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VDW-Leiter Gabriel Roland setzt auf offenes Festival

von Markus Schraml
Gabriel Roland, VDW 22

Die Vienna Design Week (VDW), Österreichs größtes Designfestival, wurde 2022 um eine Woche vorverlegt und findet vom 16. – 25. September statt. Als diesjährigen Fokusbezirk wählte das Team um Gabriel Roland den 6. Bezirk (Mariahilf). Die Mariahilfer Straße ist Wiens größte Einkaufsstraße. Neben bekannten internationalen Marken haben sich in den Seitengassen entlang dieser Straße viele zum Teil alternative Läden angesiedelt. Selbst in diesem belebten Bezirk gibt es „geheime“ Orte, die kaum jemand kennt. Das Team der VDW schafft es immer wieder, solch faszinierende Plätze und Räume aufzuspüren und in Ausstellungsorte zu verwandeln. So auch diesmal.

Das Programm für 2022 ist umfangreich und bietet sowohl altbekannte Schienen wie die Passionswege, Urban Food & Design oder Stadtarbeit als auch neue Formate wie die Fokus-Ausstellung. FORMFAKTOR traf Gabriel Roland, der seit zwei Jahren die VDW leitet, in der Festivalzentrale direkt bei der bekannten Rahlstiege gegenüber dem Wiener Museumsquartier. Im Exklusivinterview spricht er über den offenen Charakter des Festivals, sein Designverständnis und das ständige Bemühen darum, neue Vermittlungspfade zu erschließen.

FORMFAKTOR: Eine der Aufgaben der Vienna Design Week ist, das Thema Design in eine breitere Öffentlichkeit zu bringen. Das Festival gibt es seit über 15 Jahren, wie weit ist man damit bisher gekommen?

Gabriel Roland: Auf eine gewisse Art und Weise sind wir damit sehr weit, auf andere Art und Weise haben wir dabei gerade mal die ersten Schritte gemacht. Wir sind ein Festival, dass sehr offen und breit aufgestellt ist. Wir begeben uns in die Stadt hinaus, alles wird bei freiem Eintritt veranstaltet. Es gibt sehr viele Einstiegsmöglichkeiten. Wir arbeiten viel mit Schulen usw. Die Kooperationen mit unseren Partnern funktionieren gut, in dem Sinne, dass wir gut vermitteln können, was uns wichtig ist und Dinge dahingehend gemeinsam erarbeiten können. Gleichzeitig ist es immer noch so, dass das landläufige Verständnis von Design teuer und unpraktisch heißt. Das läuft meiner Meinung komplett entgegen. Ich kenne keine Designerin, keinen Designer, mit dem wir zusammenarbeiten, der so ein Designverständnis hätte. Gerade ein Format wie Design Everyday zeigt, dass es Designerinnen und Designer gibt, die sich überlegen, wie unser Alltag sozialer, nachhaltiger, aber auch von der reinen Funktion her besser vonstattengehen kann. In dieser Ausstellung kann man von der Kartonverpackung bis zur Prothese, vom Türschlosssystem bis zum Fahrrad, vom Sessel bis zum Geschirr alles sehen. Es sind Alltagsobjekte, an denen wir zeigen können, was Design leistet.

Die Ausstellung „Design Everyday“ wird wie immer von Vandasye kuratiert. Mit dabei – die VDW Edition #2, ein Negroni-Becher von FRANZI.IST. © Vandasye

FORMFAKTOR: „Design Everyday“ läuft schon seit einigen Jahren. Nun gibt es aber auch neue Formate, zum Beispiel die Ausstellung „Fokus“.

