Home Creation Exklusiv: Ben Rigby über Lichtpoesie und kreative Explosionen

Exklusiv: Ben Rigby über Lichtpoesie und kreative Explosionen

von Markus Schraml
Haberdashery, Ben Rigby

Lichtdesign hat sich in den letzten Jahren vor allem Dank LED-Technologie enorm weiterentwickelt. Das Londoner Designstudio Haberdashery verbindet in ihren Lichtkreationen neueste Technik mit poetischer Designsprache und schafft es, mit den Betrachtern nicht nur auf ästhetischer Ebene zu kommunizieren. Als Ben Rigby und Mac Cox das Studio vor über 10 Jahren gründeten, waren die Herausforderungen zum Teil ganz andere als heute. Im formfaktor-Exklusivinterview spricht Rigby über Lichterinnerung, Forschung und neue Lichtkonzepte, die von der Sonne inspiriert sind.

 

formfaktor: Haberdashery arbeitet sowohl für Kunden als auch an eigenen Projekten und Produkten. Was ist der Unterschied in der Herangehensweise und was sind dabei die unterschiedlichen Herausforderungen?

Ben Rigby: Wenn wir mit Kunden arbeiten, erben wir manchmal einen schon bestehenden Auftrag und manchmal entwickeln wir von Grund auf neu. So oder so ist es unsere Aufgabe, den jeweiligen Bedürfnissen gemäß zu handeln, aber auch ehrgeizigere Ziele anzustreben. Es gibt immer Wege, an eine Aufgabe mit mehr Kreativität heranzugehen und dabei können uns kundenseitige Beschränkungen in ganz neue, überraschende Richtungen bringen. Während des Designprozesses in die Ecke gedrängt zu werden, kann oft zu sehr einfallsreichen und ungewöhnlichen Problemlösungen führen.

Die Entwicklung eigener, interner Arbeiten für Produkte oder Skulpturen, die es uns erlauben, uns wirklich selbst auszudrücken, ist ebenfalls höchst befriedigend. Allerdings kann das neue Komplikationen mit sich bringen. Eine Aufgabe, die zu offen ist, braucht eine Art Pfad, sonst erreichen wir möglicherweise nie ein Endziel. Wir beschreiben unseren Prozess gerne als eine Serie von kreativen Explosionen, die zu wundervollen Vorwärtssprüngen führen, die dann überprüft und rationalisiert werden, um so einen weiteren Vorstoß in Richtung realisierbarer Umsetzung starten zu können. Dieser breit angelegte Denkansatz gefolgt von intensiver Fokussierung erlaubt es uns in puncto Forschung und Entwicklung risikoreich zu agieren, aber auch Zeitvorgaben einzuhalten, ohne die interessante Dinge niemals fertig würden.

formfaktor: Wie hat sich Lichtdesign in den letzten Jahren verändert und welchen Einfluss hatte dabei die LED-Technologie?

B. Rigby: Lichtdesign hat sich, wie auch viele andere Technologiebereiche in letzter Zeit stark weiterentwickelt. Ein gestiegenes Bewusstsein in der Öffentlichkeit darüber, wie Technologie und speziell Licht und Lichttemperatur uns beeinflusst, hat Haberdashery dazu veranlasst, mit unserem Publikum auf einer persönlicheren Ebene zu kommunizieren. Unsere Evoke-Produkte etwa sprechen die Lichterinnerung des Betrachters an und ermöglichen es uns, die Technologie für Produkte zu nutzen, die mehr auf den Menschen zugeschnitten sind. Ein größeres Bewusstsein dafür, dass wir Licht (und Strom) übermäßig ge- und verbrauchen, hat zu einer neuen Wertschätzung der Dunkelheit geführt und gleichzeitig zu einer gestiegenen Erwartung gegenüber der einzelnen Lichtquelle. Das hat uns geholfen, einen Markt für Produkte und Skulpturen zu finden, die zur gewöhnlichen Nutzbeleuchtung ein Element der Poesie im Raum hinzufügen. Haberdashery ist fasziniert von den enormen Fortschritten in der LED-Technologie, bei Kontrollsystemen und modernen Fertigungstechniken, aber wir benutzen diese Möglichkeiten nur, um daraus wahrhaftig Kreatives zu schaffen. Wir sind zwar Experten in Sachen F + E, aber es ist nicht unser USP, denn wir sind im Herzen Kreative, leise unterstützt von Spitzentechnologie.

