aus ineinander versenkten Profilstäben, die per Inbusschlüssel zusammengebaut werden können. Bei diesem System geht es darum, Dinge zu präsentieren: „Es ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, sowohl kleine als auch große Aussagen darüber zu machen, wer wir sind und wie wir in die zeitgenössische Kultur passen“, meint Hermanrud. „Frame erwächst aus den Trends von Instagram und Facebook, um die eigene Persönlichkeit auszudrücken.“

Fogia präsentierte während der Stockholm Design Week neu designte Produkte von Björn Dahlström, Andreas Engesvik und Inga Sempé. Die französische Gestalterin kreierte eine Reihe von leichten Hockern in drei unterschiedlichen Höhen. Wie der Name „Tripot“ es bereits verdeutlicht, ist das formale Merkmal das Dreibein, dem das Dreieck der Sitzfläche folgt. Besonderen Charakter verleihen diesem Möbel die organisch geschwungenen Verstrebungen der drei Beine. Im Fogia Concept Store war ebenfalls Björn Dahlströms Stuhl „Regular“ zu sehen. Eine moderne Interpretation des klassischen Kaffeehausstuhls. Dem Schweden gelang hier mit einem Minimum an Teilen eine kleine visuelle Sensation. Hohen Wiedererkennungswert besitzt die elegante Wölbung, die Hinterbeine und Rückenlehne miteinander verbindet. Der Stuhl ist sechsfach stapelbar und wird in dieser Formation zur attraktiven Skulptur.

Unter dem Titel „Fundaments at Bukowskis“ würdigte das renommierte TAF Studio den – Sockel – mit maßgeschneiderten Entwürfen, die gegen Ende der Woche versteigert wurden. Gabriella Lenke und Mattias Ståhlbom sind viel beschäftigt und zeigten während der Stockholm Design Week unter anderem ihre Leuchte „Kori“ für Artek. „Mit Kori wollten wir ein atmosphärisches und blendfreies Licht in unterschiedlichen Modellen erreichen, die an unterschiedliche Räume und Kontexte angepasst werden können. Der Diffusor um die Lichtquelle herum war von zentraler Bedeutung und durch viele Experimente mit Schirmen und reflektierenden Teilen erstanden dann die verschiedenen Charaktere der Kori-Familie“, erläutert Lenke und Ståhlbom ergänzt: „In Bezug auf die Farbe haben wir uns von der Art und Weise inspirieren lassen, wie Licht auf die mattweiße Textur eines Eies oder eine dünne Eierschale trifft. Kori gibt es deshalb in extra mattem Weiß und einer Farbe, die an Eigelb erinnert.“

Klassiker und Ikonen

Die nordische Möbelproduktion brachte im Lauf des 20. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Stücken auf den Markt, die zu Ikonen avancierten. Es wundert deshalb nicht, dass sich einige Hersteller auch auf das eigene oder das skandinavische Designerbe im Allgemeinen beziehen. So nimmt Kari Virtanen, Gründer von Nikari mit seinem „Storia“-Stuhl Bezug auf Finnlands „Vater des modernen Designs“ Kaj Franck. Virtanen arbeitete während der 1970er-Jahre mit Franck zusammen. Mit dem neuen Design erinnert Virtanen nun an die lange Tradition von Stühlen mit Speichenlehne.

Ein echter Klassiker ist der Kevi-Bürostuhl, der ab 1958 die Welt eroberte. Nun gibt es das ikonische Design von Jørgen Rasmussen in einer neuen einfarbigen Version. Der dänische Architekt entwarf den Bürostuhl damals auf Wunsch des Firmenchefs von Kevi. Rasmussen erkannte, dass die Menschen unterschiedlich sitzen und verlieh dem Rückenteil Flexibilität, sodass Platz und Raum für den unteren Rücken und die Wirbelsäule des Benutzers entstand. Die höhenverstellbare Funktion machte den Stuhl für alle Körpergrößen brauchbar. 1965 erfand Rasmussen die Doppelrolle und damit sozusagen das Rad neu. Zwei asymmetrisch angeordnete Räder konnten sich unabhängig voneinander bewegen. Der Kevi-Stuhl löste eine ergonomische Revolution am Arbeitsplatz, in Schulen und Institutionen aus. Heute wird der Stuhl von Montana produziert.

Bad-Accessoires von Raf Simons

Raf Simons hat für Kvadrat die Shaker-Systemkollektion Nummer 2 designt. Fokussierte sich der Gestalter für die Collection 1 auf Accessoires für Wohnzimmer und Eingangsbereiche, wagt sich Simons mit Collection 2 ins Badezimmer vor – mit Bademänteln, Handtüchern, Kulturbeuteln und Slippern. „Ich wollte bei diesem Projekt von Anfang an, dass die Produkte auf die eine oder andere Weise aufeinander bezogen und auch konzeptionell miteinander verbunden sind. Mit Collection 2 erkunden wir Produkte, die aus gestalterischer Sicht oft vergessen werden, vertraut und allgegenwärtig sind, aber nicht in Bezug zueinander und schon gar nicht in Bezug darauf betrachtet werden, wie sie in der Wohnung positioniert werden könnten. Es gibt zum Beispiel einen richtig guten Kulturbeutel, der nicht als Einzelprodukt, sondern als Teil der Accessoires-Familie konzipiert ist. Es ist ein ganz schönes Projekt und zwar eines, das immer weiter wachsen soll“, betont der Modedesigner, der durch seine Kooperation mit Kvadrat seinen Ursprüngen als Möbeldesigner wieder etwas näher kommt.

