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Propaganda für eine Vision – Chinesische Plakate der Mao-Zeit

von Markus Schraml
Chinese Propaganda Posters

Das Wort Propaganda bezeichnet eine Art Werbung, die jedoch nicht ein Produkt einseitig bewirbt, sondern Weltanschauungen. Die manipulative Machart von Werbung wird in der westlichen Welt weithin akzeptiert, politische Manipulation hingegen ist verpönt, gleichwohl passiert sie jeden Tag – vor allem in jüngster Zeit. Die klassische politische Propaganda kam in der Vergangenheit – aus westlicher Sicht – vorrangig in kommunistischen Systemen vor. Bildliche Darstellungen spielten dabei eine wesentliche Rolle. So waren die Plakate in der Volksrepublik China zwischen 1949 bis in die frühen 1980er-Jahre eines der wichtigsten Mittel, um die Ideen des Kommunismus unters Volk zu bringen.

Die Neuauflage des Buches „Chinese Propaganda Posters“, das im Taschen-Verlag erschienen ist, gibt einen wissenswerten Einblick in Schlüsselwerke der chinesischen Propagandaplakate aus der umfangreichen Sammlung Max Gottschalks. Wie in der Propaganda üblich, dienen die farbenfrohen, ausdrucksstarken Darstellungen einem einzigen Zweck – die Vision eines revolutionären, kommunistischen Chinas abzubilden und zu verbreiten. Strahlende Gesichter in braun-rötlicher Hautfarbe und mit blitz-weißen Zahnreihen bevölkern diese Plakate. Soldaten, Jugendliche, Kinder, vor allem aber Bauern und Arbeiter werden gezeigt, denn China musste nach dem 2. Weltkrieg und chinesischen Bürgerkrieg (1945-1949) enorme Anstrengungen vor allem in der Lebensmittelproduktion unternehmen, um eine Katastrophe zu verhindern. Unter der Führung des allseits verehrten Mao Zedong, der auf sehr vielen Plakaten zu finden war, sollte sich das Land möglichst rasch entwickeln.

Allvater Mao besucht die Menschen landauf, landab. „Auf den Vorsitzenden Mao hören und guter Schüler des Vorsitzenden Mao sein“. Gemalt von Liu Wenxin, Volkskunstverlag Shanghai. © Michael Wolf

Fakt und Fiktion

„Die begabtesten Künstler wurden eingesetzt, um die aktuellen politischen Trends bis in die Einzelheiten zu visualisieren. Die Bilder, die sie schufen, waren oft figürlich und realistisch, als ob es sich um Kopien von Fotografien handelte. Ihr Ziel war es, in der Gegenwart die Zukunft darzustellen“, schreibt Stefan R. Landsberger in seinem Essay, der dem ausführlichen Foto-Teil des Buches vorangestellt ist. Er ist Dozent am Forschungszentrum für das moderne China des Sinologischen Instituts der Universität Leiden. Landsberger weiß, dass die billig zu produzierenden Plakate überall erhältlich waren und sie wurden von den Menschen gerne angenommen, denn die farbenfrohen Darstellungen hätten die ansonsten grauen Orte der Menschen etwas freundlicher erscheinen lassen. „Diese Plakate waren in einem naiven Stil gestaltet: Schwarze Linien bildeten Umrisse, die in strahlendem Rosa, Rot, Gelb, Grün und Blau ausgemalt waren. Diese Werke schufen eine Art faction – eine Kreuzung aus Fakten und Fiktionen –, indem sie das Positive herausstrichen und alles Negative aufpolierten“, erläutert Landsberger.