formfaktor: Was ist für Sie die Rolle oder Funktion von Licht im Raum, die über reine Nutzbeleuchtung hinausgeht?

B. Rigby: Wir glauben, dass Licht die Fähigkeit hat, dich aus dem alltäglichen Zeitrahmen herauszunehmen und die Vorstellungskraft neu zu starten. Wenn ich einen gut gestalteten Raum mit fantasievollem Licht betrete, vergesse ich sehr schnell die Außenwelt und kann relaxen. Spezifische Lichttemperaturen erlauben es unserer Physiologie sich neue auszurichten. Unser innerer zirkadianer Rhythmus wird von der Lichttemperatur direkt beeinflusst, und indirekt auch unser Hormonspiegel. Unsere Dawn to Dask-Leuchte ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir dem Benutzer ermöglichen, diese Verbindung von Licht und Gemütsverfassung herzustellen. Über diesen psychischen Einfluss von Licht hinaus, ist es für uns sehr wichtig, unseren poetischen Zugang zu betonen, wo wir Geschichten erschaffen, die der Betrachter erforschen und erfahren kann. Unsere Canopy-Hängeleuchte zum Beispiel hat durch ihren Schirm einen subtilen, animierten Lichteffekt, der die Erinnerung an gedecktes Licht im Wald evoziert. Das funktioniert wie ein Memory-Trigger, der den Nutzer an einen anderen Ort, in eine andere Zeit versetzt. Unser Zugang zu Licht kommt von der erfolgreichen Verwendung von Licht in künstlerischer Art und Weise. Es ist ein Werkzeug, um mit dem Betrachter zu kommunizieren, und genauso ist es einfach eine praktische Lichtquelle.

formfaktor: Obwohl wir im digitalen Zeitalter leben, gibt es auch einen starken Trend zu Handwerk und Maker. Aus Ihrer Erfahrung – wie können diese beiden Bereiche verbunden werden – neueste Technologien und zum Teil sehr alte Handwerkstechniken?

B. Rigby: Wir haben immer das Alte mit dem Neuen verbunden. Oft haben wir traditionelle Techniken wieder neu eingeführt und sie mit neuesten Technologien kombiniert. Die Vorstellung, dass etwas alt oder traditionell sein muss, um Wert zu haben, oder, dass etwas nur innovativ ist, wenn es neu ist – das funktioniert für uns nicht. Manchmal sind neue Technologien nicht so gut wie traditionelle Techniken. Beide Welten können voneinander lernen. Manchmal funktionieren bestimmte Produktionstechniken eben für bestimmte Produktionsumfänge. Das heißt, einige Techniken sind passend für kleinere Auflagen, während sich andere für die Massenproduktion eignen. Unsere Erwartung ist in beiden Fällen die gleiche: Qualität, Detail, Klarheit und Design-Erzählung.

formfaktor: Das Licht der Sonne inspiriert wohl uns alle. Nun haben Sie eine Leuchtenserie entworfen, die genau diese Faszination aufgreift. Was waren die ersten Gedanken zur Leuchte „Dawn to Dusk“?

