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Brücken, nicht Grenzen – Vienna Design Week 2021

von Markus Schraml
Artisans of Public Psyche, VDW21

Die Vienna Design Week 2021 ist Geschichte. Unter neuer Leitung ging sie gewohnt vielfältig über die Bühne und vermittelte einen Eindruck von der Lebendigkeit der österreichischen Designszene. Dabei wurde der Fokus nicht nur auf bekannte Designer*innen gelegt, sondern auch auf den kreativen Geist von Designstudent*innen sowie experimentell-künstlerischen Positionen, wie etwa Max Scheidls Projekt „Artisans of Public Psyche“, eine Intervention im öffentlichen Raum zur Frage psychischer Belastungen in dieser schwierigen Zeit. Dazu ist das Festivalmotto „Bridges not borders“ als ein kritischer Kommentar zu den politischen Handlungen in Europa der letzten Monate (und davor) zu verstehen.

Designer*innen lösen Probleme

Seit Jahren wird der Diskurs über die Wichtigkeit der Rolle von Designer*innen im Zusammenhang mit nachhaltigeren Produktionsprozessen geführt. Auch im Verlauf der Vienna Design Week zeigte sich dieser Anspruch und Produkte oder Projekte von Designer*innen ohne ökologisch-innovativen Ansatz sind mittlerweile zur Mangelware geworden. Eine wichtige Wiener Forschungsinitiative in diesen Bereich ist das IDRV, das Institute of Design Research Vienna. In einem Talk wurden die von dem Designforschungsinstitut entwickelten Circular Design Rules näher beleuchtet. Es handelt sich dabei um ein Orientierungstool für die Gestaltung kreislauffähiger Produkte.

Food Waste

Barbara Gollackner und Peter König widmen sich dem Thema der Lebensmittelverschwendung und präsentierten unter dem Titel „Waste Ware – Products made from Food Waste“ ein Konzept, das die Potenziale von Lebensmittelabfall als organisches Druckmaterial auslotet. Die Kreativen gehen davon, dass in Zukunft jeder Haushalt über einen 3D-Drucker verfügen wird und die Konsumenten*innen so selbst zu Verwerter*innen ihres eigenen Mülls werden. Beispielsweise lassen sich aus altem Brot kleine Löffel oder aus weich gewordenen Karotten Blumentöpfe 3D-drucken.

Ökologisches Design

Ein weiterer Talk fand unter dem Titel „Ecodesign“ in der Festivalzentrale der Vienna Design Week auf dem Sachsenplatz statt. Peter Umgeher und Georg Schnitzer von Vandasye diskutierten dabei neue Methoden, Prozesse und alternative Materialien für die Herstellung nachhaltiger (Industrie)produkte. Sie warfen dabei auch die Frage auf, welche Partner*innen es überhaupt gibt, die engagierte Designer*innen auf dem Weg der Transformation unterstützen können und wollen.

Design im Alltag

Umgeher und Schnitzer sind auch die Kuratoren einer beispielhaften Initiative der Vienna Design Week, der Ausstellung „Design Everyday“, die heuer bereits zum fünften Mal stattfand. Sie zeigt das Potenzial der österreichischen Designszene auf, hervorragende Alltagsgegenstände zu gestalten. In diesem Jahr erfährt die Vor-Ort-Schau eine höchst lobenswerte Ausweitung in den digitalen Raum, denn es wurde eine eigene Design Everyday-Website kreiert, auf der die Gestaltungsleistungen einheimischer Designer*innen auf Dauer zu sehen sind. In der aktuellen Ausgabe von „Design Everyday“ waren Produkte unter anderem von Walter Grill (Isskogel), Antenna Design (Workspaces Accessoires, Tray and Pencil Cup), mischer’traxler (Level II – mini) oder studiotut (tut keramik) zu sehen.

