Home Design Austria Frag das Material, was es sein will – kollektiv plus zwei im Gespräch

Frag das Material, was es sein will – kollektiv plus zwei im Gespräch

von Markus Schraml
kollektiv plus zwei

Für den Designwettbewerb Rado Star Prize Austria lädt der bekannte Schweizer Uhrenhersteller junge Designer*innen ein, sich mit einem bestimmten Thema auseinanderzusetzen. Für die Ausgabe 2019 lautete die Vorgabe „Master of Materials“. Den Anfang machte das in Wien ansässige Designstudio kollektiv plus zwei von Stefanie Högl und Matthias Borowski mit ihrem Projekt „Dialog mit dem Material“. Dabei bearbeitet eine rotierende Feile kontinuierlich einen Materialblock und dringt von der Oberfläche immer tiefer ins Material ein. Eine Metapher für eine Gesellschaft, die die Dinge allzu oberflächlich betrachtet und sich kaum die Zeit nimmt, genauer hinzusehen. Das Designerduo hat ein besonderes Faible für Materialien und arbeitet gerne konzeptionell sowie experimentell. Ein wichtiges Ziel, das die Beiden mit ihren Möbelentwürfen und Objekten verfolgen, ist, die sinnliche Wahrnehmbarkeit und Erfahrbarkeit zu forcieren. formfaktor hat Stefanie Högl und Matthias Borowski zum Interview in Wien getroffen und mit den beiden über Herstellungsprozesse, Süßigkeiten und die Wichtigkeit von internen Diskussionen gesprochen.

formfaktor: Wie wurde das Projekt für den Rado Star Prize von Euch entwickelt?

Stefanie Högl: Man muss es eigentlich sehen, denn der Clou ist, dass sich der Startpunkt und der Endpunkt schon deutlich unterscheiden. Zu diesem Thema „Master of Materials“ ein Projekt zu entwickeln, war für uns nicht so schwierig, weil für uns das Material immer der Ausgangspunkt in jedem Projekt, an dem wir arbeiten, ist. Was wir zeigen wollten, ist: „Beschäftige Dich mit den Materialien, dann wirst Du sie besser verstehen und es wird sich in Deinem Kunstwerk, in Deinem Produkt widerspiegeln.“ Es muss eine Auseinandersetzung stattfinden. Deswegen gibt es die Feile, die so langsam im Kreis rotiert und quasi sagt: Es braucht Zeit. Es braucht Geduld, um zu verstehen, was das Material kann. Das ist die Metapher.

formfaktor: Was ist die Faszination an Materialien und an immer wieder neuen Materialien, mit denen man als Designer zu tun hat?

Matthias Borowski: Die Faszination ist eigentlich die sinnliche Wahrnehmung. Es reizt uns, damit zu spielen und Materialien zu entwickeln, die darauf eingehen. Bzw. nicht Materialien entwickeln, sondern Materialien kombinieren und auf eine bestimmte Art und Weise darstellen.

Stefanie: Was auch ein wichtiger Punkt für uns ist: Wenn die sinnliche Komponente stimmt, dann bedeutet das im gleichen Moment, Du hast eine engere Bindung, einen engeren Bezug zu diesem Objekt. Was dazu führt, dass Du es wahrscheinlich länger in Deinem Leben haben wirst, was es wiederum nachhaltiger macht. Also wenn Du eine Beziehung zu den Objekten, zu den Dingen hast, mit denen Du Dich umgibst, schätzt Du sie mehr wert und wirst sie auch länger in Deinem Leben behalten.

formfaktor: Design findet Lösungen! Würdet Ihr dieser Aussage zustimmen?

Stefanie: Auf jeden Fall.

Matthias: Sehr stark. Es ist schon unser Verständnis als Designer, dass wir Dinge, Ideen umsetzen wollen. Um diese Ideen umsetzen zu können, muss man Lösungen finden.

formfaktor: kollektiv plus zwei ist bekannt für Objekte, die stark an Süßigkeiten erinnern. Auch die Namen BONBON, NOUGAT oder Silicone Sweets sind so gewählt. Was begeistert Euch an Süßigkeiten? Und wie steht dieser Look im Verhältnis zum verwendeten Material?

Stefanie: Dem ging die Beobachtung voraus, dass wir sahen, Küchen und Werkstätten funktionieren eigentlich total gleich – vom Prinzip her.