B. Rigby: Dawn to Dusk entstand aus dem Wunsch, eine Reihe von Produktfamilien innerhalb unserer Evoke-Kollektion zu kreieren. Wir wollten damit einfache Lichterinnerungen finden, auf die jeder Betrachter, egal wie alt, egal wo auf dieser Welt, eindeutig und klar reagieren kann. Die Sonne ist so ein starkes und emotionales Motiv, dass es eine ganz offensichtliche Wahl war. Wir erkannten den Farbwechsel bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang als einen Aspekt, der beim Thema solares Licht noch kaum tiefergehend erforscht worden war. Wir untersuchten dann, wie diese Farbpalette mit neuester LED-Technologie wieder erschaffen werden könnte.

formfaktor: Mit Ihrem Konzept „Helio Ray“ bringen Sie Licht ins Straßenniveau von städtischen Bereichen. In Metropolen mit vielen Hochhäusern bekommen die unteren Bereiche viel zu wenig Tageslicht ab. Welche Möglichkeiten gibt es, diesem Problem umfassend zu begegnen?

B. Rigby: Die alten Ägypter verwendeten auf Hochglanz polierte Reflektoren, um Licht in unterirdische Räume zu bringen. Es ist also nicht neu Sonnenlicht von oben zu „recyceln“. Kürzlich haben russische und chinesische Projekte reflektiertes Sonnenlicht verwendet, um einen künstlichen Mond zu kreieren, um so den Bedarf an Straßenbeleuchtung in der Nacht zu minimieren. In einem kleineren Maßstab auf Straßenniveau könnten wir das existierende Licht sehr viel mehr nutzen. Dies erfordert Architekten, die wirklich verstehen, wie Licht besser zu kanalisieren, reflektieren und zu kontrollieren ist. Das ermöglicht auch die Schaffung einer stärkeren emotionalen Verbindung mit der Öffentlichkeit. Es gibt natürlich generell einen großen Bedarf an intelligenten Lichtlösungen für dunkle Bereiche am Tag und in der Nacht, um städtische Gebiete sicherer zu machen.

formfaktor: Lichtkreationen haben diesen dualen Charakter. Man kann sie aus- und einschalten. Wie wichtig ist es für Sie, dass ihre Leuchten auch in ausgeschaltetem Zustand, als Objekte funktionieren?

B. Rigby: Alle unsere Designs sind auch ästhetische Objekte, die das Auge des Betrachters erfreuen (hoffen wir). Der visuelle Aspekt ist genauso wichtig, wie die Atmosphäre, die eine Produkt erzeugt. Durch die Verwendung von Materialien und Formen, mit denen man sich gerne beschäftigt, können wir dazu beitragen, eine stärker Verbindung zwischen unserem Produkt und dem Nutzer herzustellen, was dazu führt, dass es mehr verwendet wird. Aus diesem Grund kreieren wird Stücke, die eher zeitlos als modisch sind. Das hilft uns auch, wiedererkennbarer zu sein.

formfaktor: Welche Bedeutung hat der Schatten bei Lichtkreationen?

B. Rigby: Der Schatten ist essenziell, weil er dem Objekt einen Rahmen gibt und als Gegenfläche zum Licht agiert. In unserer dekorativen Keramikkollektion „Leaf“ spielen wir mit Schatten und Reflexionen, um Dramatik in den Raum zu bringen. Wenn natürliches Licht darauf fällt, ergibt das eine Reihe von dynamischen Schatten, die sich langsam mit dem Weg der Sonne durch den Tag bewegen. Außerdem können wir durch die Gestaltung von strukturierten Oberflächen strukturierte Schatten erzeugen, die mit dem reflektierten oder gebrochenen Licht interagieren. Licht und Schatten sind natürliche Partner, die oft nicht voneinander getrennt werden können.

formfaktor: Wie wichtig ist Forschung innerhalb des Designprozesses?

