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Review: Milan Design Week 2019

von Markus Schraml
Milan Design Week 2019

Die Zeiten des einen großen Trends sind lange vorbei. Experten sprechen von einer Ära des Pluralismus in Kunst und Gestaltung. Auch im Möbel- und Einrichtungsdesign sind die kreativen Möglichkeiten weitläufiger geworden und dennoch waren bei der jüngsten Mailänder Designwoche einige Hauptströmungen auszumachen: Minimalismus / Reduktion (nach wie vor), Retro, Mid-century-Wiederauflagen (und früher), teilweise kräftige Farben und neue Finishs, die durch neue Produktionstechnologien möglich wurden. Über allem steht die Qualität in der Herstellung und die intensive Detailarbeit im Design, die mit den gestiegenen Ansprüchen der Kunden einhergehen. Ein weiterer Punkt ist das Aufeinandertreffen von hochwertigem, traditionsreichem Handwerk und Hightech. Eine Kombination, die besonders in der Unternehmensstruktur Norditaliens und rund um Mailand mit einerseits vielen kleineren, sehr guten Handwerksbetrieben und andererseits großen Firmen mit industrieller Produktionsweise und -kapazität vorhanden ist. Dieser traditionelle Dualismus wird immer mehr als entscheidender Vorteil auch im internationalen Wettbewerb erkannt und intensiviert.

Der Jubiläen-Reigen

2019 ist ein Jahr der Jubiläen. Thonet feiert das größte mit 200-jährigem Bestehen und tat dies in Mailand mit Hochglanz. Sebastian Herkners Interpretation des klassischen Kaffeehausstuhls wurde in sechs Hochglanzfarben präsentiert, wodurch dieses Möbel nicht nur feierlich aussieht, sondern derart zeitgemäß wirkt, dass man jeglichen Retro-Charakter vergeblich sucht. Kartell wird heuer 70 und feierte ebenfalls, naturgemäß in der eigenen Heimat viel größer – inklusive Ausstellung und zwei Neuheiten, die dem immer wieder selbst formulierten Innovationsstreben mehr als gerecht werden. Das Unternehmen überrascht mit der Kollektion Smart Wood. Kartell und Holz – wer hätte das gedacht. Chef Claudio Luti dazu: „Nach vielen Jahren Forschung haben wir endlich den respektvollen Zugang zum Holz gefunden, der diesem edlen Material gebührt, denn der technologische Fortschritt gestattet uns erst jetzt, diesen Ansatz mit dem industriellen Charakter zu vereinbaren, der seit jeher in der DNA der Marke verankert ist.“ Und Philippe Starck, der Designer der Kollektion sagt: „Schon immer nutzt Kartell menschliche Intelligenz, um Rohmaterial in außergewöhnliche Möbel zu verwandeln. Nun macht sich Kartell diese Kompetenz zunutze, um so spartanische Materialien wie Sägemehl, Sägespäne und andere Holzabfallprodukte zur Möbelherstellung zu verwenden. Zeitlose Eleganz. Das amerikanische Designerpaar Ray und Charles Eames hat einst bewiesen, dass Sperrholz ein modernes und intelligentes Material sein kann. Fünfzig Jahre später macht es uns der technologische Fortschritt möglich, noch mehr mit immer weniger Aufwand zu erzielen: das ist die Smart Wood Kollektion”. Kartell und Starck arbeiteten ebenfalls für das Projekt A.I. zusammen. Es handelt sich um ein Designobjekt, einen Stuhl, der vollständig von einem Algorithmus entwickelt wurde. Philippe Starck: „A. I. ist der erste Stuhl, der außerhalb unseres Gehirns, außerhalb unserer Gewohnheiten und der Art und Weise, wie wir zu Denken gewohnt sind, entwickelt wurde. Auf diese Weise öffnet sich uns eine neue Welt. Ohne Grenzen.“