Gabriel Roland: Hier geht es uns darum, zu zeigen, dass Design mehr ist als nur der industrielle Serienentwurf. Das sind oft Einzelentwürfe oder kleine Serien oder auch Elemente im Design, die jenseits der vordergründigen Funktion liegen. Solche Dinge sind bei der VDW zwar immer mitgeschwungen, aber es gab bisher kein eigenes Format dafür. „Fokus“ ist eine Gruppenausstellung. Dafür haben wir eine Gastkuratorin eingeladen, die sich mit uns gemeinsam ein Thema überlegt hat. Wir sind sehr froh, dass wir dafür Liv Vaisberg gewinnen konnten. Sie ist eine der Gründerinnen der Collectible Design Fair in Brüssel, betreibt einen eigenen Kunst/Kulturraum in Rotterdam und hat einen sehr guten Überblick über die westeuropäische Collectible Designszene.

FORMFAKTOR: Das Thema für „Fokus“ lautet „Ornament“.

Gabriel Roland: Ja, das ist gerade in Wien sehr passend. Man muss nur aus dem Fenster schauen und sieht Ornament über Ornament – in der Architektur. Wien ist auch ein Ort, wo dieses Thema historisch intensiv verhandelt wurde. Also die Frage – brauchen wir das oder nicht. In dieser Ausstellung wird es genau darum gehen. Vielleicht nicht in so radikaler Weise, wie das Anfang des 20. Jahrhunderts der Fall war, aber viele heutige Designerinnen und Designer haben Überlegungen und Ansätze dazu angestellt, was sich in ihren Objekten zeigt. Es wird auch eine sehr schöne Ausstellung sein. Das junge Wiener Duo Easy Center macht die Szenografie. Für uns ist es eine Möglichkeit, etwas Raumgreifenderes für die VDW in Szene zu setzen.

FORMFAKTOR: Immer wieder lanciert die VDW neue Formate und eröffnet neue Zugänge zum Festival. Eine Herausforderung?

Gabriel Roland: Es ist sehr spannend, neue Formate zu entwickeln. Allerdings steht es immer ein bisschen in den Sternen, ob das so funktioniert, wie man sich das vorgestellt hatte. Es ist gerade auch im ersten Jahr immer viel mehr Arbeit als in den Folgejahren. Bei „Fokus“ bin ich aber sehr zuversichtlich. Es hat selbst mich überrascht, wie international die Ausstellung geworden ist. Die heimischen Beiträge – die exzellent sind – sind deutlich in der Minderzahl. Ich glaube, das zeigt auch die Strahlkraft der VDW als ein Event, der einzigartig und nicht austauschbar ist. Das wird international wahrgenommen. Wir sind Wien-spezifisch, aber mit einem Blick in die Welt. Unser Programm ist stark kuratiert. Sicher, es gibt auch Kommerzielles, aber wir suchen sehr genau aus, was wir zeigen.

Neues Format für Collectible Design: „Fokus“-Ausstellung mit hoher internationaler Beteiligung – kuratiert von Liv Vaisberg. Im Bild: Ornament-Gruppe des belgischen Designers Orson Oxo Van Beek. © Orson Van Beek

FORMFAKTOR: Wie schätzen Sie die österreichische Designszene im internationalen Vergleich ein?

Gabriel Roland: Österreich hat sehr gute, auf internationalem Niveau arbeitende Gestalterinnen und Gestalter. Das steht außer Frage. Viele sind auch international vernetzt. Österreich ist ein relativ kleiner Markt. Ich weiß nicht, ob ich mir das wünschen würde, dass österreichisches Design als XYZ international wahrgenommen wird. Wir hatten das Gastland Finnland 2019, die Schweiz 2020. Das sind beides Designszenen, die sehr stereotyp wahrgenommen werden. Und die sich dagegen wehren. Da gibt es junge Leute, die im Schatten ihre berühmten Vorgänger stehen, die sie natürlich schätzen, aber die sagen, vielleicht machen wir einmal was anderes. Ich glaube, es ist nicht so schlecht, dass österreichisches Design in keine stereotype Kategorie fällt. Obwohl wir natürlich große historische Vorbilder haben. Es besteht aber nicht der dauernde Zwang, sich etwa an einem Josef Hoffmann abzuarbeiten oder sich ständig zu ihm zu äußern. Mir würde das auf die Nerven gehen.

