Eines der vielen sprachlichen Missverständnisse zwischen Deutschland und Österreich betrifft die Bezeichnung für eine bequeme Sitzgelegenheit, die im Englischen Chair heißt. Nördlich der hohen Berge wird dieses Möbel Stuhl genannt, südlich hingegen und speziell in der Alpenrepublik benennen die Menschen das gleiche Stück Sessel. Das führt zu Verwirrungen im Dialog und zur Frage: Und wie nennen die Österreicher*innen dann den Sessel? Ganz einfach – er trägt den stolzen Namen Fauteuil. Genau wie im Französischen. Um dieses Möbelstück – auch die Bezeichnungen Lehnstuhl oder Armlehnstuhl sind erlaubt – geht es in dieser aktuellen formfaktor-Galerie.
Die Kategorie Sessel (bleiben wir dabei) steht für bequemes Sitzen in Raumsituation, die für private oder zumindest informelle Gelegenheiten geschaffen wurden. Im privaten Bereich sind sie neben dem Sofa ein Symbol für den Rückzug ins Heimische, für den abendlichen Ausklang, für das Abschalten in absoluter Sicherheit. Ähnliches gilt für den Einsatz von Sitzkombinationen mit Sessel in Hotels und im Arbeitsbereich. In letzterer Situation nehmen Sessel den formellen Charakter und fordern die Gesprächspartner*innen dazu auf, lockerer, vertrauter miteinander umzugehen. Dabei haben gerade solche informellen Situationen schon vielfach zum Geschäftserfolg nicht unwesentlich beigetragen.
Die meisten Sessel drücken ihr Bequemlichkeitsversprechen in entsprechend voluminöser Form aus. Ein schönes Beispiel für modernes Sessel-Design ist der KITE von Intertime. This Weber hat in seiner Formfindung viel Lässigkeit mit Funktion und etwas Zeitlosigkeit kombiniert. Der Lounge-Sessel lässt sich um die eigene Achse drehen, die Polsterung profitiert von bester Schweizer Handarbeit. Jaime Hayon habe für Fritz Hansen (das sperrige The Republic of wurde aus dem Firmennamen eliminiert) einen, wie er selbst sagt, typisch dänischen Lounge-Sessel entwerfen wollen. „Komfort war ein wesentliches Element, ebenso wie die Verbindung aus dem Besten der dänischen Designtradition und moderner Technologie“, betont Hayon. Herausgekommen ist ein ausdrucksstarkes Möbel, das auf das Know-how von Fritz Hansen in Sachen Holzbearbeitung setzt und trotz des offenen Charakters sehr komfortabel wirkt. Die Kombination Holz und bequeme Polsterung bekommt beim Lehnstuhl Alison von Flexform Zuwachs durch hochwertig verarbeitetes Sattelleder, das der Rückenlehne Stabilität verleiht. Das Design von Carlo Colombo (2018) lebt vom Aufeinandertreffen unterschiedlicher Materialien und der anmutig geschwungenen Form des Massivholzes. Der besondere Schwung spielt auch bei Ona, einem Armchair, den Sebastian Herkner für Freifrau designt hat, eine wesentliche Rolle. Mit der einheitlichen Form von Rücken- und Armlehnen überwindet der deutsche Designer einmal mehr das obsolet werdende Dogma von Purismus sowie formaler Strenge und schafft ein Bild von Eleganz, das auf den ersten Blick vertraut wirkt, doch bei genauerem Hinsehen äußerst zeitgemäß ist. Für den Schweizer Lederspezialisten de Sede haben Virginia Harper und Babak Hakakian den Cocktailchair DS-163 gestaltet. Die blütenhafte Sitzschale auf kegelförmigem Fuß strahlt Komfort aus und ist durch die Verwendung von 5 mm starkem Neck-Leder sehr robust. Dass dieses Leder auch behaglich und warm sein kann, bemerkt man spätestens beim Hinsetzen. Praktischerweise lässt sich der Sessel um 360 Grad drehen.