Matthias: Zum Beispiel Nudeln. Das sind auch nur Extrusionsteile – das Material ist kein Kunststoff, kein Aluminium, sondern ein Teig. Aber es ist eine Matrize, wo irgendetwas durchgedruckt wird, also ein Spritzgussteil. Es ist einfach eine Methode. Das heißt, bestimmte Methoden sind in einen anderen Kontext übersetzt. Es ist ein anderes Material, aber die Verarbeitung ist eine sehr ähnliche. [perfectpullquote align=”right” bordertop=”false” cite=”” link=”” color=”” class=”” size=””]Der Preis eines Materials reflektiert nicht seinen Wert. kollektiv plus zwei [/perfectpullquote]Wenn man Plätzchen macht, dann gibt es Stanzteile. Man hat diese kleinen Formen und da wird ausgestanzt. Und im industriellen Bereich wird irgendein Blech gestanzt. Wenn man jetzt den Unterschied nicht schmecken würde, könnte man meinen, es ist das Gleiche. (lacht) Wenn man Süßigkeiten in der Industrie anschaut – so wie Lakritz-Teile gemacht werden. Das ist superindustriell und die haben ja keine anderen Verfahren. Deshalb finden wir das sehr reizvoll, diese Ästhetik zu übertragen und zu sagen: „He, guck mal, das ist eigentlich sehr nah“ – um den Betrachter darauf hinzuweisen. Deshalb haben wir die BONBONs gemacht. Die sind auch nur Gussteile.

formfaktor: Die BONBONs sehen ziemlich einmalig aus. Wie funktioniert der Herstellungsprozess?

Stefanie: Ja, die sind einmalig.

Matthias: Es ist ein Gießharz, das in Schichten gegossen und eingefärbt wird.

fomfaktor: Inwiefern ist das endgültige Aussehen überhaupt bestimmbar? Gibt es hier Komponenten, die nicht bestimmbar sind?

Stefanie: Ja, die gibt es. Es spielt schon mal eine große Rolle, zu welcher Jahreszeit wir diese Objekte herstellen. Das beeinflusst den Prozess enorm. Wie schnell sie aushärten und wie dadurch die Farben bestimmt werden. Die Dicke der Schichten bestimmt auch die Farben. Der Erhitzungsprozess färbt sozusagen immer ein bisschen mit. Dünnes Pink wird intensiver sein als dickes Pink – von der Schicht her. Also wir können es ungefähr annehmen, aber wir können es nicht zu 100 % bestimmen.

formfaktor: Dieses Unbestimmbare ist – nehme ich an – gewollt? Das macht die einzelnen Objekte ja zu Unikaten.

Matthias: Die Wolken zum Beispiel, die so ineinander sind, die kann man nur ähnlich reproduzieren, aber man wird es nie genau gleich hinbekommen. Und das ist schon bewusst so gemacht. Wir wollten einen Prozess drinnen haben, denn wir gar nicht kontrollieren können. Man gießt etwas hier hinein und da hinein, aber wir können nicht vorhersagen, wie es dann rauskommt.

Stefanie: Den Kunden, die das bestellen, ist das auch bewusst, weil wir das so kommunizieren, dass wir etwas ähnliches herstellen, aber dass sie ein Unikat bekommen.

formfaktor: Dagegen sind ja die Silicone Sweets sehr genau. Da gibt es nichts Zufälliges.

Matthias: Nein, die sind sehr genau. Es ist auch ein anderes Material – Silikon. Wobei die Dildo-Macherin, stellt sie ja von Hand her. Sie sind handbemalt und deshalb auch nicht ganz genau gleich. Es wird ein Rohling gegossen, der eine Farbe hat und dann wird er zusätzlich mit der Hand bemalt.

formfaktor: Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Stefanie: Die Dildo-Macherin kommt aus Dresden und wir haben uns dort über Bekannte einmal getroffen und haben erzählt, was wir so machen. Wir fanden sie immer schon spannend. Dann kam irgendwann diese Süßigkeiten-Idee, weil sie hatte schon Gemüse in ihrem Sortiment: Bananen, Melanzani, Zucchini, Spargel. Wir haben dann gesagt: „Da müsstest Du noch irgendeinen süßen Nachtisch ins Sortiment bringen.“ Von dieser Idee war sie ziemlich schnell begeistert und so kam es zur Zusammenarbeit.

formfaktor: Welche Rolle spielt Humor in Euren Arbeiten? Und warum ist der wichtig?