Es gibt in Österreich auch eine sehr gute heimische Produktion. Diese ist nach meiner Auffassung nach in der Verantwortung mit österreichischen Designerinnen und Designern zusammenzuarbeiten. Und sie sollte darauf Stolz sein. In vielen Fällen wird das auch gemacht. Das sind Erfolgsgeschichten. Ich will damit aber nicht sagen, dass Unternehmen jetzt ausschließlich mit heimischen Kreativen zusammenarbeiten sollten. Das finde ich nicht zielführend.

FORMFAKTOR: Sie leiten die VDW nun das zweite Jahr bzw. das erste Jahr in voller Eigenverantwortung. Im vergangenen Jahr war Lilli Hollein an der Programmentwicklung sicher noch beteiligt.

Gabriel Roland: Das letzte Jahr haben wir noch gemeinsam auf Schiene gebracht. Die Übergabe hätte nicht so stattfinden können, wenn Lilli nicht sehr strukturiert vorgearbeitet hätte und nicht bei allen maßgeblichen Partnern gesagt hätte: Ich habe volles Vertrauen in den Gabriel Roland, bitte macht mit ihm weiter. Das hat in 100 % der Fälle funktioniert. Dafür bin ich sehr sehr dankbar, weil mir das den Rücken freigehalten hat. Das Zweite ist natürlich, dass ich ein ausgezeichnetes Team habe, die alle sehr routiniert sind in ihrem Job. Das ist für einen frischen Leiter sehr wichtig, auch im Hinblick darauf, dass man Sachen ausprobieren kann. Wenn ich nicht die Ressourcen eines Teams hätte, das dabei gerne mitmacht, dann würde das nicht funktionieren. Sonst hätten wir auch für 2022 nicht so ein Riesenfestival auf die Beine stellen können.

FORMFAKTOR: Welche Bedeutung hat die gastronomische Seite, der gesellschaftliche Teil, haben die Partys für die VDW – neu ist ja z.B. die Aperitivobar?

Gabriel Roland: Das hat zwei Aspekte. Einerseits sind wir ein Festival und keine statische Ausstellung. Das heißt, wir wollen Begegnungsorte schaffen. Und das funktioniert oft über gastronomisches Angebot. Ähnlich verhält es sich mit den Partys. So hat sich das Eröffnungsfest der VDW als eine Art Klassentreffen der österreichischen, speziell Wiener Kreativszene und ihrer Kontakte in Kultur und Wirtschaft etabliert. Das ist mit Corona schwieriger geworden, aber wir wollen nach wie vor eine lustvolle Veranstaltung sein, wo man auch feiert. Das feiert, was die Designszene das ganze Jahr über, meist in aller Stille, tut. Wir haben aber auch herausgefunden, dass es interessanter ist, experimentellere, asymmetrischere Ansätze zu finden. Das ist sicher eine Lektion, die wir aus unserem Urban Food & Design-Format gelernt haben, das seit mehreren Jahren in Kooperation mit der Wirtschaftsagentur Wien läuft. Wo wir in der Vergangenheit sehr experimentelle Projekte beauftragt haben und nun versuchen wir, sie in die Wirtschaft hineinzubringen.

FORMFAKTOR: Hier machen Sie den nächsten Schritt.

Gabriel Roland: Ja, wir treten den Beweis an, dass vieles, was in diesen Projekten passiert, zwar sehr spekulativ und konzeptuell ist, aber dass es, wenn man es ernst nimmt und mit den Leuten auf Augenhöhe agiert, auch ganz konkrete Benefits für die Wirtschaft hat. Es gibt viele Unternehmen, die das erkennen und sehr befruchtend mit Designerinnen und Designern zusammenarbeiten.

