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Social Design braucht … Idealismus

von Markus Schraml
IDRV - Circular Design Rules

Social Design zu betreiben ist spannend, damit auch Geld zu verdienen, äußerst schwierig. Nicht jeder hat den Vorteil einer exklusiven Mentorin wie das von Jan Boelen geleitete Studio LUMA im französischen Arles, das von der Schweizer Mäzenin und Kunstsammlerin Maja Hoffmann finanziert wird. Meist steht und fällt ein Social Design-Projekt mit dem Subventionszuschlag öffentlicher Stellen, Mitteln aus Förderprogrammen oder Wettbewerbssiegen. Vor allem junge Designschaffende folgen ihrem Drang, an gesellschaftlichen Veränderungen mitzuwirken und durch spekulative und/oder forschungsbasierte Designprojekte Impulse zu setzen.

In Wien spielt das Museum für angewandte Kunst eine wichtige Rolle in der Förderung unabhängiger, teils künstlerischer Designansätze. So war letzten Winter eine Installation von Johanna Pichlbauer unter dem Titel „There will be! People! On the Sun! Soon!“ zu sehen. (FORMFAKTOR berichtete) Die österreichische Designerin widmete sich damit der Beziehung zwischen Mensch und Sonne, der Allgegenwart unseres Fixsterns in der menschlichen Kulturgeschichte. Hintergrund dafür ist die Bedeutung von Solarenergie für die Zukunft der Menschheit. Dabei sieht Pichlbauer das Ganze nicht aus der rein technologischen Perspektive, sondern spekuliert auch über die Emotionen und Individualität von Solarpaneelen. Sie eröffnet damit eine andere Perspektive auf das Verhältnis von Mensch und Maschine.

Johanna Pichlbauer spricht über ihre Ausstellung im MAK. © Theresa Schnöll, Paul Wünsche

Sichere Systeme schaffen

International bekannte Vertreter eines künstlerisch-experimentellen Designansatzes sind Anthony Dunne und Fiona Raby oder Jon Ardern / Anab Jains Superflux. Sowohl Raby als auch Jain waren bzw. sind Lehrende an der Universität für angewandte Kunst Wien. Was die hohe Dichte an österreichischen Designern, die sich mit Forschung, spekulativen und experimentellen Gestaltungsansätzen beschäftigen, ein Stück weit erklärt. Superflux jüngstes Projekt heißt „SAFE: A Collection of Works Exploring Safer Futures“, eine Ausstellung im Somerset House in London (bis zum 1. November). Sicherheit stellt ein systemisches Problem dar, weil sie in vielen Bereichen nur mangelhaft gewährleistet ist. Zehn neue spekulative Arbeiten werfen ein Licht auf große Forschungs- oder Infrastrukturprojekte, die auf der ganzen Welt im Gange sind und die sowohl unschöne Zusammenhänge offenbaren als auch Hoffnung spendende Alternativen aufzeigen.

Ein Beispiel ist die gefährliche Fischereiindustrie in Bangladesch, in der Wirtschaftssysteme, Wetter, Bildung, Beschäftigung, Ressourcen, Sterblichkeit und folglich Sicherheit eng miteinander verknüpft sind. Oder der Film „The Resilient City“, der das städtische Wassersystem von Mexico City untersucht, wofür Regenwasser genutzt wird. Anab Jain ist der Meinung, Sicherheit sollte ein Grundrecht sein. SAFE deckt Systeme auf, die dieses Recht verhindern. Gleichzeitig werden Kollektive vorgestellt, die daran arbeiten, Sicherheitssysteme radikal neu und eben sicherer zu gestalten.

Design für die Gesellschaft – Dutch Design Week

Eine wesentliche Rolle im Bereich Social Design spielen Design Weeks. Sei es in Helsinki, Wien oder Eindhoven. Vor allem die Dutch Design Week präsentiert – beeinflusst von der Eindhoven Design Academy – alljährlich Projekte, die sich kritisch mit der Gesellschaft auseinandersetzen und sozial relevante Arbeiten publik machen. Mit den Dutch Design Awards (DDA) werden herausragende Beispiele engagierter Gestaltung prämiert. 2022 sind dies zum Beispiel das Studio Makkink & Bey, das mit dem Projekt „Waterschool M4H+“ untersucht, auf welche Weise Designforschung in die Bildung einfließen könnte – vor allem im Hinblick auf die Themen Biodiversität sowie Zirkularität oder „REX“ von Studio Ineke Hans x Circuform, das sich dafür stark macht, Möbel nicht als Wegwerfartikel, sondern als Tauschware zu definieren.

In der Kategorie „Communication“ der DDAs gewann Ruben Pater mit CAPS LOCK, einem bei Valiz herausgegebenem Taschenbuch. Darin befasst er sich ausführlich mit dem „Würgegriff“, mit dem der Kapitalismus die Designwelt einschränkt. In der Verlagsaussendung heißt es: „Der Kapitalismus könnte ohne Münzen, Banknoten, Dokumente, Grafiken, Schnittstellen, Branding und Werbung nicht existieren; Artefakte, die (teilweise) von Grafikdesignern erstellt wurden. Sogar konsumfeindliche Strategien wie Social Design und spekulatives Design werden in kapitalistischen Gesellschaften angeeignet, um dem Wirtschaftswachstum zu dienen“.

