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Designszene China – Traditionelles Handwerk / Moderne Technologie

von Markus Schraml
Design Shanghai

Aus europäischer Sicht dienen Möbelmessen und Design Events in China der Erschließung dieses Milliardenmarktes für die eigenen Produkte. Der Strom fließt allerdings in beide Richtungen und das Reich der Mitte entwickelt sich von der Produktionshalle der Welt zu einem Land mit eigenen technologischen Innovationen und starker urbaner Kreativszene. Das schließt auch den Designbereich mit ein und wie auf der Design Shanghai zu sehen war, sind chinesische Designstudios auf dem Sprung in die Internationalität. Die Messe im Shanghai Exhibition Centre bot für den Austausch von Ost und West auf vielen Ebenen Gelegenheit. Über 400 internationale Marken aus 32 Ländern erwarteten an die 70.000 (Fach)Besucher*innen bei der sechsten Ausgabe dieser Veranstaltung. Shanghai präsentierte sich in diesem Rahmen als Zentrum der chinesischen Design-Industrie. In der Metropole gibt es über 4.000 Agenturen und Institutionen, die sich in irgendeiner Form mit Design beschäftigen. Shanghai ist ein Magnet sowohl für große internationale Marken als auch für junge Designtalente.

Die Design Shanghai präsentiert nicht nur Produkte, sondern bietet etwa mit dem Design Shanghai Forum eine Plattform, auf der in der aktuellen Ausgabe internationale Stars wie Aldo Cibic, Paola Navone oder Jaime Hayon neben TOP-Fachleuten aus China wie Zhang Zhoujie, Steve Leung oder Dara Huang als Redner auftraten und zum Verhältnis von Technologie, Handwerk und Kreativität sprachen. Und das Yintiandi Design Festival trug das Thema Gestaltung über das Messegelände hinaus in die Stadt. Beim diesjährigen Motto: Back to the Social Origin – Axquainted, Encountered, ging es um die Beziehung zwischen Sozialem, Design und Technologie. Die neue Initiative Design Talks and Sharing bot dabei eine zusätzliche Möglichkeit zur Interaktion zwischen Designern und an Design interessiertem Publikum. Erstmals gab die Design Shanghai eine Merchandise-Reihe heraus: „Floating Life“, eine Glasserie, die in Kooperation mit Jamy Yang, Gründer von YANG DESIGN und YANG House entstand. Die Agentur YANG DESIGN nutzte die Messe, um ihren kompletten 2019-2020 China Design Trends Report vorzustellen. Für das Unternehmen sind die derzeitigen Strömungen in der Branche von vier Schlagworten geprägt: Data Craft, Slow Utopia, Virtual Landscape und Hustle.

Designszene China

Neben bekannten internationalen Marken (mit starker italienischer Beteiligung) wie Alessi, Roche Bobois, Knoll, SieMatic, Zaha Hadid Design, Slamp, &Tradition, Flos, TON, Brokis, Swarovski oder De sede war die Design Shanghai vor allem eine Präsentation lokaler und nationaler Designstudios und Marken. Über 50 zeigten ihre Produkte und Ideen, die neben Fortschrittlichkeit und Innovationskraft vor allem einen Fokus auf traditionelle Techniken und moderne Anwendungen erkennen ließen. Gerade mit dieser Verknüpfung von Handwerk und neuen Technologien befinden sich chinesische Designstudios auf Augenhöhe mit ihren westlichen Kollegen. Man bekommt außerdem den Eindruck, dass das Kopieren anderer Entwicklungen in diesem Bereich passé ist. Das Streben nach eigenen, originalen und originellen Designs ist enorm stark. Die Firmengründer sind gut ausgebildet und verfügen zum Teil über internationale Erfahrung. Viele chinesische Designer*innen, die in Italien und den USA studiert haben, kehren danach in ihr Heimatland zurück und gründen ihr eigenes Unternehmen, mit dem sie wiederum international erfolgreich sein wollen.

Die Design Shanghai zeigte neben einigen schon bekannten Designer*innen wie DEFRONT, HC28, ziinlife, Sozen oder Urbancraft viele kommende Talente, die durch experimentelles Design oder die Verwendung neuer Materialien auffallen: Buzao, ABOVE, Foam Studio oder GINKGOLD. Letztere ist eine neue Marke, die von Wang Chenyi gegründet wurde und gleich mit einem bemerkenswerten Produkt punktet – dem Ginkgo Leaf Chair. Er besteht allerdings nicht aus Ginkgo, sondern aus Karbonfaser, mit der die Form des Ginkgo-Blattes nachgeahmt wird. Die Designerin widmete diesen Stuhl ihrem Vater, der die Ginkgo-Bäume in den Parks von Peking immer bewunderte. Ebenfalls neu ist Buzao, ein Ableger des bekannten Designstudios Bentu. Das Ziel des Unternehmens ist, die Schönheit von Materialien zu zeigen, wie etwa Lavagestein, indem versucht wird, die Essenz herauszuarbeiten. Natürliche Unregelmäßigkeiten werden dabei als Richtschnur benutzt. DEFRONT ist ein Designunternehmen mit Mitarbeiter*innen aus unterschiedlichen Feldern und mit verschiedenen kulturellen Hintergründen. Diese Mischung spiegelt sich in den Produkten wider, die sowohl östliche als auch westliche Einflüsse erkennen lassen. Zhang Junjie beschäftigt sich schon seit mehreren Jahren mit dem Material Bambus. Mit seinem in Hangzhou ansässigen Studio Sozen erforscht er seit 2012 traditionelle Handwerkstechniken und produzierte schließlich eine Reihe von Bambus-Objekten. Die neueste Entwicklung in diesem Bereich ist das Projekt Cloud Bone, in dem die dem Bambus eigene Elastizität auf die Spitze getrieben wird. Mit CAD simuliert Zhang Junjie das Fließen von Wolken und übersetzt diese Formen in den Bambus. Aus dünnen Bambusstreifen entstehen mithilfe dreidimensionaler digitaler Modelle über den handwerklichen Prozess Bambus-Objekte mit einzigartiger Ästhetik. Eine der am schnellsten wachsenden chinesischen Designmarken ist Ziinlife. Das prämierte Unternehmen stellt Möbel aus Massivholz her mit Rücksichtnahme auf die Muster und Texturen des Materials. Die Produkte sind flexibel, praktisch und von hohem ästhetischen Wert. Ziinlife ist ein Beispiel für Designunternehmen, die sich immer mehr über Asien hinaus orientieren und wachsen.