The only way is up heißt es 2019 bei B&B Italia. 1969 hatte Gaetano Pesce den legendären Up5 entworfen, der ursprünglich aufblasbare Sessel war ein Symbol für Modernität und erregte internationales Aufsehen. Die begleitende Werbekampagne von Enrico Trabacchi stellte den Up5 in ein Science-Fiction-Setting und wurde zu einem exemplarischen Beispiel für spannendes Kommunikationsdesign. Trat der Up5 gemeinsam mit dem Hocker Up6 auf, beide mit einem elastischen Kabel verbunden, ergab das ein Bild von unbändiger Aussagekraft. Ball and Chain und die Frau als Gefangene in der traditionellen Gesellschaftsstruktur. 1973, als aus C&B B&B Italia wurde und aufgrund eines Verbots von Freon Gas, stellte das Unternehmen die Produktion der Up-Serie ein. Über 25 Jahre später wurde der Up5 Lehnstuhl wieder aufgelegt. Nun war er nicht mehr aufblasbar, sondern bestand aus Polyurethan Kaltschaum. Zum 50-jährigen Jubiläum feiert B&B Italia Gaetano Pesces Up5 und Up6 in neuen monochromen Farben und als Special Edition im Streifenlook in Beige/Petrol – eine Reminiszenz an die originale Farbpalette. Eine der Hauptnews, die im Zuge der Mailänder Designwoche bekannt gegeben wurde, war der Zusammenschluss von B&B Italia, Flos und Louis Poulsen unter dem Namen Design Holding. Von Investindustrial und der Carlyle Group initiiert, ergibt dies eine interessante Interieur-Gruppe, wobei die Stoßrichtung klar eine Stärkung des internationalen Auftritts von drei bekannten Marken in einem einzigen Produkt sein wird, in dem italienische und dänische Designhighlights aus Vergangenheit und Gegenwart vereint sind.

Sein großes Jubiläum feiert Riva 1920 zwar erst im kommenden Jahr, aber schon jetzt gibt das Unternehmen einen kleinen Vorgeschmack. Vorgefeiert wird mit der YIN & YANG-Kollektion von Steve Leung, die bisher aus einem Lounge Chair und einem Coffee Table besteht. Ein weiteres Projekt steht zwar nicht explizit im Jubiläumszeichen, könnte es aufgrund seiner Außergewöhnlichkeit aber. Der Tisch Timeless entstand aus einer Zusammenarbeit von zwölf italienischen Firmen bzw. Komponenten: Riva 1920 liefert die Tischplatte aus hochwertigem, 50.000 Jahre altem Kauri Holz, darin integriert ist eine exklusive Uhr von La Vallée, dessen M30TP-Werk völlig offengelegt wurde. Das Ganze ruht auf einer Basis von Künstler Helidon Xhixha, die aus Stahl und Statuario Altissimo Marmor von Henraux besteht. Zum Projekt gehört ein Stuhl aus Muranoglas von Marco Piva, der vom Massimiliano Schiavon Art Team gefertigt wird. Der Preis für diesen Tisch: 1,890.000 Euro.

Brasilien, Japan und Designs aus dem Norden

Der Salone des Mobile und die Fülle der Designevents in der Stadt Mailand selbst sind in erster Linie eine riesige Präsentations- und Werbemaschine für italienisches Einrichtungsdesign. Die Größe der Veranstaltung nutzen aber auch viele internationale Marken, die hoffen, am Aufmerksamkeitskuchen ordentlich mitnaschen zu können. Stellt sich nur die Frage, wie man in dem ganzen Trubel nicht nur nicht untergeht, sondern sogar aus der Masse heraussticht. Bessere Chancen hat man dafür im Rahmen des Fuorisalone, also mit einem Event in einem der vielen Mailänder Palazzi, in alten Industrieanlagen oder mit originellen Pop-up-Stores. 40 Designer und Hersteller aus Österreich zeigten die Ergebnisse ihres Könnens in der Sala Reale, dem ehemaligen königlichen Warteraum am Mailänder Zentralbahnhof. Die Ausstellungsarchitekten Vasku & Klug schufen dafür ein Schaumstoffbad, in dem die Besucher*innen von Objekt zu Objekt waten konnten. Soweit der vergnügliche Teil der Schau „Austria Design – Pleasure & Treasure“. In einem Stockwerk darunter wurden Designhighlights auf einem schwarzen Podest präsentiert. Teil dieser Schatzkammer waren auch Schokolade-Taler als Goldstücke verkleidet, die wiederum zu einem kulinarischen Genuss verführten.