“Die Parteimitglieder sollen fortschrittlich Gesinnte des Proletariats sein“. Malkurs für Arbeiter, Bauern und Soldaten des Kreises Rudong, Provinz Jiangsu, Volksverlag Jiangsu. © Michael Wolf

Propaganda und die Realität der Arbeitseinsätze

Co-Autorin Anchee Min, die in Maos China aufgewachsen ist, schreibt von ihrer Begeisterung für Plakate, auf denen Mao abgebildet war. Mit ihrer Schilderung gibt sie eine Ahnung davon, wie die Menschen in den 1950er- und 60er-Jahren dachten und fühlten. Trotz ihrer Mao-Treue verschweigt sie nicht die Realität, von der die Plakate nichts zeigten. „Ich schloss die Mittelschule ab und wurde von der Regierung dazu bestimmt, in der Nähe des Ostchinesischen Meers in einem Arbeitslager auf dem Land zu arbeiten. Das Leben dort war unerträglich, und viele Jugendliche fügten sich absichtlich Verletzungen zu. Sie schlugen sich zum Beispiel den Fuß oder die Hand ab, damit sie als Behinderte nach Hause geschickt wurden. Meine Kraft und Tapferkeit verdanke ich den Plakaten, mit denen ich aufgewachsen war. Ich glaubte an das Heldentum, und wenn es denn sein musste, wollte ich lieber als Märtyrerin sterben“, schreibt Anchee Min. 1984 emigrierte sie in die USA.

Die Lebensmittelproduktion hatte Vorrang: „Gute Saaten auswählen, Erträge erhöhen“. Gemalt von Jin Meisheng, Volksverlag Shanghai. © TASCHEN

Propaganda vs. Volkskunst

Der Dichter Duo Duo wurde 1951 in Peking geboren. Auch er ging später (1989) ins Ausland. Heute lebt er in den Niederlanden. In seinem Essay beschreibt er das visuelle Bombardement, dem Kinder und Jugendliche ausgesetzt waren. Von Kinderbilderbüchern über Schulbücher und Jugendlektüre bis hin zu den Propagandaplakaten war das Heranwachsen von Wegweisern für richtiges Verhalten gepflastert. Laut Duo Duo habe es unter dem vordergründigen Zweck eines politischen Propagandaplakats mitunter auch die Unterströmung der Volkskunst gegeben. „Sie basiert auf den volkstümlichen Mythen und Sagen und der Vorstellung, Geschichte, Menschen und Natur zu vereinen. Sie ist der Ursprung der Seele einer Nation. Wenn man die Plakate genauer betrachtet, kann man erkennen, dass manche Bilder trotz politischer Zwänge hartnäckig versuchten, sich selbst auszudrücken“, meint der Schriftsteller.

Frauen hatten einen großen Anteil an der Produktionssteigerung. Auf deren Arbeitskraft wollte die Volksrepublik nicht verzichten. „Arbeiterinnen und Bauern singen gemeinsam das Lied der reichen Ernte“. Gemalt von Chen Kai, Traktorenfabrik Shanghai, Volksverlag Shanghai. © Michael Wolf

Unabhängige Kunst gibt es nicht

Was viele der Darstellungen gemein haben, ist der Blick der Menschen nach oben – in Richtung einer glorreichen Zukunft. Diese Menschen folgen einer Vision, haben eine Vision. Andererseits impliziert Propaganda immer auch, dass es keine Menschen geben darf, die dieser Vision nicht folgen wollen. Chinesische Propagandaplakate sind stets mit Texten versehen, auf denen Parolen zu lesen sind. Da die chinesische Bevölkerung der 1950er-Jahre einen hohen An-Alphabetisierungsgrad aufwies, wurden diese wohl größtenteils ignoriert und es kam allein auf die Bildwirkung an. Welche künstlerische Bedeutung diese Plakate hatten, fasst ein Zitat aus dem Buch sehr schön zusammen: „Eine Kunst um der Kunst willen, eine über den Klassen stehende Kunst, eine Kunst, die neben der Politik einherginge oder unabhängig von ihr wäre, gibt es in Wirklichkeit nicht.“

„Chinese Propaganda Posters“. Anchee Min, Duo Duo, Stefan R. Landsberger. Hardcover, 10,2 x 13,4, 320 S., ISBN 978-3-8365-8951-2, Deutsch, Englisch, Französisch. © TASCHEN

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