Prädestiniert für den Retro-Trend
Für einen der derzeitigen Hauptmöbeltrends, der Wiederauferstehung von Mid-Century Stücken bzw. dem massiven Einfluss dieser Zeit auf die aktuelle Retro-Welle, bietet sich der Sessel auf ideale Weise an. Dabei werden große Volumina reduziert, ohne Bequemlichkeit einzubüßen. Italienische Designer*innen und Unternehmen haben in dieser Beziehung seit jeher die Nase vorne. So geht der Armlehnstuhl Wam von Marco Zito für Bross in eine filigrane Richtung. Die perfekt geformte Sitzschale ruht auf vier zarten Metallbeinen, die in schwarzem Finish oder gebürsteter Bronze ausgeführt sind. Was den Retro-Charakter betrifft, hängt dieser ganz entscheidend von den gewählten Stoffen, Farben und Mustern ab. Ganz explizit auf die Interieurs der 1950er Jahre in Mailand bezieht sich das Projekt Scala von Marco Piva und Alma Design. Auf eine Struktur aus Messingoberflächen in verschiedenen Farbtönen wurde eine Polsterung aus Samtstoffen gelegt, die die Vergangenheit aufleben lässt, dabei aber immer die Gegenwart im Auge behält. Die 1960er Jahre brachten ein spielerisches, poppiges Element ins Möbeldesign. Die Round Collection von Lagranja spielt mit dem Thema des Kreises und vermeidet jeglichen rechten Winkel. Unbeschwertheit trifft auf Eleganz und einladenden Komfort. Die Beine aus Metall münden in kugelförmige Füße, was zur Leichtigkeit beträgt und die Retro-Erscheinung verstärkt. Der Charakter dieses Möbel verändert sich je nach Wahl des Stoffes enorm – von konservativ bis poppig. Das in Barcelona ansässige Designstudio Lagranja bringt Möbelkollektionen unter dem eigenen Label Lagranja Collection heraus. Als genaues Gegenteil von rund kommt der Sessel Zoe von Giuseppe Bavuso für Alivar daher. Dabei wird die rigorose rechteckige Form von den zarten Beinen aus Aluminiumguss konterkariert. Egal mit welchen Stoffen der Armlehnstuhl bezogen wird, der Objektcharakter bleibt stets erhalten.
Bauhaus-Sessel neu interpretiert
Sehr viel spartanischer und geometrisch strenger war der Gestaltungsansatz für Sessel im Bauhaus. Tecta, ein wichtiger Player in Fragen der Erhaltung von Bauhaus-Möbeln, wie sie in Weimar und Dessau entstanden sind, denkt diesen Ansatz weiter und verbessert die Originale, um sie der Gegenwart anzupassen. Im Bauhaus-Jubiläumsjahr, das Tecta unter dem Titel bauhausnowhaus feiert, ließ das Unternehmen einige Ikonen von Designer*innen neu interpretieren. So auch Marcel Breuers Clubsessel D4, dem Kerstin Bruchhäuser in aufwendiger Handarbeit neue textile Gurtflächen in Form eines Patchworks spendierte. Dafür griff sie auf die traditionelle koreanische Pojagi-Technik zurück und beschränkte sich – ganz dem Bauhaus-Gedanken entsprechend – auf vier Farben. Der zusammenklappbare Stahlrohrclubsessel mit Stoffgurtbespannung wurde erstmals im Jahr 1927 präsentiert. Nun bekommt er eine kräftige Auffrischung mit Bruchhäusers symmetrischen Mustern, die sie aus verschiedenen Stoffresten zusammensetzt. Verwendet werden Reste aus der Lauenförder Werkstatt von Tecta, deutsche Militärrucksäcke, die Bruchhäuser in einem Second Hand-Laden in Los Angeles fand, ehemalige Jeans und alte japanische Kimono-Stoffe. „Ein spannender Kontrast entsteht: Der flexible Stoff mit den leicht versetzten Nähten wird auf dieses supergerade und glänzende Stahlrohr aufgezogen“, erklärt die Hamburger Designerin. Ebenfalls mit dem D4-Entwurf von Marcel Breuer beschäftigte sich die Künstlerin und Stickerin Esther Wilson, Enkelin von Alison und Peter Smithson, die das Möbel besaßen und in der Vergangenheit eng mit Tecta zusammengearbeitet haben. Den Ausgangspunkt für ihre Arbeit lieferte das Bauhaus Manifest in seinem Original-Layout. Wilson markierte in Farbe ihrer Meinung nach wichtige Worte und Bleistift-Handnotizen. Die daraus entstandenen Farbblocks transferierte sie gemäß deren Positionen im Manifest als Stickerei auf die textilen Flächen des D4. Das Ergebnis sind intensive, minimalistische Stickereien.
Eine weitere Re-Edition übernahm Katrin Greiling. Sie interpretierte den F51 von Walter Gropius so, dass markante Farb- und Texturen entstanden sind, die der würfelförmigen Kragkonstruktion einen neuen zeitgemäßen Look verleihen. „Ich habe mir überlegt: Wie würde ich den Sessel in einem zeitgenössischen Mobiliar sehen? Ich wollte den Stuhl nicht neu entwerfen, sondern den gegebenen Rahmen aus Fläche, Textur und Farbe neu interpretieren und proportionieren“, sagt Greiling. Den Kubus D1 von Peter Keler (1925) interpretierte Tobias Groß bereits im letzten Jahr als D1N neu. Auch er konzentrierte sich auf die Farben und deren Zusammenstellungen. Die zeitgemäßen Kolorierungen sind auf den Armlehnen und Kanten dunkler und im Inneren, also auf Sitzfläche und Rückenlehne, heller gehalten.