Veranstaltungen wie diese erregen Aufmerksamkeit, überraschen und machen Spaß. Viele der gezeigten Installationen setzten Licht als bestimmendes Gestaltungselement ein. So designte Benjamin Hubert (LAYER) für Dekton® von Cosentino Raytrace. Zu sehen in den stimmungsvollen Tunneln von Ventura Centrale arbeitete der Designer mit dem Material und den Lichtbrechungen durch Wasser. 29 Glaskugeln und 87 LEDs verwandelten den 25 Meter langen Gang in eine faszinierende Passage. Faszinierend war auch die Präsentation von WonderGlass, mit der das japanische Designstudio Nendo seine Gussglasmöbel-Kollektion Melt in Szene setzte. Shape of Gravity begeisterte vor allem mit den Exponaten selbst. Diese wundersam fließenden Sitzmöbel, Tische und der erstmals gezeigte Luster sind Zeugen außergewöhnlicher Gestaltungen, die mit Glas möglich sind. Nendo war in Mailand mehrfach vertreten, unter anderem mit der Installation breeze of light für DAIKIN, die bei Tenoha Milano zu sehen war und das Thema „unsichtbare Luft“ aufgriff. Apropos Asien: Die Bemühungen von asiatischen Unternehmen in Europa Fuß zu fassen, nehmen stetig zu. Die Nähe von japanischem und europäischem Design ist dabei ein Vorteil und resultiert in Produkten, die zum Beispiel Maruni in Mailand zeigte. Unter der kreativen Leitung von Naoto Fukasawa entstehen Holzmöbel von internationalem Format. Mit dabei ist Jasper Morrison, mit dem Fukasawa Super Normal gegründet hat (2006) und der mit dem Fugu Lounge Chair ein weiteres perfektes Objekt entwickelte, das von der hohen Expertise des japanischen Holzspezialisten zeugt und seiner Internationalität Vorschub verleiht.

Design aus Brasilien war teil der Gemeinschaftsausstellung „The Litta variations / Opus 5“ im Palazzo Litta. Anlässlich seines 15-jährigen Gründungsjubiläums präsentierte die Marke SOLLOS von Jader Almeida auch hervorragende Stuhldesigns wie den Bone Chair oder den Ella Chair, die mit filigraner Eigenheit punkten. Auf eine sehr viel längere Geschichte kann das dänische Unternehmen Carl Hansen & Son zurückblicken. 1908 von Tischler Carl Hansen gegründet, war vor allem die Zusammenarbeit mit dem Designer Hans J. Wegner (ab 1949) für den Kultstatus vieler Möbel von Bedeutung. Dänische Möbelklassiker zu bewahren ist auch für Knud Erik Hansen, der das Familienunternehmen seit 2002 leitet, eines der Hauptanliegen. Gleichzeitig soll die Kollektion mit hochwertigen neuen Produkten wachsen. In Mailand zeigte Carl Hansen & Son unter anderem eine Wiederaufnahme des Lounge Chairs von Børge Mogensen aus dem Jahr 1949, das Coupé Sofa von Frits Henningsen aus 1936 und den Cuba Chair (1997) von Morten Gøttler in einer neuen Variante aus Teakholz und mit geflochtenen Bändern.

In der Fabbrica Orobia zeigte Paola Lenti unter dem Titel In Scena eine Reihe von Interieurs, die mit riesigen Raumteilern, die wie moderne Theatervorhänge anmuteten, Platz greifend beeindruckten. Mit verschiedenen Formen, Mustern und Materialien zeigten diese Einrichtungselemente neue Möglichkeiten auf, wie man hohen Räumen idyllisches Leben einhauchen kann. Nicht nur dekorativen, sondern künstlerischen Anspruch hat ein neues Projekt der deutschen Sitzmöbelmanufaktor Freifrau. In Kooperation mit dem belgischen Unternehmen Meisterwerke und dem Lemgoer Tattoo-Künstler Christian Trzaska hat Freifrau den Gobelin-Stoff Oasis entwickelt. Das opulente Motiv stammt von einem Ölgemälde des Künstlers und zeigt eine üppige Pflanzenwelt mit Pfau. Traumhaft, aber auf ganz andere Art, ist ein Design von Formstelle für Zeitraum. Das Designer*innen-Duo hat als Erweiterung der FRIDAY-Kollektion ein Bett entworfen. Der perfekte Schwung des Kopfteils verleiht dem ansonsten reduzierten Design charaktervolle Attraktivität und macht aus dem Bett ein Objekt, das man gerne betrachtet. Gleichzeitig verspricht es erholsame Nachtruhe. Im Vergleich dazu ist das Bett Twelve A.M. von Neri&Hu ein Ort der Gemütlichkeit. Für Molteni&C haben die Designer aus Shanghai ihre reduzierte Gestaltungssprache mit etwas bereichert, das man als kuschelige Vertrautheit beschreiben könnte. Das Bett als sicherer Rückzugsort mit Details (Kernlederriemen), die modernen Bettdesigns auf angenehme Weise völlig zuwiderlaufen. In Twelve A.M. könnte man sogar Schlaf finden, wenn es auf der Piazza del Duomo stehen würde.


More companies and products featured in the GALLERY

Surf und Gillis von Molteni&C

Lounge Chair V263 von Aston Martin

Caratos und Apollo von Maxalto

Nenou von COR

Suave und Tablet von Vondom

Okito von Zeitraum

IQOS World von Alex Chinneck

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