B. Rigby: Forschung ist alles für uns. Die einzige Möglichkeit, uns als relativ kleines Designstudio (ein Team von 25 +, Anm. d. R.) zu behaupten, ist, die Grenzen des Machbaren zu verschieben. Wir machen Hunderte von Fehlern in unserem Erkundungs- und Entdeckungsprozess (klingt etwas sexyer als F+E, nicht wahr), und diese Fehler können oft zu schönen Momenten führen, die wir für einen späteren Zeitpunkt aufheben können. Unsere Kunden kommen nicht nur zu uns, weil wir etwas liefern können, wozu andere Studios nicht fähig sind, sondern weil wir etwas Einzigartiges kreieren werden. Ohne jeden Tag zu forschen, wäre das nicht möglich.

formfaktor: Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken, gab es da Momente, wo Sie sagten: Das ist wirklich neu! Das ist eine neue Dimension! Das eröffnet eine ganz neue Art über Licht nachzudenken!?

B. Rigby: Da gab es viele! Vor 10 Jahren war eine unserer Herausforderungen, Licht hell genug zu machen. Mit moderner LED-Technologie ist das kein Thema mehr. LED-Licht zu kontrollieren erforderte damals spezielle Systeme und sehr viel Forschung, aber jetzt können Sprachen, Plattformen und die Hardware viel leichter kontrolliert werden – alles ist standardisiert. Das ermöglicht uns mehr Freiheiten für Experimente in Bezug auf die Verwendung und die Kontrolle von Farbe. Rapid Prototyping (schneller Modellbau, Anm. d. R.) hatte auch einen großen Einfluss, weil es uns erlaubte, ungewöhnlichere Formen in kleinen Chargen schnell herzustellen. Ich denke, dass dieser Prozess in den nächsten Jahren noch einen großen Einfluss auf unseren Designprozess haben wird. Wir sind auch schon sehr neugierig, wie sich das Konzept des LiFi (light fidelity – ein Verfahren der optischen Datenübertragung auf kurze Distanzen, Anm. d. R.) weiterentwickeln und wie es unsere Arbeit beeinflussen wird.

formfaktor: Wohin wird sich Lichtdesign also entwickeln?

B. Rigdy: OLEDs sind eine jüngere Innovation, die aber in der Anwendung noch zu unflexibel ist. Allgemein denke ich, dass es eine wachsende Dringlichkeit im Hinblick darauf gibt, weniger Energie zu verbrauchen. Um unseren Planeten zu retten, müssen wir unseren Zugang zu Lichtdesign und was wir davon erwarten ändern. Durch immer intelligentere, integrierte Kontrollsysteme können die Menschen wählen, wie sie mir ihrer Umgebung interagieren wollen. Das bedeutet, dass unsere Zukunft in gewisser Weise von einer demokratischen Reaktion der Leute bestimmt wird – was ich sehr befürworte. Es wird also wichtig sein, die Menschen aufzuklären, was Licht für sie tun kann und wann Licht nicht notwendig ist, damit wir alle zusammen daran arbeiten können nachhaltigere, ansprechendere Räume zum Leben und Arbeiten zu schaffen.

formfaktor: Eine letzte Frage noch. Wie kamen Sie auf den Namen Haberdashery?

B. Rigby: Das werden wir oft gefragt (lacht). Als ich meinen Mitgründer Mac Cox traf, hieß sein Atelierraum Haberdashery, benannt nach der Haberdashery Straße in Shoreditch, London. Als wir dann in neue Räumlichkeiten umgezogen sind, haben wir diesen Namen behalten und offiziell gemacht, weil wir ihn einfach mochten. Ein Haberdashery (Kurzwarengeschäft) war ursprünglich ein Geschäft für alle möglichen Materialien und nicht nur Nähartikel. Erst in den USA wurde das Wort eingegrenzt und erhielt seine jetzige Bedeutung. Wir mögen die Idee, dass wir unser Denken durch jedes Material, jede Form oder jeden Prozess übermitteln können. Dieses One-Stop-Shop-Prinzip in Bezug auf Licht schien mit der ursprünglichen Bedeutung des Worts – die mit der Zeit verloren ging – zu harmonieren.

Danke für das Interview!

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