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Design mit Verantwortung – Vienna Design Week 2020

von Markus Schraml
Reform Standard, MAK

Im Jahr 2020 war auch bei der Vienna Design Week vieles anders. Aus den bekannten Gründen musste das Programm zum Teil in den virtuellen Raum verlegt werden, einige Talks konnten nicht stattfinden und Besucher*innen mussten strengen Vorsichtsmaßnahmen folgen. Es gelang dem Team um Lilli Hollein dennoch in weiten Teilen ein gewohnt spannendes Programm zu bieten. Beginnend bei den Beiträgen zur Schiene „Urban Food & Design“, die 2020 unter dem Motto „The New Local“ stand (hier geht es zum formfaktor-Beitrag über den Wettbewerb), bis zur Ausstellung DESIGN EVERYDAY mit Projekten von Andrea Lenardin, Celia-Hannes, Clemens Auer, dottings Industrial Design, EOOS, Inseq Design, Kerstin Pfleger, LUCY.D, Lukas Klingsbichel, Klemens Schillinger, MARCH GUT, Mischer‘traxler studio, MO-NI-KA, Peter Paulhart, Rainer Mutsch, Sandra Holzer, studio högl borowski, Studio Sain und Thomas Feichtner. Gutes Design für den alltäglichen Gebrauch soll nicht nur schön sein, sondern vor allem die Benutzung erleichtern. Dabei erhöhen gestalterische Innovationen auch die Wettbewerbsfähigkeit von Produkten. Interessante Einzelpräsentationen wie das „Möbel zum Anlehnen“ von Walter Grill wurden ergänzt durch entdeckungsreiche Touren sowie Talks zu Themen wie Speculative Activism, über Status und Zukunft von spekulativem Design oder die Chancen von Baulücken, Brachen und Leerstellen innerhalb der Stadtlandschaft.

Im Zentrum der Festivalzentrale im Amtshaus Theresienbadgasse im 12. Wiener Bezirk, dem diesjährigen Fokusbezirk der VDW war die Ausstellung des Gastlandes Schweiz zu sehen. Unter dem Titel „DESIGN SWITZERLAND“ hatte Kurator Michel Hueter junges innovatives Design aus seiner Heimat versammelt. Seine Wahl fiel auf neun junge Studios / Start-ups, die alle einen innovativen Ansatz im Design verfolgen. Von Typografie, die reagiert, über intelligente Textilien bis hin zu speziellen Datenvisualisierungen reichte die Palette. Die Ausstellung wurde in Kooperation mit der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und dem Design Preis Schweiz organisiert. Ein weiterer schweizerischer Schwerpunkt war die SWISS CRAFTLAB-Schau, ein Gemeinschaftsprojekt der Galerien NOV und Okro. Diese Ost-/Westschweizer Verbindung fokussierte auf eine interessante Neuinterpretation von Handwerk. Überlieferte Techniken und traditionelle Materialien werden verwendet, um neue, zeitgemäße Ästhetiken zu schaffen.

Einige Projekte und Installationen nahmen direkt Bezug auf die Coronavirus-Krise. So zeigten Anna Zimmerman und Nadja Zerunian neun handgefertigte Objekte aus Bronze, Stein und Glas unter dem Titel „Souvenirs of Loneliness – Collaboration in Isolation“. Die Objekte sind Erinnerungsstücke eines Gefühls, des Gefühls der Einsamkeit. Einen etwas positiveren Beitrag lieferten Marie Schumann, Lisa Marleen Mantel und Matthias Rosenthal mit ihrer Installation „Breathing Softspace“. Das multidisziplinäre schweizerisch-deutsche Kollektiv will den Raum zum Atmen bringen. Mittels gewobener Textilien wurde Besucher*innen das Gefühl von Dimensionalität vermittelt. Eine Idee, die ganz der „neuen Normalität“ entspricht, kam vom Linzer Designstudio MARCH GUT. Christoph March und Marek Gut fuhren mit ihrem Road Studio durch Wien und zeigten bei verschiedenen Kooperationspartnern ihre jüngsten Arbeiten, wie etwa die flexiblen Möbel für die Grande Garage in der Tabakfabrik Linz. Praktisch, dass diese Entwürfe schnell auf- und wieder abbaubar sind. (hier der Artikel über MARCH GUT inkl. Interview)