Die Vermessung der Zukunft

Das Team DIN 2121 hat sich der Bedeutung von Messinstrumenten gewidmet und sieben Messwerkzeuge für die Zukunft entwickelt. Die Menschheit ist eine Spezies, die alles vermisst, daraus Normen entwickelt, von denen die allermeisten Werte dann wieder abweichen. Das Designerinnen-Kollektiv bestehend aus Mia Meus, Sarah Franzl, Ege Kökel, Johanna Pichlbauer, Isabel Prade, Stephanie Kneissl und Julia Schwarz gelangt mit dem Blick aus der Zukunft (2121) zur Erkenntnis, dass Normungen der Ausdruck von Machtverhältnissen sind und keine allgemeinen Wahrheiten darstellen. Sie haben sich anlässlich der WIENWOCHE zusammengeschlossen und hochspezialisierte Messinstrumente entworfen, die nun auch auf der Vienna Design Week präsentiert wurden – Demomessungen inklusive.

Eine der interessantesten österreichischen Designer*innen ist Johanna Pichlbauer, die bei der Vienna Design Week nicht nur mit dem Kollektiv DIN 2121 vertreten war, sondern auch mit ihrem willhaben.at-Kooperationsprojekt. Der virtuelle Marktplatz ist ein extrem großer Fundus von alltäglichen / nicht-alltäglichen Dingen. Pichlbauer hat gemeinsam mit den willhaben-Profis Selma Mühlbauer und Fabio Hofer eine dreiteilige Installation gestaltet. Das Motto dafür könnte lauten: wenn Alltagsgegenstände aus dem Netz zur Ausstellungskunst werden.

Schongarer selbst nähen

Einen starken Auftritt absolvierte auch das 2020 neu gegründete Studio EOOS NEXT, das sich intensiv mit nachhaltigen sowie sozialen Designfragen beschäftigt und mögliche Antworten in nutzbare Produkte übersetzt. Beim Wiener Designfestival präsentierte das Team einen tragbaren Do-it-yourself-Schongarer, der einfach und günstig selbst hergestellt werden kann. Das Prinzip eines Schongarers basiert auf Wärmespeicherung. Das heißt, Nahrungsmittel werden einige Minuten lang erhitzt und dann im isolierten Schongarer langsam fertiggekocht. Vorteile dieser Methode sind die schonende Zubereitung und das lange, energiesparende Warmhalten der Speisen. Der EOOS NEXT-Schongarer ist eine genähte Tasche, deren Nähanleitung Besucher*innen mitnehmen konnten. Kulinarischer Höhepunkt: Täglich wurde eine vorgegarte Speise geliefert, vor Ort fertiggekocht und durfte dann verkostet werden.

Talks, Studiobesuche, Touren im Fokusbezirk Brigittenau, Installationen, Interventionen und vor allem unterschiedlichste Ausstellungen bereicherten die Vienna Design Week 2021 und eröffneten einmal mehr einen Blick auf den enormen Reichtum der Wiener Kreativszene. Aus der Vielzahl sei vor allem eine Schau hervorgehoben: Im designforum Wien ging es um Marken. Sie füllen die Welt der Dinge mit ihren Erzeugnissen und können mitunter Kultcharakter annehmen. In der von Christian Thomas kuratierten Ausstellung werden Hintergrundgeschichten dieser den Alltag bestimmenden Produkte erzählt und veranschaulicht. Die Ausstellung läuft seit Juni und bis 10. Oktober besteht noch die Möglichkeit, in diese Markenwelt einzutauchen. Für Designer*innen ist der häufigste Berufsweg auch 2021 noch für Unternehmen / Marken etwas zu schaffen. Selbst wenn vor allem junge Gestalter*innen vielfach im Bereich Speculative Design tätig sind und einfach mal mit ihren eigenen Ideen loslegen.

Alles in allem darf die diesjährige Ausgabe des größten Designevents Österreichs unter der neuen Leitung von Gabriel Roland als Erfolg verbucht werden. Interessant wird es sein zu sehen, an welchen Schrauben Roland und sein Team für die Ausgabe 2022 tatsächlich drehen werden. Denn diese ist dann wirklich die erste ohne Lilli Hollein.


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