Stefanie: Zum einen sind wir – nun, ja, das ist schwer, von sich selbst zu sagen, man wäre eine humorvolle Person – aber eigentlich betrachten wir schon viele Dinge mit Humor im Alltag. Deshalb spielt es auch in der Arbeit eine Rolle. Humor in dem Sinne, dass man sich und seine Arbeit nicht zu ernst nimmt …

Matthias: …wobei ich das immer ein bisschen schwierig finde, nur weil man jetzt Dildos macht, die wie Süßigkeiten aussehen. Es ist schon ein ernst zu nehmendes Produkt. Aber man muss sich mit diesen Dingen auseinandersetzen. Dass man es überspitzt darstellt, macht es vielleicht ein bisschen lustig. Aber ich finde es nicht so lustig wie das Viele sehen.

Stefanie: Lustig ist das falsche Wort. Humorvoll.

formfaktor: Es hat Witz.

Matthias: Ja, stimmt. Es hat Witz. Da spielt ja auch unser Anspruch der sinnlichen Wahrnehmung hinein und es ist uns einfach ein Anliegen, dass auch umzusetzen. Und zwar mit gestalterischem Anspruch. Und das finde ich schon sehr ernst. Ich nehme das sehr ernst.

formfaktor: Essen ist auch etwas sehr Sinnliches, das in Eurer Arbeit eine nicht unwichtige Rolle spielt.

Stefanie: Mal davon abgesehen, dass wir beide sehr gerne kochen, finden wir es sehr cool, wie vielschichtig die Wahrnehmung von Essen ist. Es muss gut aussehen, es muss gut schmecken, es muss sich gut anfühlen. Unser Plädoyer ist immer, dass wir diese Dinge als Designer noch mehr berücksichtigen.

[perfectpullquote align=”right” bordertop=”false” cite=”” link=”” color=”” class=”” size=””]Es gibt immer ein besseres Material. kollektiv plus zwei[/perfectpullquote]

Matthias: Wir haben festgestellt, dass viel nur mehr am Rechner gestaltet wird. Man sitzt vorm Rechner und entwirft irgendetwas. Da spürt man die Materialien nicht, man hat relativ wenig mit dem Herstellungsprozess zu tun – man gestaltet es formal, aber nicht auf dieser sinnlich-wahrnehmbaren Ebene. Man steht nicht in der Werkstatt und experimentiert, macht Versuche. Das ist unser aber wichtig, dass man durch das Experimentieren, die Versuche mit Materialkombinationen, wo man herausfindet, was ist daran spannend. Und solche Kombinationen wird man am PC schwer entdecken können. Mit einem CAD-Programm kann man nicht dieses Material mit jenem mischen oder durchsägen und schauen, wie es aussieht und anfassen.

formfaktor: Der handwerkliche Aspekt, das Machen ist wichtig?

Stefanie: Für uns schon, aber ich glaub nicht für jeden Designer. Ich kenne schon viele, die den Großteil ihrer Zeit am PC verbringen und erst in einem relativ späten Stadium beginnen, Prototypen aus dem Material zu bauen. Es ist in deren Augen, eine Effizienzsache.

formfaktor: Apropos Prototypen. Mit 3D-Technik können sehr schnell Prototypen hergestellt werden. Eine Erleichterung?

Matthias: Schon. Wir drucken auch viel, aber für viele Designer, die nur am PC arbeiten ist es logisch dann 3D zu drucken. Weil man dort die Daten schon hat, dann ist das ein Ablauf. Man entwickelt etwas, kann es skalieren, kann es drucken und dann hat man das Modell. Aber man könnte auch ins Studio gehen, sich aus Schaumstoff einen Stuhl schnitzen und man hätte auch das Modell. Es ist einfach ein anderer Ablauf. Aber auf diese Weise Prototypen zu machen, wird immer weniger.

formfaktor: Allerdings bei der Leuchte „Inside out“ spielt die 3D-Technologie dann doch auch bei Euch eine starke Rolle.

Matthias: Bei „Inside out“ geht es uns darum, dass die Stützmaterialien im Objekt eigentlich immer versteckt sind. Sie sind teil des Fertigungsprozesses, der nicht sichtbar ist. Wir haben gesagt: „Das ist so schön, dass wir das zeigen wollen“. Dieses Projekt spielt mit dem Herstellungsprozess, kann man sagen.

formfaktor: In einem Experiment habt Ihr erforscht und gezeigt, wie aus Abfall innovative, zeitgemäße Möbel entstehen können. Wie stuft Ihr dieses Projekt im Nachhinein ein? Ging es einfach darum, zu zeigen, dass es möglich ist?

