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Social Design ist … Teamwork

von Markus Schraml
Foundation We Are

Die praktische Anwendung von Social Design ist in den europäischen Ländern unterschiedlich weit fortgeschritten. Während es auf universitärer Ebene vielfach Kurse und Studiengänge gibt, sieht es in der wirtschaftlich überlebensfähigen Praxis eher mau aus. Studios, die sich ausschließlich Social Design widmen, finden sich vor allem in den Niederlanden. Spannend sind unter anderem die Projekte von Bernhard Lenger Studio. Der Kärntner in den Niederlanden wurde mit seiner Abschlussarbeit zum Thema Ecocide (Ökozid) bekannt, wo er Polly Higgins’ (1968 – 2019) Initiative zur Anerkennung dieses Verbrechens als internationalen Straftatbestand als Designer unterstützte.

„Partnerschaften sind essenziell, um heutzutage relevantes Design zu machen“, meint Lenger. Ihn interessieren vor allem systemische Fragen der Gesellschaft. Mit den Werkzeugen des Social Design könnten aktuelle Herausforderungen besser gemeistert werden. Im FORMFAKTOR-Exklusivinterview spricht er nicht nur über die Wichtigkeit von Partnerschaften, sondern auch über Ethik und KI sowie davon, dass der Mehrwert von Social Design von den Designschaffenden selbst schlecht kommuniziert werde.


FORMFAKTOR: Wie kamen Sie als Österreicher in die Niederlande. Und sind dann dortgeblieben?

Bernhard Lenger: Meine Ausbildung begann in Ferlach, in Kärnten. Dort habe ich Maschinenbau und industrielles Design studiert. Später war ich im Bereich User Interface tätig. Irgendwann habe ich mir dann gesagt: Das kann es doch nicht sein! Und ging in die Niederlande, nach Eindhoven, wo ich die Chance erhielt, weiter zu studieren. Ich habe sofort gemerkt, hier bin ich richtig. Die Niederländer haben ein ganz anderes Verständnis von Design.

FORMFAKTOR: Zum Beispiel?

Bernhard Lenger: Zum Beispiel ging es in meiner Abschlussarbeit um internationales Strafrecht und wie wir als Designer darin eine Rolle spielen können. Dabei habe ich mit der Anwältin Polly Higgins zusammengearbeitet. Sie hat ein Ecocrime Law verfasst und meine Möglichkeit als Designstudent damals war, dieses Gesetz so verständlich wie nur möglich zu machen, damit jeder sofort erkennt, was die Auswirkungen davon wären. Es geht darum, Gesetzestexte so zu präsentieren, dass sie nicht nur Rechtsanwälte verstehen, sondern alle. Ich bewegte mich hier hauptsächlich im Bereich der Kommunikation, aber auch der Formulierung von Zukunftsvisionen.

FORMFAKTOR: Es ging also um Public Awareness.

Bernhard Lenger: Ja, und danach stellte ich mir die Frage, wie kann ich über die reine Kommunikation hinausgehen. Speziell in den Niederlanden gibt es Verständnis dafür, dass Design nicht nur materielle Dinge betrifft, sondern auch systemische. Das heißt, die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft funktioniert, ist auch designt. Nicht von einem Designer, aber von jemanden, der darüber nachgedacht hat, wie wir unsere Steuern zahlen, wie wir als Gesellschaft zusammenleben und wie der öffentliche Raum aussieht. Alle Aspekte in unserer Gesellschaft betreffen Design, sind Designfragen. Das interessiert mich. Inwieweit kann ich als Designer auf diese systemischen Dinge Einfluss nehmen?

Kampagne “This is Ecocide” von Bernhard Lenger. © Design Academy Eindhoven / Bernhard Lenger, Foto: Femke Rijerman

FORMFAKTOR: Immer mehr Designer betreiben Social Design, spekulatives Design oder arbeiten experimentell. Dabei stellt sich die Frage, wie diese Arbeit bezahlt wird? Müssen gesellschaftlich relevante Leistungen (auch im Research-Bereich) neu bewertet werden?

Bernhard Lenger: Damit haben Designer Probleme, aber auch die Organisationen. Designer sehen den Mehrwert, aber sie können in schlecht beschreiben oder vermitteln. Und die Organisationen, die Designer brauchen können, sehen nur das Geld, das sie verlieren könnten, falls das nichts bringt, sehen aber nicht das Einsparungspotenzial. Zum Beispiel gab es bei der Stadtentwicklung in Eindhoven ein Projekt, das vor zwei Jahren klein begonnen hat. Damals habe ich mit den Unternehmern gesprochen und die haben mir gesagt, dass sie sich große Sorgen in Bezug auf ihre Investitionssicherheit machen. Ich habe die Stadt davon informiert. Aber da die Mühlen der Stadtverwaltung langsam mahlen, kam zuerst eine Beschwerde der Unternehmer, was den Bau um zwei Jahre verzögert hat. Wäre es nicht besser gewesen, von Anfang an Designer zu beschäftigen, die durch ihre Herangehensweise vorhandene oder aufziehende Probleme schnell erkennen und Maßnahmen vorschlagen können? Damit kann man eine Menge Geld einsparen.

FORMFAKTOR: Aber die Lage verändert sich.

