Die rasante digitale Entwicklung hat die Arbeitswelt verändert. Wie und wo wir arbeiten, sieht in manchen Branchen ganz anders aus als noch vor 10 Jahren. Bürokonzepte stellen immer mehr den Menschen ins Zentrum ihrer Überlegungen, denn es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass gesunde, motivierte Mitarbeiter leistungsfähiger sind. Diese – auf den ersten Blick – Allerweltserkenntnis bringt es durch die Fokussierung auf den Menschen mit sich, dass Unternehmenskulturen sich verändert haben. Bei Weitem nicht überall, aber merklich. Das wichtig gewordene Thema Ergonomie zum Beispiel spiegelt die Einsicht wider, dass sitzende Tätigkeiten ungesund sind. Möglichkeiten die Arbeitsposition zu wechseln und für mehr Bewegung im Büro zu sorgen sind en vogue. Die Bedeutung der informellen Zonen in Großraumbüros hat zugenommen – dort wird relaxt, locker kommuniziert und die sozialen Kontakte innerhalb des Unternehmens oder der Abteilung intensiviert. Wie es die großen Internetkonzerne schon seit langem vormachen, dient die fast spielplatz-ähnliche Innenraumgestaltung der Identitätsstiftung und der Vertiefung der Beziehung zwischen Mitarbeiter*innen und Unternehmen. Im Idealfall muss dann der Vorgesetzte nichts mehr fordern, die Mitarbeiterin gibt es freiwillig und im Übermaß, weil es hier so toll ist.
Superflexibel und identitätsstiftend
Alle Büromöbelhersteller müssen sich am Puls der Zeit bewegen und kommende Entwicklungen antizipieren. Deshalb wird viel in Trendforschung investiert, werden Strategien und Konzepte erstellt, die moderne Arbeitsplatzsituationen auf vielfältige Weise vorausschauend erklären wollen. Passende Möbelsysteme zum neuesten Stand der Forschung wurden auf der jüngsten Orgatec in Köln in großer Zahl präsentiert. Unter dem Titel „Work“ etwa stellte Vitra drei beispielhafte Büroszenarien vor, die unterschiedliche Anforderungen des zeitgenössischen Arbeitslebens unterstützen. Mit Barber & Osgerby, Konstantin Grcic und Sevil Peach beauftragte das Schweizer Unternehmen Designerpersönlichkeiten, die auf Fragen nach Flexibilität, Coworking oder zeitgemäßer Büroraumgestaltung ganz eigene Antworten auf den Weg gebracht haben. Edward Barber und Jay Osgerby beschäftigen sich in ihrem „Shared Office“ mit dem Verschwimmen von Büro und öffentlichem Raum. „Die Regeln der formellen Arbeit lösen sich auf, egal wo und wie man arbeitet, nicht selten in Hotellobbys und Cafés“, sagt Edward Barber und Jay Osgerby ergänzt: „Somit ist auch der klassische Schreibtisch nicht mehr Mittelpunkt des Arbeitens: Sein Archetyp verschwindet.“ Statt dem Schreibtisch sehen die beiden Briten das Sofa als neues Zentrum des Arbeitens. Mit Strom, Tischen und Bildschirmen ausgestattet, bildet es eine Plattform, um die herum sich der Arbeitstag abspielt.
Konstantin Grcic stellt mit seinem „Superflexible Office“ ein Büro vor, das von den Nutzern selbst leicht umgebaut werden kann. Die Herausforderung in diesem Konzept ist es, bei aller Flexibilität dennoch Identität zu schaffen und zu wahren. „Die Idee ist die eines leeren Raums, der jederzeit für neue Zwecke umgestaltet oder zurück in seine Ausgangslage gebracht werden kann. Ich finde es äußerst interessant, etwas nicht abschließend einzurichten. Eine gute Analogie dazu könnten Turnhallen sein, die für eine Vielzahl von Sportarten und Aktivitäten konfigurierbar sind“.
Um Identität und deren Schaffung mithilfe von Architektur, Raumgestaltung, Materialien und Möbel geht es im „Company Home“ von Sevil Peach. Der Entwurf der britischen Designerin zeigt, wie sich ein modernes Headquarter über die traditionellen Bürogrenzen hinaus in den städtischen Bereich ausdehnt. Dadurch werden die Werte des Unternehmens in die Umgebung transportiert und so eine emotionale Verbindung mit der Stadt hergestellt. „Bei der Konzeption von Büroprojekten ist es wichtig, den Spirit des Unternehmens einzufangen. Ist das einmal geschafft, kommt gutes Design fast von alleine“, meint Peach. Nora Fehlbaum, CEO von Vitra, sagt zu den Veränderungen in der Arbeitswelt: „Wir sehen heute Menschen überall dort arbeiten, wo sie gerade sind – in Hotellobbys, auf Flughäfen, in Cafés, am Strand oder in einem Zug zwischen A und B. Diese Entwicklungen verwandeln den öffentlichen Raum mehr und mehr in einen produktiven Arbeitsort.“ Diese Beobachtung trifft auf einen Teil der arbeitenden Menschheit sicher zu, aber nur in Branchen, die nicht stark ortsgebunden arbeiten müssen und nur für Mitarbeiter*innen in bestimmten Positionen.