Matthias: Das war die Bachelor-Thesis. Dort sind wir mit der These gestartet, dass Abfall falsches Material zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Das war unsere Ausgangsthese. Wenn wir diese Parameter korrigieren können, dann gibt es keinen Abfall mehr. Um diese These zu beweisen, haben wir dann verschiedene Lösungsansätze angeboten. Wir waren viel bei Firmen und haben dort geschaut, was so an Abfall anfällt. Dabei haben wir festgestellt, dass der meiste Müll in der Produktion anfällt. Der Vorteil ist nur, dass er dort schon sortenrein gesammelt wird und dass die damit, weil er verkauft wird, Geld verdienen. Es gibt aber auch Problemstoffe, wie etwa die Heißprägefolie – das ist zum Beispiel die Goldprägeschrift auf Schokoladeverpackungen. [perfectpullquote align=”right” bordertop=”false” cite=”” link=”” color=”” class=”” size=””]Jedes Material stimuliert die Sinne. kollektiv plus zwei[/perfectpullquote]Oder bei der Herstellung von Zement fällt unglaublich viel CO2 an und es gibt ja schon Ansätze, die versuchen die Zementherstellung CO2-neutral zu machen. Da gibt es viele Projekte. Aber für uns ist ja die Frage, wie wir zwei als Gestalter hier eingreifen können. Wir können nur einen kleinen Teil in unserem Bereich leisten. Zu diesem Experiment gab es dann auch eine wissenschaftliche Arbeit und wir waren Teil einer Ausstellung auf der MS-Wissenschaft. Durch Bewusstseinsbildung können wir zumindest einen Teil beitragen. Aber wir können jetzt noch nicht, wer weiß, vielleicht haben wir irgendwann die Möglichkeit, zu einem großen Unternehmen zu sagen, wir müssen euren Produktionsprozess umstellen. Ich weiß nicht, ob ich das haben möchte, aber es wäre gut, wenn man das machen könnte.

formfaktor: Was ist die größte Herausforderung für junge Designer, wenn man beginnt?

Stefanie: Durchhalten. Sich nicht zu schnell entmutigen lassen.

Matthias: Ich denke schon, dass man an den Dingen festhalten muss, die man wirklich machen möchte. Das ist aber auch sehr schwierig herauszufinden, was man den selber wirklich machen möchte. Das finde ich die schwierigste Frage.

Stefanie: Und sich dann auch frei vom Studium zu machen, weil das ist schon eine prägende Zeit und jede Schule hat ihre Weltanschauung. Das eigene Interesse, der eigene Stil kommt mit der Zeit, je mehr man sich damit beschäftigt. Und diese Phase nach dem Studium ist sehr hart, wo man lernen muss auf eigenen Beinen zu stehen.

formfaktor: In der Designbranche gibt es enorm viele Duos, viele davon sind auch privat zusammen. Hat das mit der Branche zu tun, dass man Privates und die Arbeit gut verbinden kann?

Stefanie: Es ist schon mehr als ein Job für uns. Es ist eine Lebenseinstellung. Wir versuchen schon, Berufliches überwiegend im Atelier zu halten und Privates zu Hause, aber es vermischt sich trotzdem. Wenn Du jetzt zu Hause beim Abendessen eine coole Idee hast, dann wirst Du sie trotzdem besprechen.

formfaktor: Wie funktioniert der Arbeitsprozess zwischen Euch? Wie kann man sich den vorstellen?

Stefanie: (lacht) Es ist schon viel diskutieren, viel kritisieren, aber dann auch ab einem gewissen Punkt wieder am gleichen Strang ziehen und einfach gemeinsam umsetzen.

Matthias: Es versucht jeder immer mit seiner Idee recht zu haben. Das ist halt so. Man hat eine Idee, ist davon überzeugt und dann muss man den anderen überzeugen, warum das jetzt gut ist oder warum man es jetzt so machen soll und dann ist es eben eine ständige Diskussion. Das ist auch gut so. Unterschiedliche Ansichten sind nicht immer einfach, aber es ist notwendig. Wenn wir bei der ersten Idee gleicher Meinung sind, sollten wir das auch hinterfragen.

formfaktor: Welche zukünftigen Projekte gibt es bei kollektiv plus zwei?

Matthias: Wir wollen auf jeden Fall die Rado-Geschichte ausbauen. Uns gefällt die Idee des rotierenden Schleifmittels. Da werden wir dranbleiben. Das wird noch ausgefeilter sein. (lacht)

formfaktor: Das musste jetzt sein

Matthias: Ja, das musste sein. Und bei „Importance of the Obvious“, also bei BONBON, Nougat usw. da haben wir ein paar Sachen, die wir umsetzen wollen. Das Essensthema, die Verknüpfung Werkstatt / Küche, da werden noch einige Dinge kommen.

Danke für das Gespräch!

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