FORMFAKTOR: Neu ist auch der VDW-Shop? Welcher Beweggrund steht dahinter?

Gabriel Roland: Man kann kein Designfestival machen und sagen, ich bin grundsätzlich gegen das Verkaufen von Dingen. Da sind wir weit weg davon. Wir haben letztes Jahr innerhalb des Design Everyday-Formats die Edition Taschenfeitl herausgebracht. Das war eine super Sache und es gab von Anfang an den Plan, diese Edition weiterzuführen. Nun kommt zum Taschenfeitl ein Negroni-Becher dazu. Das ist gleichzeitig ein Messbecher und ein Trinkbecher aus Porzellan. Der Entwurf stammt von Sandra Holzer (Anm. FRANZ.IST). Allein mit einem oder zwei Produkten wäre ein Shop eine eher dünne Sache, deshalb haben wir Menschen in unserem Netzwerk gefragt, ob sie nicht auch etwas beisteuern wollen. Der Shop wird in einem Raum mit der neuen Aperitivobar sein, die ja sowohl Bar als auch Designintervention ist. Und genauso ist auch der Shop ein Shop und gleichzeitig eine Ausstellung. Es geht auch darum, eine Infrastruktur zu schaffen, die das Festival weiter in den Bezirk hinein öffnet. Ein neuer Pfad in das Festival.

Das routinierte Team der VDW hat für 2022 ein umfangreiches Programm zusammengestellt. Foto © Mafalda Rakoš

FORMFAKTOR: Welche Akzente wollen Sie in Zukunft setzen?

Gabriel Roland: Ich glaube, eine ganz entscheidende Sache ist, sich die VDW anzusehen und zu erkennen, wo die Stärken liegen, um diese noch zu betonen. Dazu zählt unsere reiche Erfahrung, die wir in der Zusammenarbeit mit dem Handwerk haben. Wir haben eine ganz eigene Herangehensweise an Social Design, wo wir in vielen Jahren in Kooperation mit der Erste Bank das „Stadtarbeit“-Format aufgebaut haben. Da gibt es eine ganze Bandbreite an Beispielen, wie Design Gesellschaft zusammenbringen kann. Wie Design neue Plattformen schaffen kann. Wichtig ist die Frage: Wie können wir das Designfestival öffnen, dass sich noch mehr Leute eingeladen fühlen. Die Vermittlungsfunktion sollte gestärkt werden, wo wir den Menschen zeigen, was wir an Design gut finden. Das soll bleiben und wachsen.

FORMFAKTOR: Ich habe den Eindruck, dass die VDW bemüht ist, immer auch die Vielfalt von Design zu zeigen.

Gabriel Roland: Ich bin sehr froh, dass die VDW ein multidisziplinäres Festival ist und nicht eine Wand um sich aufbaut. Wenn man zum Beispiel über etwas Spannendes stolpert und sich dann denkt, nein, das kann ich nicht machen, weil es nicht ins Festivalkonzept passt. Hier sind wir offen und können die unterschiedlichsten Dinge hereinholen. Was auch ganz ganz wichtig sein wird, ist zu zeigen, dass ein Großteil der Designszene das Bedürfnis hat, Verantwortung zu übernehmen – für gesellschaftliche, für globale Prozesse. Wie kann man als öffentliche Plattform diese Szene dabei unterstützen? Zu diesem Thema machen wir eine Mini-Konferenz, bei der eine Gruppe von Designerinnen und Designern eine Liste von Vorsetzen herausarbeiten wird, wo es es darum geht, wie können wir sozial nachhaltig und vor allem sinnstiftend gestalten. Ich kann noch nicht sagen, was dabei herauskommen wird, aber ich bin irrsinnig gespannt. Prozesse wie dieser werden ganz wichtig sein, um die Rolle von Design für die Gestaltung der Zukunft zu definieren.


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