Bernhard Lenger: In den Niederlanden wird der Mehrwert von Design immer mehr gesehen. Es wird erkannt, dass es besser ist, in Design zu investieren als in ein altes System, das sich im Niedergang befindet. Lustig ist ja immer die Aussage, wozu brauchen wir dafür einen Designer. Aber sobald eine große Beratungsagentur oder ein Thinktank daherkommt, werden freudig Millionen ausgegeben, weil man das ja unbedingt braucht.

FORMFAKTOR: Woran arbeitet das Bernhard Lenger Studio derzeit?

Bernhard Lenger: Wir arbeiten an einem großen Stadtentwicklungsprojekt in Eindhoven. Dort wird das Zentrum umgebaut. Wenn man jetzt aus dem Bahnhof von Eindhoven kommt, sieht man davor eigentlich nur Fahrräder. Hier soll es Veränderungen geben, alles soll sehr modern werden. Wir arbeiten dabei mit dem Konzept des Placemaking. Das heißt, wir wollen die Menschen in diesem Veränderungsprozess mitnehmen. Der Stadtteil soll auch während des Umbaus belebt bleiben. Vielleicht als eine Art Sandkiste für die Bevölkerung. Er soll während der Bauarbeiten benutzt werden können und nicht abgesperrt werden.

FORMFAKTOR: Neben dem Bernhard Lenger Studio gibt es auch eine Foundation. Wie sieht die Aufgabenaufteilung aus?

Bernhard Lenger: Das Bernhard Lenger Studio ist auf Consultancy (Beratung) für Communitys und Firmen ausgerichtet. Mit der Foundation We Are wollen wir mit verschiedensten Organisationen zusammenarbeiten, um Menschenrechtsprobleme zu bearbeiten. Derzeit arbeiten wir mit Free Press Unlimited, einer Initiative, die mit Journalisten und unabhängigen Medien in verschiedensten Ländern kooperiert. Wir sorgen dafür, dass Designer mit den Medien zusammenarbeiten, um ein Tool zu kreieren, dass ihre Arbeit erleichtert.

FORMFAKTOR: Ein spannendes Projekt ist Moral Lab – über das Verhältnis von Ethik und Künstlicher Intelligenz.

Bernhard Lenger: Das war eine Kooperation mit Bart Wernaart, einem Forscher der Fontys Universität und unserer Kornelia Dimitrova. Dabei ging es um die Frage, wie man Ethik in den Aufbau von Algorithmen einbinden kann. Dazu haben wir Leute befragt, was für sie bei unterschiedlichsten Problemen von Bedeutung ist. Zum Beispiel gibt es diese Online-Versicherungstechnologie, wo man Aussagen machen muss und über Gesichtserkennung wird überprüft, ob man lügt oder die Wahrheit sagt. Bei diesem Projekt ging es also um den Einsatz von Technologie und inwieweit wir als Gesellschaft damit noch positiv umgehen können. Das heißt, wir können alles machen, aber – wir müssen nicht alles machen.

Beim Projekt „Moral Lab“ ging es um Fragen der Ethik beim Thema Künstliche Intelligenz. Eine Kooperation von Bernhard Lenger, Kornelia Dimitrova und Bart Wernaart. © Foundation We Are

FORMFAKTOR: Designer haben einen ganzheitlichen, holistischen Blick auf die Dinge, heißt es. Woher kommt es, dass gerade Designer diese Perspektive einnehmen?

Bernhard Lenger: Zum Teil liegt es sicher an der Designausbildung. Eine Eigenheit ist, dass wir sowohl quantitativ als auch qualitativ untersuchen. Wir sprechen mit den Menschen. Wir verbinden die Methoden, um Dinge zu testen. Was Designer dabei sehr gut können, ist Fehler machen. Und das ist sehr wichtig. Das Ganze ist ein Prozess, wo nicht gleich die erste Antwort richtig sein muss. Wir nähern uns schrittweise an.

FORMFAKTOR: Wie wichtig sind Partnerschaften mit anderen Fachleuten, Organisationen, Wissenschaftlern etc.?

Bernhard Lenger: Ich halte Partnerschaften für essenziell. Designer sind nicht die Helden unserer Zeit, auch wenn wir uns oft so positionieren: We solve all the problems. Das ist nicht wahr. Wir können heutige Probleme nicht als Designer allein bewältigen. Man braucht Wissenschaftler, Politiker, Leute, die aus anderen Sparten kommen. Ohne sie bleibt man nur in seiner Designblase. Die schönsten Dinge passieren, wenn Designer mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeiten, weil man dadurch ganz andere Designergebnisse erhält, wenn die Real Life Experience dazukommt.

Das Klassenzimmer neu gedacht – ist ein Projekt, bei dem 100 Fachleute gemeinsam mit Designern ein Konzept zur Erneuerung des Klassenzimmers in den Niederlanden entwickelt haben. © Foundation We Are

FORMFAKTOR: Wie beurteilen Sie den Status quo von Social Design in Österreich?

Bernhard Lenger: Social Design ist in Österreich noch sehr auf den öffentlichen Raum fokussiert. Das ist logisch, weil der öffentliche Raum gesellschaftlich sehr relevant ist und sich für Social Designer hier viele Möglichkeiten bieten. Es gibt noch viel Potenzial in der Verwaltung, in Bezug darauf, wie unsere Gesellschaft organisiert ist. Ich glaube, das passiert in Österreich kaum. Wenn ich den Vergleich mit den Niederlanden ziehe und wie gut das dort schon funktioniert, wäre es für mich spannend, diese Art von Social Design nach Österreich zu bringen.

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