Smarter arbeiten mit IoT
Bürospezialist Sedus und die Kapsch BusinessCom AG arbeiten gemeinsam an einem digitalen Analysewerkzeug zur optimalen Büro- und Arbeitsplatznutzung. 2016 wurde se:connects erstmals vorgestellt und danach kontinuierlich weiterentwickelt. Mithilfe einer App in Kombination mit intelligenter IoT-Sensorik werden innovative Lösungen für das Management von Arbeitsplätzen in Smart-Working-Umgebungen geboten. Konkret funktioniert das so: Die Mitarbeiter*innen suchen sich ihren Arbeitsplatz je nach Aufgabe oder Präferenz aus, Schreibtische und Stühle erfassen über Sensoren die Präsenz ihrer Nutzer und Facility-Manager erhalten anonymisierte Daten, die zu effizienter Flächennutzung und -gestaltung verwendet werden können. Jochen Borenich, Vorstand der Kapsch BusinessCom AG: „Vom Sensor an Stuhl und Tisch über IoT-Gateway Module bis zur Cloud-Plattform und der dazugehörigen Datenanalyse inklusive Dashboard und mobiler Applikation kommt hier alles von Kapsch.“ Beide Partner sehen das Smart Office als Büro der Zukunft. Der Vorstandssprecher der Sedus Stoll AG, Holger Jahnke erklärt: „Unsere Mobile-App se:connects ist ein wichtiger Baustein der modernen Gebäudetechnik und in der nahen Zukunft, davon bin ich überzeugt, wird es nur noch ‚die eine App für alles‘ geben. Mit den Spezialisten von Kapsch haben wir einen kompetenten und innovativen Partner gefunden, der hersteller- und systemunabhängige Lösungen bietet. Vor allem internationale Großkunden mit extrem verschachtelten und komplexen IT-Strukturen erwarten einfache und perfekt funktionierende IoT-Lösungen.“ Auf dem Orgatec-Messestand war zu sehen, wie Applikationen, Medientechnik und Videokonferenzsysteme anwenderfreundlich und umfassend genutzt werden können. Jahnke: „Der IoT-Markt wird sich rasant weiterentwickeln und uns alle noch engmaschiger vernetzen. Was für wenige noch nach ‚Big Brother‘ klingt, wird für die Mehrheit Vorteile und Nutzen bringen. Aus meiner Sicht wird die intelligente Vernetzung zur Kernfunktion von Produkten und Dienstleistungsangeboten wie z. B. nutzungsbasierte Abrechnungsmodelle … Als Neil Armstrong im Jahr 1969 als erster Mensch den Mond betrat, wusste keiner so recht, was er da eigentlich sollte. In erster Linie ging es um den Beweis, dass es technisch überhaupt machbar ist. Wenn wir bei diesem Beispiel bleiben, sind wir von Sedus und Kapsch gerade unterwegs zum Mars, um den Beweis für die Machbarkeit des Smart Office anzutreten.“
The Future Office
Die Integration von Hightech wird zwangsläufig auch in den Büros und anderen Arbeitsplätzen immer weiter fortschreiten. Entscheidend ist die Frage, ob die Technologie den arbeitenden Menschen vor sich her treibt, oder ob sie sinnvoll in den Dienst des Menschen gestellt wird. In diesem Spannungsfeld sind gut durchdachte Konzepte notwendig. Der italienische Bürospezialist DVO präsentierte auf der Orgatec nicht nur neue Möbel, sondern auch die Ergebnisse von Workshops, die in Kooperation mit zwei Universitäten durchgeführt wurden. Das Thema für die Studenten*innen der Iuav Universität Venedig (Studiengang Industriedesign und Multimedia sowie Masterstudiengang Design) und der Scuola Italiana di Design in Padua lautete „The Future Office“. Die Quintessenz der beiden Workshops ist – der Mensch und sein Freiraum. „Die Ergebnisse der Recherchen zeigen, dass die Idee eines Büros der Zukunft zunehmend eine wohnliche Dimension annehmen wird und die Projekte sich immer mehr am Wohnen und an der Natur orientieren werden. Der Arbeitsplatz wird einladend sein, und in der Lage, die Ruhe zu bieten, die man normalerweise zu Hause genießt. Das führt mit Sicherheit zu einer Verbesserung der Produktivität und des allgemeinen Wohlbefindens“, ist Enzo Berti, Art Director von DVO überzeugt. Die Erkenntnisse aus diesen Workshops werden den zukünftigen Weg und die Designs von DVO beeinflussen, vor allem im Hinblick auf neue Systeme, die zu vielseitigen Einrichtungskollektionen führen sollen, deren Funktionsreichtum nicht unbedingt mit der Arbeitsleistung, sondern etwa auch mit der Freizeit verknüpft ist.
Einen weiteren Bericht über die diesjährige Orgatec gibt es hier.