Bad-Accessoires von Raf Simons. Teil 2 der Shake-Collection für Kvadrat. Gibt es auch in drei anderen Farben. © Kvadrat/Raf Simons

Möbel aus Holz

Von Gärsnäs gibt es für diese Saison unter anderem den neuen Ronja-Stuhl von David Ericsson. „Ronja“ ist nicht bloß ein weiterer neuer Stuhl, sondern markiert den Beginn eines Prozesses von Gärsnäs, um mehr Rohstoffe aus der Region zu verwenden. Der Stuhl besteht aus massiver schwedischer Buche. „Ronja ist direkt, roh, aber gleichzeitig ziemlich sympathisch. Sie meint es gut mit den meisten Menschen, verändert ihr Aussehen und passt sich vielen verschiedenen Funktionen an. Ronja ist in seiner Ausführung so klar wie möglich, um die Geschichte von Möbelkonstruktion und Finesse zu erzählen“, erläutert Ericsson. Der „Bracket“-Stuhl, den Frederik Gustav für Frama geschaffen hat, ist von traditioneller Tischlerei inspiriert wie die gesamte Bracket-Reihe. Der Stuhl aus massiver, geölter Kiefer wirkt simpel – flacher Sitz, vier Beine und Rückenlehne. Diese ist jedoch abgewinkelt, was nicht nur der Funktion dient, sondern dem Möbel eine besondere Ästhetik verleiht. Dadurch erhebt sich der Entwurf über die Ebene der Gewöhnlichkeit.

Der neue Stuhl von Blå Station heißt OM. Johan Ansander hat einen leichten, bequemen Stuhl kreiert, der mit minimalem Materialeinsatz maximalen Komfort bietet. Durch die fachmännische Bearbeitung des Sperrholzes verwandeln sich die Hinterbeine nach oben hin in eine runde Rückenlehne. Das gleiche dünn geschnittene Sperrholz wird für die Vorderbeine und den umlaufenden Rand verwendet. Mit 4,5 Kilo ist OM ein Leichtgewicht.

Nordische Polstermöbel

Denkt man an Möbel aus Dänemark, Finnland, Norwegen oder Schweden, kommt sofort das Material Holz in den Sinn. Aber die Skandinavier können auch anders – und zwar gepolstert. Bereits vergangenen Herbst wurde „The Poodle“ von Johanson präsentiert. Nun kommt diese eigentümliche Polstermöbelserie von Anna Herrmann und Alexander Lervik auf den Markt. „Poodle“ fällt auf und aus dem Rahmen. Er lädt mit seinen weichen Formen dazu ein, sich zu nähern. Die charakterstarke Serie soll nun um einige Tische ergänzt werden: „Dieses Gefühl von Persönlichkeit und Charisma, das der wirkliche Pudel ausstrahlt, wollten wir vertiefen und die Produktfamilie erweitern“, sagt Herrmann. Den Weg in Richtung Lounge-World möchte auch Gemla gehen. CEO Benny Hermansson erzählt, dass das Unternehmen in den letzten beiden Jahren intensiv daran gearbeitet hat, das Angebot an Möbeln für den Lounge-Bereich zu verbessern. Konkret wurde auf der Stockholm Furniture Fair das Sofa „Humble“ von Pierre Sindre vorgestellt. Es gesellt sich zum gleichnamigen Sessel. Typisch ist die leichte, schlanke Konstruktion aus gedämpftem Bugholz. Das Sofa verfügt über einen großen, geschwungenen Rahmen aus gebogenem Eschenholz und Intarsien aus Nussbaum. Die Rückenlehne besteht ebenfalls aus gedämpften, gebogenen Elementen der Esche.

Die Welt in Stockholm

Der internationale Charakter der Stockholm Furniture Fair kam durch die vertretenen Marken aus über 100 Ländern zum Ausdruck (mehr als 400 Aussteller insgesamt) und vor allem durch das Talks-Programm der Messe. Mit dabei waren Stephen Burks, Ilse Crawford, Sabine Marcelis oder Victoria Millestrup von BIG. Nicolas Bellavance-Lecompte sprach über kulturelle Nachhaltigkeit, Crawford über humane, langlebige Interieurs und Yael Mer und Shay Alkalay vom Londoner Studio Raw Edges über ihre Art neue Ideen zu entwickeln, nämlich über den Weg des Experimentierens und Forschens. Ein besonderer Fokus lag auf dem Thema Zirkularität, für die gerade in Schweden das Material Holz wichtig ist. Design für eine bessere Zukunft, der Wert des Baubestandes oder die nachhaltige Möbelproduktion waren weitere Themen der Talkrunden in Stockholm.

Apropos Nachhaltigkeit – den Schlusspunkt setzt dieser Artikel mit einem nicht-schwedischen Unternehmen: Für Object Carpet aus Deutschland gehört die Verwendung von recycelten Materialien sowie ein zweiter Lebenszyklus für Teppiche laut Eigenaussage schon zu einer Selbstverständlichkeit. Einen Schritt hin zu echtem Wandel in der Branche setzte das Unternehmen mit dem ersten komplett zirkulären Objektteppichboden NEOO. Nach Stockholm allerdings reiste Objekt Carpet mit dem Projekt „Escapade“, einer künstlerischen Installation, die in Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Ippolito Fleitz Group entstand. Die damit propagierten Teppiche verfügen über ansprechende Strukturen und eine außergewöhnliche Haptik. Aspekte, die in einer erstaunlichen Fotoserie festgehalten wurden.


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