Interessant ist auch die Arbeit von Martina Huynh und Jonas Althaus (Cream on Chrome), die sich auf interaktive Installationen spezialisiert haben. Bereits 2018 ließen sie mit der „Environmentalist Stock Exchange“ aufhorchen, wo sie die globalen Märkte nach den Grundsätzen der Ökologie um-modellierten. Den Aktionären kam dabei die Rolle der Wächter zu. Die Jury der DDAs verlieh ihnen den „Young Designer“-Titel und urteilte: „Martina Huynh und Jonas Althaus beeindrucken als kritische junge Designer, die sehr physisch und interaktiv gestalten und einen außergewöhnlich ausgeprägten Sinn für Kommunikation haben.“

Stadtarbeit in Wien

Im Rahmen der Vienna Design Week (VDW) gibt es seit einigen Jahren das Format „Stadtarbeit“. Mit Unterstützung des MehrWERT Sponsoringprogramms der Erste Bank wurden 2022 bereits zum achten Mal Projekte ausgewählt, die sich gesellschaftlichen Fragestellungen im urbanen Raum widmen. Festivaldirektor Gabriel Roland zum Ansatz des Festivals: „Für uns bedeutet Social Design, die Werkzeuge von Gestaltung, die vielleicht in ganz anderen Feldern zusammengebaut, geschliffen und perfektioniert wurden, einzusetzen, um gesellschaftliche Prozesse anzustoßen. Das hat viel mit Stadtplanung, mit öffentlichem Raum und Nachbarschaften zu tun. Welche unterschiedlichen Interessengruppen gibt es und wie können diese zu einem Ausgleich kommen?“

Das Thema der diesjährigen „Stadtarbeit“ war „Tauschen, Teilen, Handeln“. Im Fokus standen die Möglichkeiten des Handelns, die jenseits kommerzieller Vorgaben existieren. „Das ist für uns eine ganz wichtige Einsicht, dass man Design-Tools auch anwenden kann, wenn es nicht um eine Produktentwicklung geht, wenn der Kontext nicht kommerziell ist“, betont Roland. In diesem Zusammenhang beschäftigten sich Nina Sandino und Alexandra Fruhstorfer in ihrem Projekt mit Fragen wie: Wer sind die Profiteure, wer die Verlierer der globalen Wertschöpfungsketten? Wie hängen die Kleidungsstücke, die wir tragen, mit unserer Umwelt zusammen? Um einen Diskurs anzustoßen, waren Sandino und Fruhsdorfer mit ihrem sogenannten OMG, dem Open Mobile Garment-Vehikel, während des Festivals entlang der Mariahilfer Straße, Wiens größter Einkaufsstraße, unterwegs. Sie forderten zum Kleidertauschen und zum kritischen Reflektieren über unsere Konsumgewohnheiten auf.

Stadtarbeit-Projekt bei der VDW 2022: DARE TO SHARE AND WEAR, MARIAHÜF! von Alexandra Fruhstorfer und Nina Sandino. © VIENNA DESIGN WEEK – Petra Rautenstrauch – Kollektiv Fischka

Social Design und Finanzierung

Fortschritt und Stellenwert von Social Design sind im Ländervergleich sehr unterschiedlich. So ist diese Art des Designs in den Niederlanden bereits sehr viel weiter verbreitet als beispielsweise in Österreich. „Dort wird es auch von großen Unternehmen eingesetzt, um soziale Prozesse zu gestalten“, weiß Gabriel Roland. „Das ist deshalb für uns spannend, weil man hierzulande von Social Design kaum leben kann. Es gibt Designerinnen und Designer, die solche Projekte machen, wenn sie zum Beispiel von uns damit beauftragt werden, aber in den Niederlanden gibt es ganze Studios, die diesen Ansatz verfolgen und als Dienstleistung anbieten.“

Wie schwierig es ist in Österreich von Social Design leben zu können, bringt Harald Gründl zum Ausdruck, der mit EOOS NEXT 2020 ein Designunternehmen mit Fokus auf Social Design gegründet und bereits davor viele Jahre in diesem Bereich gearbeitet hat. Er sagt, dass Recherche- und Forschungsarbeit derzeit kaum adäquat bezahlt wird: „Die Bereitschaft gibt es, das Gesamtklima hat sich verändert. Gedanken, die man früher nur kurz hatte und dann wieder verworfen hat, weil sie einfach völlig absurd waren, die dürfen jetzt gedacht, geträumt und vielleicht sogar visualisiert und diskutiert werden. Aber der Schritt, dass man Designschaffende genau für diese Tätigkeit, für einen Dialog, für eine spekulative Arbeit, für Recherchen, die nicht sofort in ein Produkt münden, bezahlt, das muss noch passieren. Und das wäre für den Erfolg von EOOS NEXT ganz wichtig“, betont Gründl.

ZUV, ein Mobilitätsprojekt von EOOS NEXT, das auch beim jüngsten London Design Festival zu sehen war. © Theresa Bentz

Die Finanzierung von Social Design-Arbeiten ist oftmals prekär. Trotzdem gibt es viele spannende Projekte aus den Bereichen spekulatives, experimentelles oder künstlerisches Design. Sie werden in Ausstellungen, Interventionen im öffentlichen Raum oder bei Designfestivals gezeigt. Ihr Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft mag sehr begrenzt erscheinen, dennoch sind sie als Impulsgeber und Fragesteller wie auch die Kunst von enormer Bedeutung. Denn Veränderungen beginnen mit kleinen Bausteinen, die einzeln betrachtet unbedeutend wirken, aber in ihrer Gesamtheit das Potenzial für eine Richtungsänderung in sich tragen.

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