Ein Höhepunkt der Vienna Design Week war einmal mehr die MAK DESIGN NITE. Die Programmierung des Museums für Angewandte Kunst forciert schon seit einigen Monaten das Thema „Design und Klimakrise“. Konsequenterweise stand auch dieses Special unter dem Motto: „ZERO WASTE – CIRCULAR DESIGN“. Zum Auftakt sprachen Abfallexpert*innen in einer Paneldiskussion über Müllvermeidung und Recycling. Helene Pattermann (Gründerin von Zero Waste Austria), Raphael Volkmer von Precious Plastic Vienna und Florian Mikl (Plasticpreneur) erläuterten ihre Initiativen und Produktinnovationen zur smarten Verwertung von Plastikabfällen. Alle Diskutanten waren sich einig, dass das Wichtigste beim Thema Abfall die Vermeidung sei. Um die schiere Menge an Verpackungsmüll zu verhindern, kann jeder/jede Einzelne aktiv werden. Auch in Wien gibt es bereits einige Läden, die das Einkaufen ohne Verpackung anbieten. Helene Pattermann meinte allerdings, dass sich engagierte Menschen bisher immer noch auf die Suche nach solchen Geschäften machen müssten. Um Abfallvermeidung wirklich erfolgreich umzusetzen, müsse es viel leichter gemacht werden, verpackungsfrei einkaufen zu können.

Mit auf dem Podium war auch Chien-hua Huang, Architekt und Designer, der mit seiner Ausstellung „Reform Standard“ die dritte Pop-up-Schau im Rahmen der Reihe CREATIVE CLIMATE CARE im MAK bestritt. Seine Theorie erklärt Künstliche Intelligenz zum Hoffnungsträger für eine kreislauffähige Abfallwirtschaft. Ein durch Machine Learning gesteuerter Suchprozess könnte Abfälle in potenzielle Ressourcen verwandeln. Chien-hua Huang setzt bei der Standardisierung an. „Ein gewisses Maß an Flexibilität in der Normung, ein Gegenprozess, die ‚Entnormung‘ mittels Künstlicher Intelligenz würde einen alternativen Workflow ermöglichen, der letztlich eine kreislauffähige Abfallwirtschaft umsetzbar machen könnte“, meint der Designer. Im gleichnamigen Forschungsprojekt hat Huang einen maschinell gesteuerten Suchalgorithmus entwickelt, der neue Strukturen entwirft, unregelmäßige Kunststoffstücke werden in eine neue Form transformiert. Hier werden also Abfälle nicht in einem energieintensiven Prozess recycelt, sondern eine neue maschinenorientierte Ästhetik gefunden.

Das Problem des hohen Energieverbrauchs beim Material-Recycling wurde auch im Zuge des Architektur-Symposiums „Circular Strategies“, das von der Universität für angewandte Kunst Wien gemeinsam mit der Vienna Design Week veranstaltet wurde, angesprochen. Reuse sei der weitaus sinnvollere Weg im Bauwesen und nicht das Recyceln. Stichwort: Urban Mining. (hier geht es zum Artikel über das „Circular Strategies“-Symposium)

Die Beiträge der Vienna Design Week zeigten – ganz abgesehen von der erschwerten Ausgangssituation für die Organisator*innen – dass sich die Design-Community immer klarer und stärker auf die drängendsten Probleme der Gegenwart fokussiert. Klimawandel, Ressourcenverbrauch, Plastikmüll, Wassermangel, Biodiversitätsverlust werden thematisiert und oft mithilfe von Technologie in nachhaltige Lösungsansätze gegossen. Wie schon bei der Helsinki Design Week oder dem London Design Festival zu beobachten war, haben Designer*innen die Zeichen der Zeit verstanden und wollen verantwortungsbewusst handeln. Dabei wird eine ihrer zukünftigen Hauptaufgaben sein, intensive Überzeugungsarbeit bei Auftraggeber*innen zu leisten.


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