URBANCRAFT wurde 2016 von Ximi Li gegründet. Das Studio mit Sitz in Shanghai steht für eine Verbindung kultureller Elemente aus unterschiedlichen Weltregionen. Ximi Li hat dafür den richtigen Hintergrund. Nach seinem Studium an der China Academy of Art ging er ans Polytechnikum Mailand und machte dort seinen Master in Möbeldesign. In Italien arbeitete er für Andrea Branzi und Luca Trazzi, um nach seiner Rückkehr nach China sechs Jahre als Chefdesigner bei Neri&Hu tätig zu sein. Er sagt zur chinesischen Designszene: „Es gibt nur wenige chinesische Designer, die bisher die Chance hatten für internationale Marken im Bereich des Möbel- und Produktdesigns zu arbeiten. Chinesische Designer sind im Moment sehr an den chinesischen Markt gebunden und es ist noch ein weiter Weg zur Internationalität. Dennoch – mit dem Wirtschaftswachstum bekommen mehr und mehr Designer und Studenten die Gelegenheit zu reisen, zu studieren, zu arbeiten und Ausstellungen zu besuchen. Dadurch erkennen immer mehr europäische Marken die Wichtigkeit des chinesischen Marktes und verstehen ihn auch. Und das bringt mehr Möglichkeiten für lokale Unternehmen zu lernen und zu wachsen. Das Ergebnis sind mehr Kooperationen und Marken, die angefangen haben umzudenken und Design zu schätzen und dafür auch zu bezahlen.“

Shanghai ist eine vibrierende Metropole, die durch ihre Lage am Meer und am Jangtse ein besonderes Flair ausstrahlt. Ein Flair, dass Designerin Sherry Xu immer wieder für ihre Kreationen inspiriert. Mit ihrem Label 8 HOUR produziert sie Möbel und Accessoires, die von Lebensfreude und positiver Einstellung zeugen. Die Kollegen von JOYS DESIGN gehen mehr in eine skulpturale Richtung und nutzten die Design Shanghai für die Erstpräsentation vieler ihrer Möbelstücke. Für die modernen Designs ist ein Pool von internationalen Kreativen verantwortlich. Von einer Gruppe bekannter chinesischer Designer wurde WOW Design ins Leben gerufen. Die Produkte des Unternehmens geben das Faible der Gestalter für skandinavisches Design wieder. Der WOW-Effekt kommt mit der Verkaufsphilosophie – die Möbel werden zu leistbaren Preisen vertrieben.

Mit den Awards, die während der Design Shanghai vergeben werden, anerkennt und pusht die Messe den Wert von qualitativem Design. Der „Andrew Martin International Interior Design Award“ prämiert bestes Interieur Design, der „IDEAT Future Award“ zeichnet die besten Designstudios und -projekte weltweit des Jahres 2018 aus und der „Emerging Chinese Designers Award“, den die Messe in Kooperation mit AD China ausschreibt, richtet seinen Fokus auf den Designnachwuchs. Die Finalisten im Jahr 2019 sind: ABOVE Studio, Chen Shangyi, Dejawu Studio, Foam Studio, Hi thanks Bye, Hoii Design, Huang Jing, Mutuopia, Re:Studio und THE SHAW Studio.

Die Design Shanghai zeigte einerseits, dass viele europäische Unternehmen – vor allem aus Italien – das Potenzial des chinesischen Marktes im Bereich hochwertiges Design – entdeckt haben bzw. schon einige Zeit dort vertreten sind, andererseits war es ein Schaulaufen chinesischer Marken, Designstudios und Designexperten, die über dieselben Themen diskutierten und auf einem ähnlichen Level arbeiten, wie die Kollegen im Westen. Traditionelles Handwerk, moderne Technologien und Anwendungen, die Möglichkeiten neuer Materialien beschäftigen die Kreativszene in China und im besonderen in Shanghai genauso, wie Designer*innen in Mailand, London oder Skandinavien. In Zukunft wird sich der Austausch zwischen Ost und West intensivieren, wobei das Ergebnis kein globalisierter Einheitsbrei sein wird, sondern internationale Qualität unter Rücksichtnahme regionaler Eigenheiten und Traditionen – so zumindest die Hoffnung.

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